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Berlin: In jeder Beziehung aufregend

Wahlberliner Jochen Busse staunt über die Stadt von Frohnau bis Oberschöneweide. Jetzt spielt er wieder am Kurfürstendamm

Er weiß genau, um was es geht: Drei Ehen hat Jochen Busse hinter sich, jetzt lebt er in der vierten. „Ja, natürlich, Liebe kann endlich sein“, sagt er und freut sich über die attraktive Bedienung im Café Dressler am Kurfürstendamm. Nebenan, in der Komödie, steht er ab Sonntag auf der Bühne – in der Wiederaufnahme von „In jeder Beziehung“. Das Stück von Lars Albaum und Dietmar Jacobs behandelt genau diese Problematik: Was tun, wenn die Liebe in Routine versunken ist? Busse spielt Paul, der seit 24 Jahren mit Leah (Claudia Rieschel) verheiratet ist und sich von seinem besten Freund einreden lässt, er müsse nochmal richtig die Sau rauslassen. Also vereinbaren Leah und Paul, dass jeder einen Seitensprung machen darf – aber nur einen! Man kann sich vorstellen, dass damit die Verwicklungen erst anfangen.

Busse ist jetzt 70. „Eigentlich hat unsere Generation immer Glück gehabt“, sagt er. „Als wir jung waren, gab es die Pille, als HIV und Aids kam, waren wir schon über das Gröbste hinweg, und jetzt sind wir alt, da gibt es Viagra!“ Doch zugleich ist diese Generation auch die erste, die von allen Seiten darauf aufmerksam gemacht wird, welche Fülle an Möglichkeiten es gibt. Das Ergebnis: Das nagende Gefühl, etwas verpasst zu haben. War das schon alles im Leben? Die Vorgängergeneration, Oma und Opa, hätten sich nie scheiden lassen, auch wenn sie sich vielleicht jeden Tag angegiftet haben. Und die Nachfolgegeneration heiratet erst gar nicht oder immer seltener und lebt in Patchworkfamilien. Die Ehe verändert sich. Busses Rat für Paare, die an sich zweifeln: Sich Regeln setzen. Die Dinge mit Feingefühl beim Namen nennen. „Sagen Sie ihr, dass Grün eine wunderbare Farbe ist, im Wald, am Weihnachtsbaum – aber nicht unbedingt auf dem Kopf einer rothaarigen Frau“. Und: Streit aushalten. Der geht vorbei. Genauso wie die schönen Momente. Und wenn es nicht mehr anders geht: Einen Strich ziehen.

Auch Busse lebt in einer Patchworkfamilie. Seine Frau, die er auf Ibiza kennengelernt hat, hat zwei Kinder in die Ehe gebracht. „Deren Vater kommt zu Besuch, dann kommt der Jochen, alles überhaupt kein Problem“, erzählt er. Sie wohnen in Westend. Busse ist 2007 wegen seiner Frau, einer gebürtigen Berlinerin, in die Stadt gezogen. „Es ist so aufregend. Ich fahre mit dem Auto durch die Stadt, pures Kino, ich kann mich nicht sattsehen an dieser Unterschiedlichkeit etwa zwischen den alten Elektrohallen in Oberschöneweide und dem Zeltinger Platz in Frohnau.“ Es ist das erste Mal in seinem Leben, dass Busse richtig in Berlin wohnt – aber die Stadt kennt er schon seit seiner Jugend. 19 war der gebürtige Iserlohner, als er erstmals hierherkam, Friedrich Hollaender hatte ihn an den Münchener Kammerspielen gesehen und für das Stück „Der kleine Moritz“ im Keller des Theater des Westens engagiert. Das war 1961: „Wir saßen im Lokal der Schaubühne, als plötzlich der ganze Ku’damm hupte: Eine Demo gegen den Bau der Mauer!“ Das Inselgefühl, der Koller, die ständige Bedrohung vor den Russen, die vielen Wilmersdorfer Witwen, die es damals noch gab: All das hat sich Busse tief eingeprägt. „Aber zugleich gab es auch schon Rolf Eden, der Ku’damm wurde fein und teuer.“

Man muss Busse nur Stichworte geben, schon sprudeln die Geschichten aus ihm heraus. „Im Bristol, schräg gegenüber von den Ku'damm-Bühnen, trafen sich gern die nach Deutschland zurückgekehrten jüdischen Musiker und Schauspieler wie Hollaender oder Max Nosseck. Nicht weit entfernt, in der Grolmannstraße, hatte Johnny Rapperford seine Kneipe, sie hieß ,Deutscher Bühnenclub’. Er zeigte mir mal eine Zigarrenkiste, da lagen all die gestundeten Rechnungen von Prominenten drin.“

Lange vorbei. Und nächstes Jahr geht mit dem Abriss der beiden Ku'damm- Bühnen womöglich eine Ära zu Ende. Busse hat sich engagiert für die Erhaltung der Bühnen und musste sich dafür als Ewiggestriger verspotten lassen. Das hat ihn verletzt. Auch er denkt, dass zwei Bühnen zu viel sind. „Aber wir wollten, dass wenigstens ein Theater im Original erhalten bleibt. Wer garantiert denn, dass der Investor nach dem Abriss auch tatsächlich wieder ein Theater baut? Und selbst wenn: Die historische Aura wäre dahin, das neue Haus gliche, selbst wenn einiges Mobiliar gerettet werden sollte, dem Kaisersaal am Potsdamer Platz: zerfleddert und wie eine Mumie ausgestellt.“ Was Hoffnung macht: Der Bürgerentscheid ist gescheitert, aber den Berlinern scheinen ihre Ku'damm-Bühnen dennoch am Herzen zu liegen. 230 000, so viel wie in keinem anderen Sprechtheater der Stadt, seien in der vergangenen Spielzeit gekommen, sagte Direktor Martin Woelffer am Mittwoch. Manche Liebe wird eben doch nicht alt. Udo Badelt

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