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Berlin: „In der Reha sind viele Fragen noch unerforscht“

Rehabilitation braucht Wissenschaft, sagen Experten. In Berlin und Brandenburg kooperieren Kliniken und Universitäten, um bessere Therapien zu entwickeln, sagt der Neurologe Michael Jöbges

Rehabilitation verbinden viele mit der Erwartung, nach einer Krankheit wieder vollständig gesund zu werden. Das ist sicher auch die Hauptaufgabe der Einrichtungen, trotzdem betreiben Rehazentren auch wissenschaftliche Forschung. Wieso?

Es gibt viele Fragen in der Rehabilitation, die unter wissenschaftlichen Aspekten nur unzureichend beantwortet werden können. Wir können uns in der Regel nicht auf umfangreiche Datenbanken und große Studien verlassen, die uns den Weg weisen. Denn es gibt nur vereinzelt große wissenschaftliche Untersuchungen über die Rehabilitation von kranken Menschen. Das hängt auch damit zusammen, dass Forschung viel Geld kostet und die Erkenntnisse sich nur bedingt vermarkten lassen. Im Prinzip fallen uns bei Visiten am Patientenbett fast jede Woche Fragen auf, auf die es noch keine Antwort gibt. Wir wissen derzeit zum Beispiel nicht, wie wir bei vollständig gelähmten Armen und Beinen von Schlaganfallpatienten sicher eine Bewegung hervorrufen können. Es gibt vergleichsweise wenige Einrichtungen, die in der Rehabilitationsmedizin forschen. Daher müssen wir versuchen, wichtige Fragen selber zu beantworten.

Was wird bei Ihnen in der Brandenburgklinik erforscht?

Es gibt verschiedene Forschungsprojekte mit einem sehr breiten Spektrum an Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft. Allein in der Neurologie laufen derzeit elf Untersuchungen. Wir schauen uns die Rehabilitationsmethoden genau an. Das heißt, wir fragen uns, welche Therapien führen zum besten Ergebnis. Wir versuchen beispielsweise, die Lernfähigkeit von Schlaganfallpatienten mithilfe von Gleichstromstimulation zu verbessern. Dabei schließen wir Elektroden an den Kopf der Patienten an und lassen ähnlich einer 9-Volt-Blockbatterie einen sehr leichten Strom fließen. Damit regen wir Nervenzellen im Gehirn an, Impulse auszusenden, die das Sprechen ermöglichen. Oder wir versuchen in Umfragen zu ergründen, wie es unseren Patienten nach der eigentlichen Rehabilitation ergeht. Denn wir wissen oft nicht, wie die angewandten Therapien auf die jeweiligen Patienten langfristig wirken und ob sie den Empfehlungen unserer Ärzte auch nach dem Ende der Behandlung in den eigenen vier Wänden folgen. Diese Untersuchung führen wir über fünf Jahre gemeinsam mit dem Institut für medizinische Soziologie der Charité durch, etwa 600 unserer Patienten sollen befragt werden.

Ist das eher die Ausnahme oder ist die Forschung ein integraler Bestandteil der Arbeit von Rehaeinrichtungen?

Es gibt natürlich weitere Rehabilitationskliniken, die eigene Studienprojekte organisieren: unsere Schwesterklinik in Leipzig beispielsweise. Es liegt aber immer bei der Einrichtung selbst, ob sie sich an einem Forschungsprojekt beteiligt oder nicht. Und auch, wie sie forscht. Im Land Brandenburg etwa haben sich verschiedene Betreiber von Rehazentren zusammengetan und gemeinsam eine Stiftungsprofessur Rehabilitationswissenschaft an der Universität Potsdam ins Leben gerufen.

Bitte nennen Sie einige konkrete Forschungsergebnisse Ihrer Klinik.

Nehmen wir zum Beispiel Parkinsonpatienten. Die Krankheitssymptome führen dazu, dass die Betroffenen oft stürzen. Das können Mediziner mit Medikamenten nur unzureichend behandeln. Wir haben aber eine Therapie entwickelt, bei der die Patienten reflexhafte Schutzschritte – also eine Art stützender Ausfallschritt – einstudieren, um einen Sturz abzufangen.

Wie motivieren Sie ihre Patienten, an Studien teilzunehmen?

Indem wir offen mit ihnen reden: „Wir möchten gerne herausfinden, wie die Reha auf den Einzelnen wirkt und ob unsere Ratschläge für den Alltag auch nach dem Behandlungszeitraum funktionieren. Alle Daten werden anonymisiert.“ Bislang ist die Zustimmung unter unseren Patienten sehr groß.

Welche Vorteile hat die Forschung für Ihre Patienten?

Die teilnehmenden Patienten erhalten zum Beispiel zusätzliche Therapieeinheiten während ihrer Rehabilitation. Wir vergleichen dann, ob die Gruppe mit den Extrastunden einen größeren Erfolg hat, als die ohne – oder nicht.

Wie sicher ist die Rehaforschung?

In der Regel sind die Risiken sehr überschaubar, gerade dann wenn man Verfahren wissenschaftlich bewertet, bei denen die Patienten neue Therapieformen einüben sollen. Es ist eben ein Unterschied, einen speziellen Ausfallschritt zum Abfangen eines Sturzes zu erlernen oder aber bei einer Medikamentenstudie mitzumachen. Dort nehmen Patienten unter Umständen neue Arzneimittel ein, wodurch unerwünschte Nebenwirkungen eintreten können. Die Risiken beider Studienformen sind überhaupt nicht vergleichbar.

Bei welchen Krankheitsbildern gibt es denn noch einen dringenden Bedarf an Rehabilitationsforschung?

Wir brauchen unbedingt Forschung bei den Krankheiten, die wir noch nicht oder noch nicht wirksam genug therapieren können. Dadurch sind Betroffene erheblich in ihrer Lebensqualität ihr Leben lang eingeschränkt. Bei uns in der Neurologie an der Brandenburgklinik wäre das beispielsweise bei bestimmten Parkinsonsymptomen nötig und bei Schlaganfallpatienten mit Sprachstörungen.

Michael Jöbges ist ärztlicher Direktor der Brandenburgklinik in Bernau, eine der größten Rehabilitationskliniken in der Region. Mit dem Neurologen sprach Matthias Lehmphul.

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