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Berlin: In besseren Küchen ist Schmalhans immer häufiger der Chef

Der Gastronomie geht es nicht anders als anderen Wirtschaftszweigen. Im Januar wird bilanziert, und dann gibt der Steuerberater einen guten Rat: weitermachen oder aufgeben.

Der Gastronomie geht es nicht anders als anderen Wirtschaftszweigen. Im Januar wird bilanziert, und dann gibt der Steuerberater einen guten Rat: weitermachen oder aufgeben. In Berlin ist die wirtschaftliche Lage besonders hart, und deswegen wird überdurchschnittlich oft aufgegeben. Konjunkturkrise, 11. September und das tiefe Tal nach der Millenniums-Euphorie haben ihre Spuren hinterlassen. Es zeigt sich, dass die Hauptstadt noch immer weit davon entfernt ist, jene anspruchsvolle Gastronomie, die sie ihrem Ruf entsprechend brauchte, wirtschaftlich auch tragen zu können.

Am schwersten hat es angesichts knapper Kassen gegenwärtig die Mittelklasse, während Billig-Gastronomie und Spitzenbetriebe weniger angefochten scheinen; außerdem spielt der Standort eine entscheidende Rolle. Bislang letztes bekanntes Opfer des Restaurant-Sterbens ist die "Brasserie Sion" in der Luisenstraße in Mitte, die seit einigen Tagen nach draußen vor den verhängten Fenstern das in solchen Fällen Übliche verkündet: Man habe wegen Umbauarbeiten geschlossen. Ende eines ambitionierten Projekts, das mit dem Top-Koch Jürgen Fehrenbach Leben in eine vermeintlich aufstrebende Gegend bringen sollte. Doch der Bau der nahen Bundestagsbauten verzögerte sich, und auch der Ausbau der S-Bahnbögen hinter dem "Sion", wo das Konzept durch Tapas-Bar und Edel-Restaurant abgerundet werden sollte, kam nicht voran. Fehrenbach ging, kehrte noch einmal kurz zurück, doch da war es offenbar zu spät. Damit ist auch das Konzept des wirtschaftlich verbundenen "River Café" im Haus der Kulturen der Welt hinfällig, obwohl dort Mitarbeiter den Betrieb in bescheidenem Rahmen fortsetzen.

Ohnehin ist die Frage, ob und wann sich die Hoffnungen der Gastronomen auf das künftige Presseviertel um Reinhardt- und Luisenstraße erfüllen können. Abends ist es trotz der Eröffnung der Bundestagsbauten bis hinauf zum Friedrichstadtpalast praktisch menschenleer. Der erste, der daraus bittere Konsequenzen zog, war Josef Viehhauser. Der hanseatisch-österreichische Erfolgsgastronom, dem in Hamburg alles gelingt, hat Ende Januar sein Restaurant im Presseclub geschlossen und beziffert seinen Gesamtverlust auf 770 000 Euro - keine Laufkundschaft weit und breit, und von Journalisten allein kann kein Restaurant überleben, zumal, wenn es sich hinter dem abschreckenden Namen "Presseclub" verbirgt. Ein schlichter Fußmarsch um den Block legt den Eindruck nahe, dass das dort nicht die letzte Schließung sein wird, denn die meisten Restaurants bleiben selbst an guten Abenden leer. Auch die großen neuen Restaurants auf der Schokoladenseite des Viertels, vorn Unter den Linden, machen nicht den Eindruck, als werde dort Geld verdient. Hoch gefährdet sind vor allem die Hobby-Projekte begüterter Außenseiter, die sich in den Fallstricken der Branche nicht auskennen.

Ebenso schwer wie im neuen Osten ist es im alten Westen. Seit Anfang Februar ist beispielsweise Rockendorfs Restaurant in der Passauer Straße geschlossen - ohne Zweifel die zwangsläufige Konsequenz des Todes von Siegfried Rockendorf vor gut einem Jahr. Doch es war in der Branche ein offenes Geheimnis, dass das Restaurant auch zuvor keineswegs vor günstigen Perspektiven stand, denn es wurde im Windschatten des KaDeWes kaum beachtet, und die Partnerschaft mit einer Seniorenresidenz galt als wenig werbewirksam. Das ehrgeizig gestartete "Stil" im Stilwerk wurde schon vor geraumer Zeit auf Bistro-Niveau zurückgefahren. Ein anderer, viel gelobter Betrieb in sehr ungü nstiger Lage, "Am Karlsbad" - versteckt auf einem Hof nicht weit vom Potsdamer Platz - wurde nach den Sommerferien erst gar nicht wieder aufgemacht. Man sieht: Für versteckte Geheimtipps, die Anfang der 90-er Jahre von Feinschmeckern gesucht und gern gefunden wurden, ist in der aktuellen Lage der Branche einfach kein Platz mehr. Und in den Außenbezirken hat der Drang zur City ebenfalls kaum noch ein Ernst zu nehmendes Restaurant übrig gelassen. Beispiel für diesen Trend ist die Schieflage des Köpenicker Ars-Vivendi-Schiffs, das sich mit gehobener Küche in einer Ausflugsgegend nicht etablieren konnte.

Die nähere Zukunft, da sind sich Branchenkenner sicher, wird weitere Pleiten bringen. Neue Betriebe in der Spitzenklasse sind dagegen kaum zu erwarten: Die - nicht zufällig - schon lange herausgezögerte Eröffnung des Esplanade-Saals im Sony-Center ist derzeit der einzige Lichtblick; möglicherweise traut sich Paul Urchs, bislang Küchenchef im "Ritz-Carlton", dem jetzigen "Regent International", mit seinem Projekt in Grunewald auf den Markt. Ohne Mäzene oder wenigstens ein Hotel im Hintergrund ist praktisch nichts mehr zu machen, denn wer Geld für Gastronomie sucht, bekommt bei seiner Bank nicht einmal einen Gesprächstermin.

Wie es scheint, schlägt jetzt wieder einmal die Stunde mutiger Kleinunternehmer, die sich mit kleinem Aufwand an die Arbeit machen, die die Wände selbst streichen und in Küche und Service notfalls auf Selbstausbeutung setzen - Betriebe wie das Kreuzberger "Svevo" und das "Epoque" in Charlottenburg mögen dafür als Beispiel stehen. Gewisse Chancen gibt es ferner für gestandene Profis, die sich bescheiden auf mittlerer Ebene einrichten wie Franz Raneburger, der den gescheiterten "Bamberger Reiter" wieder selbst übernommen hat und als österreichisches Restaurant ohne Sterne-Anspruch betreibt.

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