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Ulrike Poppe. Die DDR-Bürgerrechtlerin ist seit dem 1. März 2010 „Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur“.Foto: ddp

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Berlin: „In Brandenburg ticken die Uhren schon anders“

„Auch für Roland Jahn hat der Rechtsstaat Vorrang.“ Diktaturbeauftragte Ulrike Poppe über die nachholende Aufarbeitung der SED-Diktatur in der „kleinen DDR“

Brandenburg lässt seinen Umgang mit der SED-Diktatur nach 1990 durch eine Enquetekommission untersuchen. Setzt sie „bundesweit Maßstäbe“, wie Marianne Birthler beim Start vor einem Jahr hoffte?

Ich würde es etwas zurückhaltender ausdrücken: Brandenburg gibt ein Beispiel, wie der Übergang in einen demokratischen Rechtsstaat untersucht werden kann, um daraus politische Konsequenzen ziehen zu können.

Von der „kleinen DDR“, die lange einziges Ost-Land ohne Stasi-Beauftragten war, gleich zum Vorreiter?

Warum nicht? Aber noch liegt viel Arbeit vor uns.

Vier von sechzehn Gutachten für diesen „Brandenburg-TÜV“ liegen vor. Lassen sich erste Schlüsse ziehen?

Das schon, über Versäumnisse im Umgang mit SED-Opfern zum Beispiel. Dort ist ein deutlicher Handlungsbedarf erkennbar geworden. Man mag noch darüber streiten, warum es dazu kam. Über die Tatsache selbst besteht auch in der Politik weitgehend Konsens. Nötig sind nun politische Richtungsentscheidungen, um ehemals Verfolgten eine andere Stellung in der Gesellschaft zu ermöglichen, ihr Schicksal zu würdigen und ihre Lebenssituation zu verbessern.

Was meinen Sie konkret?

Zum Beispiel das Defizit bei Beratungsangeboten. Wir merken es ja hautnah in unserer Behörde. Es gibt immer noch einen hohen Beratungsbedarf, den meine Mitarbeiter kaum bewältigen können.

Warum setzen hier viel weniger ehemals Verfolgte als anderswo nach der strafrechtlichen Rehabilitierung dann auch Entschädigungen für andere Nachteile durch?

Das Entschädigungs-Problem ist überall schwierig. Dass in Brandenburg die Anerkennungsquote noch niedriger ist, mag ebenfalls mit Beratungs- und Informationsdefiziten zusammenhängen.

Vielleicht hat es mancher aus Resignation gerade hier gar nicht erst versucht?

Das kann sein. Es hat sicher auch mit dem gesellschaftlichen Klima in Brandenburg zu tun. Offenbar fand hier weniger Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit statt als in den anderen Ost-Bundesländern. Es ist der Eindruck verbreitet, dass in Brandenburg besonders viele alte SED-Kader wieder in einflussreichen Ämtern sitzen. Ob das tatsächlich der Fall ist, wird noch untersucht. Dass diejenigen, die das SED-Regime unterstützt haben, heute wieder das Sagen haben, was manche durch die rot-rote Koalition symbolisiert sehen, führt bei ehemals Verfolgten mitunter zu Resignation und Bitterkeit.

Wie finden Sie die härtere Linie des Innenministers Dietmar Woidke gegenüber Ex-Stasi-Mitarbeitern in der Polizei?

Es ist gut, dass er anders verfährt als seine Vorgänger. Für ehemals Verfolgte ist es unzumutbar, wenn ihnen einer ihrer früheren Peiniger in der Uniform eines höheren Polizeibeamten gegenübertritt. Und es untergräbt das Vertrauen in die Polizei, wenn man als Bürger das Gefühl haben muss, von Wärtern aus DDR-Gefängnissen, von ehemaligen MfS-Leuten beschützt zu werden und deren Weisungsbefugnis ausgeliefert zu sein. Es ist mir unbegreiflich, dass es in all den Jahren nicht möglich gewesen sein soll, solche Beschäftigungsverhältnisse zu vermeiden.

Sollte die Justiz dem folgen?

Es war zu erwarten, dass sich auch in der Justiz möglicherweise Fehlbesetzungen herausstellen. Auch hier sollte sich der Dienstherr fragen, ob eine Überprüfung des hochrangigen Justizpersonals nicht dem Vertrauen in unser Rechtssystem förderlich wäre.

Der neue Stasi-Bundesbeauftragte Roland Jahn will 47 Ex-Stasi-Leute aus der Behörde entfernen lassen, die dort 20 Jahre loyal tätig sind. Unterstützen Sie das?

Ich habe mich als Beiratsmitglied der Behörde bereits zu Gaucks Zeiten gegen die Übernahme ehemaliger MfS-Mitarbeiter in unbefristete Arbeitsverhältnisse ausgesprochen. Leider erfolglos. Dass Roland Jahn nun prüfen lässt, ob es möglich ist, sie in andere Behörden zu versetzen, halte ich für richtig. Man sollte ihm deshalb nicht gleich unterstellen, er würde Moral und Gerechtigkeit über den Rechtsstaat setzen. Ich bin sicher, auch für Roland Jahn hat der Rechtsstaat Vorrang.

In Brandenburg ist für SED-Opfer allein das gesetzliche Minimum getan worden. Sollte man Sachsen folgen, das vom DDR-Regime verfolgten Schülern eine Landes-Entschädigung zahlt?

Das war 2001 auch im Brandenburger Landtag diskutiert und dann leider verworfen worden. Aber zu uns kommen immer wieder Menschen, die nach einem politisch begründeten Schulrauswurf keine angemessene berufliche Entwicklung mehr nehmen konnten. Neulich war jemand in meiner Behörde, mit dem als 18-jährigem Schüler regelrechte Schauprozesse veranstaltet wurden, 1958. Er wurde vom Abitur ausgeschlossen, für alle Zeit, weil er einmal nicht zur Wahl gegangen war. Ich will mich dafür einsetzen, dass es für solche Fälle eine Entschädigung gibt. Es würde dabei gewiss nicht um große Summen gehen, aber das Signal wäre wichtig.

Welche Korrekturen mahnen Sie bei den Gedenkstätten zur Diktatur nach 1945 an?

Sie wurden lange vernachlässigt. In der Enquetekommission sind Versäumnisse benannt worden. Das lässt Rückschlüsse zu, welche Bedeutung die Politik ihnen bisher beigemessen hat.

Was liegt besonders im Argen?

Wer nach Potsdam kommt, findet kein Hinweisschild auf das sogenannte Lindenhotel, das Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit mitten in der Innenstadt, in der Lindenstraße. Dabei hat diese Gedenkstätte überregionale Bedeutung, vom gleichen Rang wie der „Rote Ochse“ in Halle, der „Moritzplatz“ in Magdeburg oder die „Runde Ecke“ in Leipzig. Alle sind deutlich besser mit Personal und Mitteln ausgestattet.

Erstmals liegen Zahlen vor, wie wenig erforscht Opposition in Brandenburg ist.

Ja, der Rückstau ist auch damit erklärbar, dass es in den anderen Ländern seit den 90er Jahren Landesbeauftragte gibt, die regelmäßig Forschungspublikationen herausgeben. Das hat hier gefehlt. In meiner Behörde laufen jetzt erste Projekte an. Wir werden Spezialheime der DDR-Jugendhilfe in Brandenburg und den Widerstand in den drei zum heutigen Land gehörenden Bezirken untersuchen lassen. Das wird 2012 Schwerpunkt.

Nun hat die Mark wie Mecklenburg eher den Bismarck’schen Ruf, dass hier Revolutionen 50 Jahre später ausbrechen. Gab es Opposition außerhalb von Potsdam?

Aber natürlich! Ich weiß das auch aus persönlicher Erfahrung. Von 1987 bis 1989 war ich Regionalvertreterin für Berlin und Brandenburg im Rahmen des Netzwerkes Frieden konkret. Ich hatte alle Adressen von systemkritischen Gruppen in dieser Region, es waren 225, größere und kleinere Öko-, Friedens-, Menschenrechtsgruppen, kirchliche Gruppen. Deshalb versuchen wir Schulen dafür zu gewinnen, die Geschichte des eigenen Ortes zu erforschen, am besten zusammen mit den Heimatmuseen, in deren Ausstellungen die DDR-Geschichte meist auch zu kurz kommt. Ich bin überzeugt: Man wird überall fündig, wenn man sucht.

Wie sind die Reaktionen?

Es gibt wunderbare Beispiele, in Prenzlau etwa oder in Oranienburg, wo jetzt eine Ausstellung „Unangepasste Jugend in der DDR“ eröffnet wurde. Die Klagen über das verbreitete Unwissen in der Schülerschaft bestehen sicher zu Recht. Aber Interesse ist immer da.

Auch bei den Lehrern?

Natürlich gibt es auch die interessierten, engagierten Lehrer. Andere sehen sich überfordert: zu wenig Zeit, zu wenig Unterstützung … Und manche haben immer noch ein Problem damit, sich mit der DDR-Geschichte auseinanderzusetzen.

In der Enquete tobt nun meist ein Historikerstreit um die SED-Diktatur. Wird er von der Politik auf die Wissenschaft verlagert?

Solche Kontroversen gehören zur Auseinandersetzung mit unserer Diktaturgeschichte.

Haben Sie Sorge, die Enquete könnte als „Scheinlegitimation“ benutzt werden, dass in Brandenburg alles richtig gemacht wurde?

Scheinlegitimation, wofür? Da die Mitglieder ein breites Spektrum repräsentieren, kann allen Versuchen, etwas zu glätten, zu beschönigen oder unter den Tisch fallen zu lassen, widersprochen werden. Grundsätzlich sehe ich einen Aufklärungswillen auf allen Seiten.

Sie sind seit einem Jahr im Amt. Hat sich das Land verändert?

In Brandenburg ticken die Uhren heute schon anders. Ende 2009 haben die Stasi-Enthüllungen erhebliche Erschütterungen ausgelöst. Im Landtag habe ich eine Entschlossenheit wahrgenommen, den Kurs zu ändern. Inzwischen war ich viel unterwegs und habe überall Menschen getroffen, für die Auseinandersetzung mit unserer Diktaturgeschichte wichtig ist. In den Kommunen ist die Bereitschaft gewachsen, Mandatsträger auf Stasi-Zusammenarbeit zu überprüfen, was seit Anfang der 90er Jahre nicht mehr geschehen war. Es geht dabei vor allem um Transparenz und darum, Vertrauen in Politik zu stärken. Ich sehe meine Aufgabe darin, diese Auseinandersetzung weiter in Gang zu halten und dabei ein differenziertes und faires Herangehen zu fördern.

Gab es schon Situationen, wo Sie den Job lieber hingeworfen hätten?

Nein, ich spüre, dass die Arbeit, die wir leisten, gewollt wird. Wir können etwas bewirken, es macht mir Spaß. Ich habe es keinen Moment bereut.

Das Interview führte Thorsten Metzner

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