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Berlin: „In Berlin gibt es keine Preußen mehr“

CDU-Landeschef Christoph Stölzl sagt, warum der Bayer Stoiber diesen Mangel behebt

Warum hat es der Wahlkämpfer Edmund Stoiber in Berlin und Potsdam schwerer als in Stuttgart, Mainz oder Nürnberg?

Weil die Süddeutschen natürlich den Typus, den Stoiber repräsentiert, besser kennen. Stoiber ist ein hocheffizienter Organisator, Verwalter, Macher. Einer, der den Staat wie eine Firma betreibt. Ein Politikertypus, der historisch zu erklären ist: Bayern, auch Baden-Württemberg sind Schöpfungen Napoleons. Das Elitedenken wurde immer gefördert. Die Kraftanstrengung, sehr heterogene Landesteile zum größten deutschen Flächenstaat, nämlich Bayern, zusammenzuschweißen, konnte nur mit Hilfe eines elitären Beamtenkorps gelingen. Die Note des juristischen Staatsexamens entschied über den weiteren Lebensweg.

Hut ab vor diesen Bayern.

Das Land verdankt seinen Erfolg im 19. Jahrhundert und erst recht nach 1945 eben diesem soliden Beamtentum und einer Politikergarde, die Karriere durch Höchstleistungen machte. Illusionslos, ideologielos. Dazu gehört auch Stoiber. Das Erfolgsrezept war immer, die Partikularinteressen zu addieren. Die Interessen der Lehrer und der Schüler, der Gewerkschaften und der Unternehmer, der Katholiken und der Protestanten, der liberalen Münchener Künstler und der erzkonservativen Frauenvereine auf dem Land. Das ergab bei Wahlen meist 50 plus X der Stimmen.

Das funktioniert aber nur…

… wenn die Regierung erfolgreich ist. Wenn man Misserfolg hat, fliegt einem das Ding sogleich um die Ohren. Es bedarf also einer sehr erfolgsorientierten, pragmatischen Haltung. Es mag sein, dass Menschen wie Stoiber in einer hochideologischen Stadt wie Berlin nicht so rüberbringen können, was sie unter Politik verstehen.

Aber wenn Stoiber oder Lothar Späth solche Streber sind, müssten sie von den Preußen doch geliebt werden?

Ja, wenn die Preußen denn noch Preußen wären! Als Staatsdiener noch Staatsdiener waren und man Schwafler nicht mochte. Aber Berlin ist nicht mehr die Hauptstadt von Preußen, sondern ein „Melting Pot“, eine gewaltige Großstadtgesellschaft. Die tragenden Säulen des Preußentums wurden Berlin längst entrissen: Das jüdische Bürgertum wurde von den Nazis vertrieben oder ermordet, und das tüchtige und ehrgeizige, den Musen zugewandte preußische Aristokratentum ist weg. Übriggeblieben sind deren Häuser und kulturelle Hinterlassenschaften; das Preußentum ist nur noch eine Antiquität. Etwas für Feiertagsreden, aber in der Berliner Politik und Verwaltung nicht mehr zu finden. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Stoiber ist also der wahre Preuße?

Ja, unser Kanzlerkandidat ist ein sehr preußischer Bayer. Leider wird er im Norden und Osten Deutschlands oft im folkloristischen Sinn missverstanden und mit Wadlstrümpfen, Gamsbart und Alpenfröhlichkeit in Bezug gebracht. Dinge, die Stoiber ganz fremd sind.

Vielleicht spricht er ja die Berliner und die Nordlichter nicht richtig an.

Je sachlicher dieser Wahlkampf geführt wird, desto besser. Schließlich ist Berlin nicht mehr so preußisch-amerikanisch florierend wie von 1871 bis 1933. Berlin ist ein Brennglas geworden, das die Probleme Deutschlands auf kleinem Raum fokussiert. Die Arbeitslosigkeit, die wirtschaftliche und soziale Lage, die Probleme der Zuwanderung – alles ist hier mehrfach so dramatisch und ungelöst wie im nationalen Durchschnitt. Wer seinen Verstand nicht verloren hat, muss unbedingt den Wechsel wählen. Da bedarf es keiner Agitation, sondern nur der Sachinformation. Stoiber muss Denkfutter liefern, und genau das tut er auch.

Vielleicht sind die Ressentiments gegen Stoiber ja nur Ausdruck des Sozialneids des armen Nordens und Ostens gegen den reichen Süden.

Ich glaube nicht, dass in der Tiefe der Volksseele eine Aversion gegen den Süden schlummert. Im Gegenteil: Es findet längst eine Abstimmung mit den Füßen statt. Junge Leute, die was werden wollen, gehen gern nach Bayern, Baden-Württemberg oder Hessen.

Erfolg hin oder her. So ein Kanzler will vom Volk doch auch geliebt werden.

Seine Frau soll ihn lieben. Die meisten Wähler wollen, dass ihr Kanzler für sie schuftet.

Dann bleibt nur noch ein ungelöstes Problem: Der Pförtner im Kanzleramt müsste sich im Falle eines Wahlsieges der Union an das morgendliche „Grüß Gott“ gewöhnen…

Ich habe das auch lange nicht ablegen können. Inzwischen bin ich soweit sozialisiert, dass ich „Guten Tag“ sagen kann, ohne einen Stein auf der Zunge zu spüren. Aber eigentlich fehlt mir das Verständnis für solche Bedenken. In unserem so einzigartigen Föderalismus, diesem Commonwealth der deutschen Länder, muss auch der sprachliche Eigensinn Platz finden. Meinetwegen könnte Stoiber noch viel bayerischer sprechen. Bis 1945 war die Sprache des Burgtheaters und des Max-Reinhardt-Seminars in Wien die deutsche Vorbildsprache. Ein geläuterter süddeutscher Hofmannsthal-Klang. Nach Kriegsende wanderte die Amtssprache nach Hannover hinauf. Nun ist Gerhard Schröder der glückliche Erbe des allgemeinen deutschen Synchrondialekts. Ein historischer Zufall.

Wer spricht denn schöner?

Viele Politiker. Lothar Späth mit seinem Vertrauen weckenden alemannischen Tonfall. Oder der Altbayer Roman Herzog. Oder Helmut Schmidt mit dem s-pitzen S-tein der Hanseaten. Auch Helmut Kohl mit seinem rhein-pfälzischen, nach Frankreich gerichteten Dialekt. Und denken Sie an Richard von Weizsäckers Potsdamer Ton; dieser klare Fontaneklang hat doch auch das Land bereichert. Also ich finde, die Berliner sollten so sein, wie sie sonst auch sind; nämlich uns Zugezogenen warmherzig und offenherzig, wenn auch ein bisschen belustigt zu begegnen.

Das Gespräch führte Ulrich Zawatka-Gerlach.

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