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Berlin: In der DDR wär’ das nicht passiert

Gregor Gysis öffentlicher Rücktritt zeigt, wie weit sich die PDS schon von der SED entfernt hat

Von Lothar Heinke

Also, dieser Gysi. Erst rettet er die SED. Dann beschließt er, Bundespolitiker zu werden, eilt flotten Schrittes hinauf in den edlen gesamtdeutschen parlamentarischen Olymp – wo ihm eines Tages der Stress (40 Zigaretten am Tag!) und die ewige Anmache des politischen Gegners die gute Laune verderben. Er sagt: Gregor, go home, und kaum, dass er es sich in der Hängematte seines Gärtchens so richtig gemütlich gemacht hat, ereilt ihn der Ruf der größten deutschen Hauptstadt, Senator und Bürgermeister zu werden. Als eleganter, beredter, schlagfertiger, textsicherer und nimmermüder Staatsmime auf die Bühne Berlin! Wer könnte da widerstehen? Das PDS-Volk, die SPD und die Klopfgeister der Genossen Marx, Engels und Clara Zetkin wollten es so, also auf auf zum Kampf, zum Kampf sind wir ja nun mal geboren.

Nun hat die Sache einen Knick bekommen. Gregor ging, weil er flog. Zurück in die Hängematte und zu den Akten in die Gerichtssäle. Nein, die Partei ist offensichtlich auchnicht mehr das, was sie mal war. Hat das Kollektiv der Parteiführung versagt? Wurde die Machtfrage nicht scharf genug gestellt? Das Bild der PDS gerät ins Wanken: Seit wann, fragt man sich besorgt, kann der einzelne Genosse machen, was er will? Wenn schon mal die ökonomische Schlüsselposition mit einem Guten aus den eigenen Reihen besetzt ist – sollte der da nicht nach dem Rat vom alten Mao als Guerillakämpfer wie ein Fisch im Wasser mitschwimmen? Man denke doch nur mal an den Spitzen-007 „Topas“, der jahrelang im Nato-Hauptquartier die komplette Militärstrategie der Allianz ausgekundschaftet und an die Zentrale in der Normannenstraße geschickt hat. Ha! Unser Gregor hatte Zutritt zu den intimsten Berichten und Bilanzen, blickte forschend in die Unschuldsaugen von Börsenhaien und Bankbesitzern und ergründete die dunklen Seelen kapitalkräftiger Konzernherren – das war eine offizielle Konspiration im großen Stil, noch dazu in allen Ehren, im Dienstwagen, mit Personenschutz und gut dotiert. Ja, wo ein Genosse ist, da ist die Partei. Aber die geht immer vorwärts, wenn es mit ihr nicht rückwärts gehen soll. Stattdessen nun wieder dieser Drang nach der Hängematte. So hatten wir uns den Schritt vom Ich zum Wir nicht vorgestellt, deine Argumente in allen Ehren, Genosse Gregor. Wohl einfach knieweich geworden, hä?

Das wäre in der DDR nie passiert. Oder man hätte es nie erfahren. Da haben diverse Minister zwar öfter leise darüber nachgedacht, den ganzen Kram hinzuschmeißen, aber das Große Haus am Werderschen Markt hatte stets das erste und das letzte Wort. Nach außen drang schon gar nichts, es herrschte Geschlossenheit in der Riege der alten Herren. Wenn die Fetzen flogen oder mal ein Staatssekretär gegangen wurde, war das eine interne Sache. Oder man log, wie 1985 beim Ost-Berliner SED-Chef Konrad Naumann, „gesundheitliche Gründe“ herbei. Nur der Selbstmord vom Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission Erich Apel 1965 war der Nachrichtenagentur eine knappe Meldung wert. Und was mag sich Ende 1986 hinter den dicken Mauern der Stasi-Zentrale abgespielt haben, als der Chefaufklärer Markus Wolf den Dunstkreis seines Geheimdienstes verließ, um sich „einer schriftstellerischen Tätigkeit“ hinzugeben?

Kein Vergleich mit Gregor Gysi. Nicht mal ein Parteiverfahren, auch kein Vermerk in der Kaderakte. Die Zeiten ändern sich. Nachdem die Agitatoren vom PDS-Wahlquartier in der Wilhelmstraße ratlos die Plakate mit den drei optimistischen Kandidaten von „Gysis junger Truppe“ weggeräumt haben, lesen wir in der Leserspalte des „Neuen Deutschland“ Worte zu Trost und Besinnung: „Einmal mehr wird deutlich – keiner von uns ist vor Fehlern gefeit. So bedauerlich das Ausscheiden G. Gysis ist – es wird weitergehen. Sozialisten und Kommunisten haben in ihrer langjährigen Geschichte so manche Niederlage, manchen Verlust erlitten und auch dann die bange Frage gestellt: Wird es weitergehen und wenn ja – wie? Es ging immer weiter.“ Am besten: Überholen ohne einzuholen, Herr Wolf.

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