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Berlin: In Berlin steht ein Hofbräuhaus

Von wegen Schwaben! Mehr Zuzügler kommen aus Bayern – und bringen ihre Lebensart mit. Die Älteren pflegen die Kultur der Trachten, Jüngere und Gäste feiern täglich Weißbier-Gaudi. Eine Erkundung.

Dieses Lächeln im Gesicht des Kellners – es muss vertraglich vorgeschrieben sein. Anders ist nicht erklärbar, wie der junge Mann in Lederhosen, vielleicht Mitte 20, hier seinen Dienst versieht, freundlich zuvorkommend, ein Bollwerk der Professionalität an einem wüsten, harten Ort. Das Hofbräu in der Nähe des Alexanderplatzes an einem Freitagabend gegen halb elf: eine brodelnde Bierwanne. „Du bist so heiß wie ein Vulkan, aha, aha, und heut verbrenn ich mich daran“, die Band in der Mitte der 6000 Quadratmeter großen Halle; es sind abgezockte Profis mit schlecht sitzenden Lederhosen, sackartig am Hintern, Akkordeon und Schnauzbart.

Wer sich auf die Suche macht nach bayrischem Leben in Berlin, der landet im Hofbräu, dem laut Veranstalter größten bayrischen Wirtshaus in Europa, 3000 Liter Bierverbrauch pro Tag, ungezählte Schweinshaxen und Weißwürste, ausgeschenkt und verfüttert an begeisterte Berliner und Touristen. Aber das Hofbräu dürfte nur das umsatzstärkste Beispiel dafür sein, wie Bayern und seine Lebensart mittlerweile eine wichtiger werdende Rolle im Berliner Leben spielen.

Wie das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg mitteilt, ziehen jährlich gut 8000 Menschen von Bayern nach Berlin um, das sind mehr als die oft geschmähten Schwaben und andere Baden-Württemberger, von denen etwa 7500 jährlich in die Hauptstadt kommen. Nur das Berlin umschließende Brandenburg und das mit Abstand bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen schickt mehr Landeskinder, ansonsten: Vorteil Bavaria.

Aber was machen die alle hier? Ein Rundgang durch Berlins bayrische Ecken.

Die Ältesten sitzen in der Peripherie. Ein Sonntagnachmittag in Lichterfelde, wo die Stadt ausfranst, die Häuser freier stehen, Vorgärten hinter Steinmauern. Das Gelände vom „Verein der Bayern in Berlin“ liegt neben einer Saunalandschaft der Berliner Bäderbetriebe, ein Haufen Strohballen liegt neben der Toilette. Hinein ins Vereinsheim, ein etwas muffig riechender Flachbau mit Bar, Ziertellern an den Wänden und Holzmöbeln, ein gutes Dutzend ältere Menschen, Stammkundschaft mit Weißbier und Brezeln beim „Hütten- und Übungsnachmittag“.

Dass er sich noch schnell umziehen müsse, sagt Helmut Amberger, Vereinschef und Ingenieur für Elektrotechnik, ein 61 Jahre alter Mann, kurz darauf in Tracht, „jetzt kann's losgehen“. Die Vereinsgeschichte im Schnelldurchlauf: Gegründet vor 137 Jahren, damit der zweitälteste Bayernverein in Deutschland, nur in Chemnitz sei man noch älter, zwischen den Weltkriegen knapp 900 Mitglieder, und zwar – wie die Vereinschronik berichtet – „ordentliche Mitglieder“, also gebürtige Bayern. Von solchen Zahlen ist man in Lichterfelde weit entfernt, sogar im doppelten Sinn. Gut 50 Menschen hat der Verein heute noch, Tendenz sinkend, gebürtige Bayern weniger als ein Dutzend.

„Es geht darum, das bayrische Brauchtum in Berlin zu pflegen“, sagt Amberger, ein richtiger Bayer aus dem bayrischen Wald, vor Jahren zum Studium nach Berlin gekommen und geblieben. Mit den Touristen und anderen Gästen, die im Hofbräu auf den Tischen tanzen, verbinden die Vereinsbayern wenig bis nichts. In Lichterfelde leitet Jörg Mehnert, 52 Jahre alt, die Schuhplattlertanzgruppe.

Hier wird nach strengen Regeln getanzt. Maßgeblich sind der bayerische Trachtenverband und seine Statuten, ein Regelwerk, das festschreibt, dass Frauen nicht oder nur sehr leicht geschminkt die Tanzfläche betreten dürfen, und so lässt sich womöglich erahnen, warum der Altersdurchschnitt im Verein bei gut 50 Jahren liegt: so richtig locker wirken sie nicht, von wegen bayrische Gemütlichkeit.

„Mit der Grenzöffnung ging's bei uns bergab“, sagt Mehnert, ab da hätte der Vereinsnachwuchs wohl mehr Lust auf Brandenburger Badeseen als auf Trachten gehabt. Mehnert blieb treu. Zwischen den Ziertellern hängen an den holzgetäfelten Wänden Fotos aus der Vereinsgeschichte. Mehnert, als Achtjähriger von den Eltern in den Verein geschleppt, als kleines Kind auf einem Bild, vielleicht zwanzig junge Menschen in Trachten, die Jungen kniend, die Mädchen stehend. „Die Dirndl sind alle weg, von den Burschen macht außer mir noch einer mit“, sagt Mehnert, und dass die einzelne Tracht locker 2000 Euro koste, „allein die Lederhose sind gut 700 Euro, da winken die jungen Leute doch gleich wieder ab“.

Nützt aber nichts. Tracht ist Pflicht, in dem Fall die Miesbacher Tracht, die sich „international als Standardtracht durchgesetzt hat“, wie Mehnert sagt. Einsparpotential immerhin besteht wohl bei den Strümpfen: Eine Vereinsfrau stricke gerne in ihrer Freizeit, da greife man dann zu.

Ursprünglich sei der Schuhplattler ein Werbetanz für Junggesellen gewesen, erzählt ein Veteran, „aber wenn es danach ginge, würde hier heute wohl gar keiner mehr tanzen“. Und so springen und tanzen sie dann auf dem extra dafür angelegten Holzboden, drei freudestrahlende Männer in Lederhosen mit stahlverstärkten Schuhsohlen, damit es richtig schön knallt, dazu drei Frauen in weitgeschnittenen Kleidern und ein Mann am Akkordeon, und nie ist Gerhard Polt da, wenn man ihn wirklich mal brauchen würde.

Schuhplattler und Akkordeonspieler kämen Erwin Leitner nicht ins Haus. „Das sind alles Klischees“, sagt Leitner, gelernter Koch und Geschäftsführer des im Herbst eröffneten „Alois Oberbacher“ in der Elisabethkirchstraße in Mitte. Leitner, 42 Jahre, kann zwar weder Hackbrett noch Alphorn spielen, wäre dafür aber jederzeit in der Lage, eine Herde Kühe auf eine Alm zu treiben, gelernt von seinem Großvater, ein Senner, der auch Namensgeber für Leitners neues Restaurant ist.

Zehn Jahre lang war Leitner Chef des Weihenstephan am Hackeschen Markt, Touristenecke. Der Verkauf war bewusst: „Ich wollte dieses typisch Bayrische nicht mehr.“ Stattdessen setzt er auf moderne „Bergküche“, hat in seinem 90-Plätze-Restaurant einen Holzkohlegrill im Gastraum installiert, grillt Fleisch prinzipiell ohne Gewürze oder Marinade. Statt blau-weißen Rauten und Kuhglocken bestehen die Wände aus blankem Beton, grau, und „darin erkenne ich die Alpen, ein bisschen Phantasie gehört dazu“, sagt Leitner, Fünf-Tage-Bart, blauer Pullover mit V-Ausschnitt, darunter ein kariertes Hemd, immerhin. Mehr Bayern ist nicht drin.

Ob sein Plan aufgeht? An einem Donnerstagmittag ist nur ein Tisch besetzt, und wenn es still ist, kann man den Koch in der Küche singen hören, „The Police“, Radiogedudel. „Touristen aus dem Ausland denken bei Deutschland immer schnell an Bayern, an Weißbier, Weißwürste und Brezeln“, sagt Leitner. Und dass er in seinem neuen Laden eher auf Stammkunden setze. Weißwürste verkauft er nicht.

Anders die Lage im Hofbräu, wo hinter dem polierten Kupferkessel am Tresen die Reste einer Girlande vor sich hin bleichen. Die Band macht wieder auf Stimmungsschlager, der Saal ist nur zu einem guten Drittel gefüllt, in dem sonst tausende Menschen Platz finden. Stoisch zieht ein Rentnerpärchen seine Spur auf der Tanzfläche, jetzt hart angegangen von einem teigigen Mann Mitte zwanzig, der es anscheinend für eine gute Idee hält, ältere Menschen beim Tanzen zu belästigen. Er wühlt sich ins Geschehen, rempelt Nachbarn an und umkreist die Senioren, die Arme in die Luft werfend, sein Gesicht glüht rot.

„Eins kann mir keiner nehmen, und das ist die pure Lust am Leben“, kontert der Senior nun, den Liedtext mitsingend, die Provokation. Ein eisgemeißelter Blick zum Flegel – und die Hackordnung ist klar: So ein junger Hirsch wird hier locker wegignoriert, soll der doch toben, die mittlerweile am Tanzflächenrand aufgezogene Security, Raspelhaare und Headset, kann wieder die Tür bewachen gehen oder böse Blicke auf diejenigen schleudern, die zwischen Weißbier und geistigen Getränken den Überblick zu verlieren drohen.

Zum Beispiel der britische Fünfertrupp junger Männer, allesamt überzeugte Weißbierfreunde, die damit beschäftigt sind, einen Turm aus Biergläsern zu errichten. Sie stoßen begeisterte Schreie aus, als der Rädelsführer den Einsturz des Gebildes gerade noch verhindert, und darauf gibt’s eine Runde Schnaps. Wer gewillt ist, unschuldigen Touristen 4,20 Euro für einen halben Liter Bier abzunehmen, der dürfe sich nicht beschweren, wenn ein Glas mal zu Bruch geht – so in etwa ist die Meinung der Briten, als sich nun der lächelnde Kellner, den „Robbie-Boy“ zu nennen sie sich mittlerweile entschlossen haben, wieder ihrem Tisch nähert, fünf Kurze auf einem Tablett, lächelnd auf die Wachschützer deutet und um etwas Ruhe bittet.

Das ist auch der Moment, in dem der Betrunkenste der Männertruppe tatsächlich fünf prächtig angenatterte Damen an den Tisch führt, ein nicht mehr für möglich gehaltenes Erfolgserlebnis, es gibt großes Hallo, und die Truppe verfügt sich johlend auf die Tanzfläche, „Es geht mir gut“, singt Marius Müller Westernhagen, das Akkordeon tönt, und alles hat seine Ordnung.

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