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Berlin: In der Heimat verletzt, in Berlin gefeiert

Amnesty-Preis für Frauenprojekt aus Bangladesch Den Nachbar wollte sie nicht zum Mann. Er griff zur Säure.

Asma Aktar ist winzig. Lächelnd klettert sie auf die große Bühne. Ihr offenes schwarzes Haar fällt ihr bis über die Hüften. Sie trägt eine Kurta, das in Indien und Bangladesch bei Frauen übliche Hemdkleid mit passender Hose und Schal, in leuchtendem Lila. Von weitem sieht sie sehr hübsch aus. Doch gerade noch war ihr Gesicht als Großaufnahme auf der Leinwand zu sehen, in einem Film über Säureattentate in Bangladesch: Ihren linken, weißen Augapfel ohne Pupille konnte man dort deutlich erkennen, ebenso wie das vernarbte Gewebe auf großen Teilen ihres Gesichts.

Als sie 13 Jahre alt war, schüttete ihr Nachbar Assadulla Schwefelsäure ins Gesicht, weil sie seinen Heiratsantrag abgelehnt hatte. Er überfiel sie nachts im Haus ihrer Eltern. Die Säure verbrannte Asmas Kopfhaut, die Hände, vor allem aber ihr Gesicht. Asmas linkes Augenlid löste sich auf. Fünf plastische und vier Augenoperationen hat sie seitdem hinter sich. Männer in Bangladesch, die sich verschmäht fühlen, rächen sich nicht selten auf diese Weise an den Frauen. Mehr als 2000 Fälle sind seit 1999 dokumentiert. Die Gesichter der anderen Frauen im Film sind erschreckend anzusehen, bei ihnen ist die Tat nicht so lange her wie bei Asma, die Wunden sind noch frisch. Erst seit kurzem steht das Verbrechen unter Strafe: Aber nur wenige Täter werden zu Gefängnisaufenthalten oder im Höchstfall zum Tod verurteilt. Asmas Angreifer immerhin sitzt für die nächsten 32 Jahre im Gefängnis.

Es ist Sonntagabend im Deutschen Theater mit dem goldenem Stuck an der Decke, den mit rotem Damast bespannten Wänden und dem riesigen Kristalllüster. Hier wird zum vierten Mal der mit 7500 Euro dotierte Amnesty-InternationalMenschenrechtspreis verliehen. Im Publikum sitzen Frauen im kleinen Schwarzen, elegante Anzugträger, Menschen im schlabbrigen Pullover und mit Gesundheitsschuhen an den Füßen. Die ersten zwei Stunden vergehen mit Gesprächen, Musik, Moderationen: Pianistin Hélène Grimaud tritt auf, ebenso wie die Schauspieler Benno Fürmann und Franka Potente. Herbert Grönemeyer springt immer wieder zu Moderator Roger Willemsen auf die Bühne. Endlich leitet der Film über die Säureopfer die Übergabe des Preises ein: Er geht an Monira Rahman, die sich in Bangladesch für die Überlebenden von Säureanschlägen einsetzt – medizinisch, psychologisch und juristisch. Sie hat die Menschenrechtsorganisation „Acid Survivors Foundation“ mitgegründet. In ihrer Dankesrede erzählt sie von den verätzten Babys, die ihre Organisation betreut. Oft sind Verwandte die Täter, meist weil das Kind ein Mädchen oder bei einem Erbschaftstreit im Wege ist.

Doch der Höhepunkt des Abends ist Asmas Auftritt. Monira Rahman hat sie als Begleiterin für die Reise nach Berlin ausgewählt, als Stellvertreterin für die anderen Überlebenden der Säureanschläge, denen die Organisation helfen konnte. Es war ein langer Weg für die 21-jährige Asma von ihrem abgelegenen Dorf auf die Bühne des Deutschen Theaters in Berlin. Dort bezaubert sie alle mit ihrer heiteren Gelassenheit. Von Asmas Mut und Anmut schwärmt Sängerin Judith Holofernes, die mit ihrer Band „Wir sind Helden“ beim Festakt auftritt. Bundespräsident Horst Köhler erhebt sich von seinem Sessel, um die junge Frau aus Bangladesch auf beide Wangen zu küssen.

Nur Roger Willemsen dämpft automatisch seine Stimme, als er sie interviewt – als spräche er mit einem kranken Kind. Ob sie seelisch noch immer leide, will er wissen. Nur dann, wenn andere Menschen sie auf ihre Narben und ihr blindes Auge ansprächen, antwortet Asma. Sie wirkt locker, fast selbstbewusst. Und dann sagt sie: „Ich bedanke mich bei meinen Eltern und Geschwistern, dass sie mich noch lieb haben.“ Das ist bei Überlebenden von Säureattentaten nicht selbstverständlich. Viele Familien verstoßen ihre Töchter.

Irene Khan, ebenfalls aus Bangladesch stammende Generalsekretärin von Amnesty International, fordert zu stehenden Ovationen für die junge Frau vom anderen Ende der Welt auf: „Für diesen Auftritt hat sie mehr verdient als ein bisschen Applaus.“

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