zum Hauptinhalt

Berlin: Immer wieder Wurm: Bald Anklage gegen Bus-Entführer

Im April überfiel er eine Bank, nahm Geiseln und fuhr mit ihnen quer durch die Stadt. Sein Anwalt hält ihn trotzdem für ein Musterbeispiel gelungener Resozialisation

Das Unglaubliche geschah in der Steglitzer Schloßstraße, einer der belebtesten Einkaufsstraßen der Stadt: Ein Linienbus, ein gelber Doppeldecker mit Schultheiss-Reklame drauf, wird gekidnappt, drinnen 20 Menschen, darunter eine Polizistin – und Dieter Wurm, der Geiselnehmer. Es war der 11. April, jetzt steht die Anklage gegen den 46-jährigen Bankräuber offenbar unmittelbar bevor. „Ich rechne jeden Tag damit“, sagt Wurms Verteidiger Hubert Rösler.

Wurm wird im Prozess voraussichtlich reden. So wie er es bereits im Krankenbett getan hat, nachdem er bei seiner Festnahme von einem Spezialeinsatzkommando der Polizei angeschossen worden war. Wurm gestand, die Commerzbank in der Schloßstraße überfallen zu haben. Gab zu, anschließend den Bus der Linie 185 gekapert zu haben. Kreuz und quer ließ der Geiselnehmer den Bus durch die Stadt fahren, bevor die Polizei ihn am Sachsendamm stoppte. „Bei dieser Aussage bleibt er wohl auch“, sagt Rösler. Nur zu seinem Komplizen, den Dutzende Zeugen aus der Sparkasse beschrieben haben, schweige sich sein Mandant weiterhin aus.

Die Tätowierung am Unterarm brachte Wurm seinen Spitznamen ein: der Skorpion. Der Mann hat bereits einen Großteil seines Lebens hinter Gittern verbracht. Wegen Bankraubs, Sprengstoffdelikten, räuberischer Erpressung. Wurm weiß es gewissermaßen aus erster Hand: Wer einen Komplizen verpfeift, hat im Gefängnis nichts zu lachen. „Verräter“ rangieren in der Knast-Hierarchie ziemlich weit unten – nur Kinderschänder sind noch unbeliebter. Seine Langeweile vertreibt sich Wurm im Gefängnis offenbar schreibend. „Mein Rückfall ist keineswegs im Versagen von Vollzugs-Bewährung begründet, sondern nur in der Tatsache, nie gelernt zu haben, mit Armut umzugehen“, schrieb der Bankräuber dem Tagesspiegel.

Nachdem der 46-Jährige mit seiner Maschinenpistole in die Commerzbank gestürmt war, kursierte unter Berlins Polizisten schnell das Gerücht: Wurm hat wieder zugeschlagen. Die Polizei kennt den Mann bereits aus Hausbesetzer-Zeiten, als Wurm zur linksradikalen Szene gehörte. Das erste Mal ging er wegen eines Sprengstoff-Delikts ins Gefängnis, dann wegen Bankraubs, danach immer wieder. Mehrarbeit bescherte Wurm während seiner kriminellen Karriere aber nicht nur der Polizei: 1991 geriet die damalige Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) wegen Wurm erheblich unter Druck. Denn obwohl er 1988 während eines Freigangs schon einmal eine Bank überfallen hatte, bekam Wurm im Oktober 1991 erneut Hafturlaub. Diesmal nutzte er die Freizeit nicht zum Überfall, sondern zur Flucht. Drei Wochen später fing ihn die Polizei wieder ein.

Die nächsten Jahre verhielt sich der Häftling ruhig. Nachdem der inzwischen leicht ergraute Wurm im August 2000 als Freigänger eine ABM-Stelle bei der S-Bahn angetreten hatte, machte er sich hier den Ruf als „leuchtendes Beispiel gelungener Resozialisierung“. Deshalb beschloss das Gericht, die Strafe auszusetzen. Es ging nicht lange gut – die Schuld sucht Wurm bei anderen. „Ein Bewährungshelfer mit 150 Probanden kann keine große Hilfe bieten“, schreibt er.

Es ist zweifelhaft, ob solche Argumente das Gericht beeindrucken können. Wurms Verteidiger jedenfalls übt sich schon einmal in der Flucht nach vorn. Bank, Bus und Maschinenpistole? Nur ein Ausrutscher, sagt Rechtsanwalt Rösler, ein einmaliger Rückfall. „Wurm ist ein Musterbeispiel für eine gelungene Resozialisation.“

Zur Startseite