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Berlin: Immer wie sonntags

Wo die Beamten noch wahre Freunde und Helfer sind: mit der Wasserschutzpolizei auf Spree und Müggelsee unterwegs

Von Stefan Jacobs

Ganz langsam seilt sich die fette Spinne vom Fensterrahmen ab. Sie braucht sich nicht zu beeilen, denn sie befindet sich an Bord von WSP 50, dem Patrouillenboot „Sturmmöwe“ der Wasserschutzpolizei. Zwölf Stunden lang werden Polizeioberkommissar Gerd Franken und Polizeiobermeister Björn Wieskerstrauch wie jeden Tag mit ihrem blau-weißen Schiff durch den Berliner Südosten schippern. Präventiv, was ungefähr bedeutet, dass zwischen Schiff und Horizont alles friedlich bleibt, während sonst vielleicht der Teufel los wäre. Zumindest gehen die Polizisten davon aus. Prüfen lässt es sich kaum, aber so ist das halt mit der Prävention.

Die beiden Beamten werden also durchs Fernglas spähen, Bootsführerscheine prüfen, Mädels im Tretboot anlächeln, nach Wildcampern Aussschau halten, Rentnern auf Ausflugsdampfern zuwinken und Hunderte engegenkommender Wassersportfreunde grüßen, von denen viele auch gern ein 240-PS-Schiff wie die „Sturmmöwe“ hätten. Und an den Ufern werden Menschen stehen und sich beim Anblick der Polizisten fragen: Was machen die eigentlich den ganzen Tag?

Gerd Franken schlägt die Beine übereinander und dreht am Steuerrad. Er ist 52 und schweigsam wie ein richtiger Seemann. Aber während der Fahrt entlang der bewaldeten Ufer von Müggelspree und Gosener Kanal sagt er manchmal Sachen wie: „Nicht jedes Grunzen im Wasser muss ein Seehund sein. Denn auch Wildschweine können sehr gut schwimmen.“ Deshalb müssen die Polizisten öfter ertrunkene Hunde als Wildschweine auffischen. Mehr als ein Pudel passt allerdings nicht in den „Kescher“, einen angeseilten Drahtkorb auf dem Achterdeck.

Björn Wieskerstrauch ist halb so alt wie Franken und für die Bootskontrollen zuständig. Er legt sein Notizbuch mit der Aufschrift „Sei und bleibe höflich!“ griffbereit und knöpft sich das nächstbeste Motorboot vor. Die Kontrolle – Bordwand an Bordwand – erfolgt wie üblich von oben herab, weil die „Sturmmöwe“ für Müggelseeverhältnisse ein ziemlich großes Tier ist.

„Ihr Führerschein ist ungültig!“, sagt Wieskerstrauch streng und gibt dem Motorbootfahrer Zeit zum Erblassen, bevor er weiterredet: „Weil Sie nicht unterschrieben haben.“ Der Mann bekommt einen Stift und wieder Farbe im Gesicht. Man empfiehlt sich und winkt zum Abschied.

Wer auf dem Berliner Festland einem Polizisten hinterherwinken würde, machte sich damit wohl verdächtig genug für eine Personenkontrolle. Aber auf dem Wasser herrscht unerschütterlicher Frieden. Das könnte an den entspannten Bürgern liegen oder an den hohen Geldstrafen. Oder daran, dass die 220 Berliner Wasserschutzpolizisten so gar nichts Grünes an sich haben, sondern Blau-Weiß tragen, das in Kombination mit der beruflich bedingten Bräune ausgesprochen deeskalierend wirkt. Allerdings sind die Hosen nicht atmungsaktiv.

Zum Braunwerden müssen die Beamten ihre Kajüte verlassen. Auch die Spinne hat soeben die Türschwelle erreicht. „An heißen Tagen oder bei Regen sind wir manchmal die Einzigen auf dem See“, sagt Franken. An solchen Tagen können sie auch etwas schneller als die üblichen sieben bis zwölf Kilometer pro Stunde fahren, während sonst Paddler auf ihrer Welle in Seenot geraten könnten. Deshalb vermeiden sie auch Verfolgungsfahrten, denn ein flüchtendes Motorboot richtet in der Regel weniger Schaden an als die Welle der „Sturmmöwe“ bei Vollgas.

Außerdem sieht man beim Langsamfahren mehr. Zum Beispiel die beiden Männer, die gerade eine Erle in einem Garten am Spreeufer fällen wollen. Wieskerstrauch will die Fällgenehmigung sehen; Franken schaltet das Echolot ein, um nicht auf Grund zu laufen, und legt an. Strahlend präsentieren die Männer das Papier. Man trennt sich mit den besten Wünschen und winkt zum Abschied.

Die Spinne krabbelt über das Achterdeck und erreicht die Klappe, unter der das Leichensuchgerät liegt. Dabei handelt es sich um eine mit vielen Haken bestückte Metallstange, die bei Leichenverdacht über den Grund gezogen wird. Leichenbergung ist das Unangenehmste im Leben eines Wasserschutzpolizisten. Die meisten Toten werden zwischen Mitte und Westhafen aus dem Wasser gefischt. Gerade vor Weihnachten, wenn Leute so sehr an ihrer Einsamkeit verzweifeln, dass sie mit einem Rucksack voll Steine ins Wasser springen. „Aber das gehört halt dazu“, sagen die Polizisten.

Nicht mehr dazu gehört die Dienstbadehose, denn auch bei der Wasserschutzpolizei wird gespart. Die Beamten merken es daran, dass Reparaturen am Schiff länger dauern als früher und dass nichts neu gekauft wird. Aber das verschmerzen sie, denn sie wissen, wie gut sie es hier auf dem Wasser haben, wo selbst der erste Mai stets gemütlich endet und alle so nett zueinander sind wie sonst nur im Urlaub. Wobei die Polizisten auch nach vielen Stunden Fahrt noch die Ufer beobachten, den Horizont nach Rasern absuchen und schauen, ob ihnen angetrunkene Skipper oder geklaute Boote begegnen.

In dem Moment, in dem Wieskerstrauch sich zur Kontrolle eines vorausfahrenden polnischen Schubverbandes entschließt, streift sein Hosenbein die Spinne. Sie hält sich fest, während er dem Kapitän über Funk die Kontrolle ankündigt und sich die Schwimmweste überzieht, bevor er mit einem beherzten Satz an Bord der Schubeinheit springt. Das leere Schiff hat Kohle nach Moabit gebracht und fährt zurück nach Polen. Der Maschinist geleitet den Polizisten in die „Kabina Kapitana“, in der es nach Sauerkraut und altem Sofa riecht. Wieskerstrauch lässt sich Führerscheine, ärztliche Atteste und Schiffszulassung zeigen. Dann wirft er einen Blick in den höllisch lauten Maschinenraum, zählt Feuerlöscher und Rettungsringe, nickt verbindlich und springt zurück auf die „Sturmmöwe“. An Bord des Schubverbandes bleiben drei winkende Polen zurück. Und die Spinne, die bei Wieskerstrauchs Absprung aufs Deck gefallen war. Ansonsten gab es heute keine besonderen Vorkommnisse.

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