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Berlin: In guter Gesellschaft

Seit 1979 organisiert Karola Kronheim Feiern gegen die Einsamkeit Die Besucher werden mit Gebäck, Kartoffelsalat und Würstchen bewirtet.

Karola Kronheim kennt dieses schreckliche Gefühl, wenn man Heiligabend allein zu Hause sitzt. Sie weiß, welche traurigen Gedanken einem kommen, wenn man den Fernseher anschaltet und auf allen Programmen die sentimentalen Serien laufen. „Es ist so erdrückend und man glaubt, ganz allein auf der Welt zu sein“, sagt die 68-jährige Rentnerin aus Steglitz. Deshalb hat sie 1979 zum ersten Mal eine Weihnachtsfeier für alleinstehende und einsame Menschen in Berlin organisiert. „Anfangs kamen nur Obdachlose zu mir, weil die Kneipen Heiligabend damals noch nicht auf hatten“, erinnert sich Karola Kronheim.

Inzwischen hat sich ihre Idee längst rumgesprochen und die Menschen kommen aus ganz Berlin ins Reinhold-Voht-Haus der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Lichterfelde. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Gründen, weil sie zerstritten sind mit ihren Familien, sich gerade von ihrem Partner getrennt haben oder niemanden mehr haben. Nein, sie frage da nicht nach, warum jemand kommt, das mache nur noch trauriger, sagt Kronheim. Viele sind schon von Anfang an mit dabei, manche sieht man aber auch nie wieder. „Einmal war ein Ehepaar dabei, das sich mit einem anderen Ehepaar zerstritten hat. Zum Glück sind sie irgendwann gegangen und nie wieder gekommen“, sagt Kronheim.

Sie legt die letzten Tannenzweige für die Deko ordentlich auf jeden Tisch und hängt eine heruntergefallene Christbaumkugel an den Weihnachtsbaum, der in diesem Jahr zum ersten Mal keine echte Tanne ist. „Irgendjemand hatte immer was am Baum auszusetzen. Der sieht doch ganz akkurat aus, wie geschnitzt“, sagt Kronheim. Bis zu 30 Personen nehmen an ihrer Weihnachtsfeier teil, die meisten unangemeldet. Bezahlen muss niemand etwas, die Feier wird komplett vom Bezirksamt finanziert. Jeder soll spontan entscheiden können, ob ihm nach Feiern zumute ist oder nicht. „Über Tod und Krankheiten wollen wir an diesem Abend nicht sprechen, lieber über fröhliche Geschichten“, sagt sie.

Wie in einer Familie pflegt Kronheim alte Traditionen. Sie liest ihren Gästen jedes Jahr eine Weihnachtsgeschichte vor, spielt Lieder auf dem Klavier, und wer mag, darf Geschichten zum Besten geben oder Gedichte aufsagen. Gegen Abend kommen ihre Nichten und Neffen vorbei und feiern mit, seit ein paar Jahren ist das schon so.

32 Stollen, 32 Tüten Gebäck und Schokokugeln für die bunten Teller, 60 Würstchen und 30 Schüsseln Kartoffelsalat hat Kronheim für das Fest eingekauft. Am Ende bekommt jeder noch eine Tüte mit nach Hause. Alkohol und Pralinen mit Schnaps gibt’s nicht. „Es kommen auch Menschen aus Suchtgruppen, und die sollen nicht in Versuchung geraten“, sagt Kronheim. Sie hofft, dass auch in diesem Jahr wieder zahlreiche einsame Menschen den Weg zu ihrer Weihnachtsfeier finden. Kerstin Hense

Die Feier beginnt Heiligabend um 15 Uhr im Reinhold-Voht-Haus, Osdorfer Straße 121, Lichterfelde.

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