zum Hauptinhalt
Die Kapelle im Olympiastadion steht den Fußballern und Fans seit der Fußballweltmeisterschaft 2006 offen.

© dpa

In der Kapelle von Hertha BSC: Heimspiel mit Gott

2006 sollen hier Spieler der argentinischen und der deutschen Nationalelf vor dem WM-Viertelfinale einträchtig miteinander gebetet haben. Auch heute ist die Kapelle des Berliner Olympiastadions Treffpunkt und Oase für Fans, deren Liebe zum Fußball und die zu Gott zusammengehören.

Es ist wie eine Pilgerfahrt: Wenige Minuten vor Anpfiff der Bundesligapartie Hertha BSC gegen VFL Wolfsburg steigt auf Höhe der Mittellinie eine kleine Gruppe gläubiger Fans die grauen Treppenstufen der Haupttribüne hinunter. Vorbei an freundlich nickenden Hostessen, an breitschultrigen Ordnern und Funktionären, die sich mit Pressevertretern in kleinen Gruppen vor dem Spielertunnel die Minuten bis zum Spielbeginn vertreiben. Ganz nah, am Spielfeldrand geht es entlang und schließlich hinein, in die Katakomben.

Dort steht das Heiligtum, Ziel der kleinen Pilgerfahrt: die Stadionkapelle. Vor jedem Heimspiel der Hertha kommen hier Fans zusammen und halten Andacht. Die Außenwände des ovalen Baus sind kardinalrot. Auf ihnen prangt der Leitspruch des Ortes: “Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?” Sportlicher Erfolg ist nicht alles, soll das heißen. Die Innenwände sind mit Blattgold verziert und tragen Bibelverse in 18 Sprachen. Alle sollen sie die Verbindung von Glaube und Sport betonen.

In einem engen Halbkreis nehmen die Fans auf dunklen Hockern um das goldene Taufbecken und den kleinen Altar Platz. Glocken läuten vom Band, sie markieren den Beginn der Andacht. Die Klänge verbreiten sich dumpf unter der niedrigen Decke und lassen die in Schals und Fußballtrikots gehüllten Gläubigen verstummen. Mit 40 Personen ist die Kapelle fast voll. Draußen im Stadion füllen sich die Ränge, 40.000 sind es heute.

Die “Prayers Lounge” liegt direkt neben der “Players Lounge”

Vor acht Jahren mit Spendengeldern errichtet, liegt die Hertha-Kapelle im Spielerbereich auf Ebene -4. Die “Prayers Lounge” neben der “Players Lounge”. Der Ort ist mit Absicht gewählt. Wenige Etagen darüber eröffnete Adolf Hitler 1936 von seiner Loge aus die Olympischen Spiele. Im Herzen des alten Nazibaus soll die Kapelle heute ein architektonisches Gegenstück zur menschenverachtenden Ideologie des Nationalsozialismus bilden. Für den Standort gibt es aber auch einen praktischen Grund: Wer als Spieler oder Betreuer hierher möchte, soll es nicht weit haben von seinem Arbeitsplatz.

Der evangelische Pfarrer Bernhard Felmberg und der katholische Diakon Gregor Bellin betreuen die Kapelle gemeinsam. Für beide ist es eine ehrenamtliche Herzensangelegenheit. Vor jedem Heimspiel empfangen die beiden großen, lauten Hertha-Fans ihre Gäste. Begrüßen jeden mit Handschlag, viele mit Namen. Neben dem Altar packt ein junger Mann mit braunem Vollbart seine Gitarre aus. Bellin zieht einem kleinen Jungen beim Eintreten den Handschuh mit Vereinswappen aus, bevor er ihm die Hand drückt: “Dass du Herthaner bist, wissen wir doch.”

Religiöser Glaube oder verrückter Fankult

Stadionkapellen gibt es mittlerweile in verschiedenen Bundesligastadien. Auf Schalke stand die erste, auch Frankfurt hat eine. Die Verknüpfung von Gotteshaus und Sportstätte findet nicht nur positiven Anklang. Im RBB zeterte Fußballkommentator Manfred Breuckmann unlängst, die Kirche biedere sich mit diesen Kapellen nur an, “weil ihr die Schäfchen davonlaufen.” Die Fans kämen nicht wegen der Kirche, sondern weil die Kirche bei der religiösen Verehrung der Fußballvereine mitmache, so Breuckmann.

“Wir vermengen gar nichts. Die Klarheit der Glaubensaussage bleibt”, erwidert Felmberg auf diesen Vorwurf. Felmberg, der wegen Gerüchten um Liebesaffären zu Kirchenmitarbeiterinnen vergangenes Jahr sein Amt als Bevollmächtigter der Evangelischen Kirche Deutschland bei der Bundesrepulik Deutschland und der Europäischen Union ablegen musste, und sein Kollege Bellin wagen den Spagat zwischen religiöser Andacht und leidenschaftlicher Fankultur. Denn die Pfarrer wollen dort sein, wo die Menschen am Wochenende sind. Und wenn die nun mal ins Stadion gingen, dann sei es nur “logisch”, so Felmberg, dieses “spezielle Umfeld” in die Predigt “einzubauen.” Tatsächlich reichern Felmberg und Bellin ihre Andacht mit Beispielen aus der Fußballwelt an. Sie treten dabei auf wie zwei Trainer, die ihre Mannschaft kurz vor Spielbeginn wachrütteln wollen.

“Mein Herz schlägt blau-weiß”, sagt Diakon Bellin

Bellin, kleiner Bauch unter dem weißen Talar mit grüner Schärpe, beginnt mit ein paar Sticheleien gegen die anwesenden Wolfsburg-Fans: “Meine grün-weiße Tracht hat nix mit meiner Sympathie für Wolfsburg zu tun. Damit es da keine Verwirrung gibt, mein Herz schlägt blau-weiß.” Augenzwinkern, nur ein Scherz. Ein bisschen Rivalität beim Sport, aber Einheit im Glauben. “Lasst uns über die Vereinsgrenzen hinweg unsere Brüder und Schwestern erfahren”, sagt Bellin. Dann wird gesungen.

Pfarrerwechsel. Die Predigt ist für Bernhard Felmberg, Sportbeauftragten der Evangelischen Kirche, ein Heimspiel. Durchdringender Blick durch die sportlich geschwungenen Brillengläser, volle Stimme und ausladende Armbewegungen. Felmberg redet von der Wiederkunft des Herrn, dem Weltgericht. Die guten Schafe nach rechts, die, “die es verbockt haben”, nach links. “Ob es das auch für Fußballvereine gibt?” Kurzes Lachen. Die Fußballeinschübe dienen der Rhetorik. Die gläubigen Fans lauschen aufmerksam.

Raum für Gottes Wort in der Bundesliga

Felmberg mahnt: Der Glaube “zuhause auf der Couch” reicht nicht. Der Glaube muss gelebt werden, auch hier im Stadion. Felmberg will dem Wort Gottes in der Bundesliga Raum verschaffen, im Sport, wo es “neben allem Hochglanz” so viel Seelenleid gibt, sagt er. Das ist seine Mission. Noch ein Lied, das Vaterunser. Nach einer knappen halben Stunde ist die Andacht zu Ende. Kein Seelenleid jetzt, nur Vorfreude auf die Partie.

Christoph Schumacher hat die Lieder während der Andacht auf seiner Gitarre begleitet. Jetzt lehnt das Instrument wieder an der Wand. Vor jedem Heimspiel kommt Schumacher, unter der Woche Religionslehrer, in die Stadionkapelle. Für einen Sieg der Hertha betet der junge, ruhige Mann mit dem braunen Vollbart nicht. Dafür geht er später auf die Tribüne, anfeuern. Manchmal trägt er dabei ein Trikot mit der Nummer eins und der Aufschrift “Jesus.” Denn Schumacher ist Vorsitzender des ersten christlichen Fanclubs der Hertha, Totale Offensive.

Die Liebe zum Fußball und die Liebe zu Gott sind für ihn nicht voneinander zu trennen. Wenn Gott alle Bereiche des Lebens umfasst, warum nicht auch den Fußball?  “Wenn ich ins Stadion gehe, lasse ich Gott nicht zu Hause”, sagt Schumacher.

Totale Offensive: Als Christ im Stadion

Das Wappen von Totale Offensive: Der Fisch, das Symbol für Jesus Christus, Gottes Sohn, den Erlöser. Das Motto des Fanclubs: “Gegen den Strom.” Gegen den Strom bedeutet für Schumacher “als Christ” im Stadion sein, erkennbar an den blauen Schals mit Fischsymbol, an dem Banner mit der Aufschrift “Gott sei Dank Hertha”. Er will zu einem “sicheren Stadionbesuch für alle Fans” beitragen. Das heißt: Kinderbetreuung, Familienblock, kein Alkohol, keine Drogen, Weihnachtsfeiern mit Spielern, Fans und Jesus-Geschichten. Und eben die Andacht vor jedem Spiel.

Wer zum Gottesdienst will, muss sich von blau-bemantelten Hertha-Volunteers eine Stunde vor Spielbeginn in die Stadionkapelle führen lassen. Alleine gehen darf man nicht. Treffpunkt ist der Eingang zu Block C, VIP-Bereich. Gewöhnliche Fans kommen hier nicht rein.

Zu Beginn der Fußball-WM 2006 musste die frisch eröffnete Kapelle zunächst wieder geschlossen werden. Es gab Bedenken der Veranstalter. Ein konfessioneller Raum mitten in einer neutralen Sportstätte, das war nicht erwünscht. Befürworter der Kapelle protestierten. Die Initiatoren beteuerten: Die Stadionkapelle ist ein ökumenischer Raum, offen für alle. Zum Viertelfinale durfte sie wieder öffnen. Sie bekam sofort prominenten Besuch.

Zur Fußball-WM beteten hier Nationalspieler gemeinsam

Spieler der argentinischen und der deutschen Nationalelf sollen hier vor dem WM-Viertelfinale einträchtig miteinander gebetet haben, Hertha-Granden wie Arne Friedrich oder Dieter Hoeneß regelmäßig gekommen sein. In der Stadionkapelle schmückt man sich gerne mit solchen Anekdoten. Sie bringen Gäste, auch abseits der Heimspiele. 2006 wurde hier das erste Kind getauft. Die erste Trauung zwischen Hertha-Fans fand 2007 statt.

Die Kapelle soll ein lebendiger Teil des Stadionalltags sein. “Die Bibel ist kein totes Buch”, sagt Schumacher, “das sieht man hier.” Er zeigt auf die Verse an den Wänden. Damit werde die natürliche Verbindung von Glaube und Sport biblisch belegt. Links neben dem Altar ist ein Spruch aus den Korinther-Briefen zu lesen. Nur der schnellste Läufer in der Kampfbahn könne den Sieg erringen, steht da, und: “Lauft so, dass ihr ihn erlangt.”

Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Journalistenschule Berlin. Weitere Beiträge zum Thema "So glaubt Berlin" finden Sie auf soglaubtberlin.de.

Lukas Meyer-Blankenburg

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false