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Berlin: In Deutschland kann man besser alt werden

Astge und Bogos Demirci kamen vor 30 Jahren - nun wollen die Rentner auch ihren Lebensabend in Berlin genießenSilke Edler Der Aufstieg zu ihrer Kreuzberger Altbauwohnung im fünften Stock fällt Astge und Bogos Demirci zunehmend schwerer. "Irgendwann ziehen wir hinaus, in einen ruhigen Stadtteil, wo wir nicht so viele Treppen steigen müssen", sagt Bogos Demirci.

Astge und Bogos Demirci kamen vor 30 Jahren - nun wollen die Rentner auch ihren Lebensabend in Berlin genießenSilke Edler

Der Aufstieg zu ihrer Kreuzberger Altbauwohnung im fünften Stock fällt Astge und Bogos Demirci zunehmend schwerer. "Irgendwann ziehen wir hinaus, in einen ruhigen Stadtteil, wo wir nicht so viele Treppen steigen müssen", sagt Bogos Demirci. So ganz sicher scheint er sich allerdings nicht zu sein, denn Kreuzberg bedeutet für ihn und seine Frau ein Zuhause - seit 25 Jahren schon. Hier kennen sie fast jeden und fast jeder kennt sie. Die frühere Küchenhilfe Astge Demirci weiß, wo sie was einkaufen kann und ihr Mann liebt es, sich auf der Straße mit "Hinz und Kunz" zu unterhalten.

Das Ehepaar ist vor mehr als 30 Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Sie gehören zur ersten Gastarbeiter-Generation und haben sich entschieden, in Deutschland alt zu werden. "Wir haben zwar noch Verwandtschaft in der Türkei, aber zurückkehren würden wir nicht mehr", sagt die Rentnerin. Hier seien die drei Kinder, die nicht in der Türkei leben wollten. Auch die soziale und medizinische Versorgung sei in Deutschland viel besser und mit dem sozialen Netz in der Heimat nicht zu vergleichen.

Vor fast 32 Jahren kam Astge Demirci als Erste der Familie nach Deutschland, um hier zu arbeiten. "Damals kamen Anwerber deutscher Firmen in die Türkei und haben uns Arbeit angeboten", erinnert sich die 64-Jährige. Vor allem die Frauen waren sehr begehrt, weil sie mit ihren schmalen Fingern gut für kleinteilige Arbeiten geeignet waren. Astge Demirci ließ ihren Mann und ihre Kinder im Süden der Türkei zurück und ging nach Bremerhaven, um dort auf einer Werft zu arbeiten. Etwa fünf Monate später kam auch ihr Mann in die Hansestadt und entlud im Hafen die Bananendampfer. Ihre beiden Kinder sah die Mutter erst nach einem Jahr wieder. "Das war eine schwere Zeit."

1970 siedelten die Demircis nach Berlin um - hier waren die Löhne höher und jeder Gastarbeiter bekam ein "Begrüßungsgeld" von 1300 Mark. 15 Jahre lang schuftete Bo"gos Demirci in einer Zehlendorfer Spinnerei, dann machte er sich mit einem Im- und Exportgeschäft selbstständig, arbeitete in einem Trödelladen und hatte einen Stand auf dem Flohmarkt am Reichpietschufer. Lesen und Schreiben konnte der Familienvater nur wenig. Er hatte in der Türkei nur fünf Jahre lang die Schule besucht. Seine Frau kam - wie so viele - als Analphabetin.

Doch die beiden sind zufrieden, wenngleich ihre Rente nach so vielen Arbeitsjahren nur sehr gering ist. Jetzt haben die beiden Zeit, sich um das zu kümmern, wozu sie all die Jahre keine Zeit hatten. Astge Demirci hat sich bereits vor einigen Jahren einen jahrzehntealten Wunsch erfüllt: sie holte mit 60 ihren Grundschulabschluß nach. Fünf Jahre lange büffelte sie Fächer wie Türkisch und Sozialkunde, lernte Schreiben und Lesen und bestand vor vier Jahren ihre Abschlußprüfung. Heute drückt das Ehepaar jeden Tag zusammen die Schulbank und lernt Deutsch. "Das macht großen Spaß, wir versäumen keine Stunde", sagt Demirci.

Darüber hinaus engagieren sie sich für ausländische Senioren. Sie wurden für das Projekt "Alt werden in der Fremde", das mehrere Wohlfahrtsverbände anbieten, zu "Multiplikatoren" geschult. Das Projekt soll sich intensiver um ältere Migranten kümmern (siehe rechts). "Wenn ich von jemandem höre, dass es ihm nicht gut geht oder dass er krank ist, empfehle ich ihm, sich bei der AWO oder bei der Caritas zu erkundigen", erzählt Astge Demirci. "Uns ist nie langweilig", sagt der frühere Trödelhändler.

Silke Edler

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