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Artikel in der "Neuen Zeitung" vom 24. Januar 1953.

© Repro: TSP

In OMAS ZEITung (3): Der Kinder-Kochkurs

Dorothea Spannagel war Lokalreporterin im Berlin der 50er Jahre. Ihr Enkel Lars entdeckt ihre Texte neu. Diesmal: Wie Kinder kochen lernen, um ihre Mütter zu unterstützen - viele von denen waren nach dem Krieg allein.

Eine herausragende Köchin war meine Oma Thea nicht. Ich erinnere mich an Hühnersuppe mit Reis und Kartoffelsuppe mit Speck, andere kulinarische Highlights aus ihren Töpfen fallen mir nicht ein. Am Tisch meiner Großmutter wurde vor allen Dingen schnell gegessen, der zügige Abschluss einer Mahlzeit schien immer wichtiger zu sein als ihr gemütlicher oder gar genussvoller Verlauf. Zumindest in ihrer Rolle als Reporterin der „Neuen Zeitung“ hat sie sich aber fürs Essen interessiert. Am 24. Januar 1953 berichtet sie über einen Kochkurs für Kinder – der damals anscheinend einer kleinen Sensation gleichkommt.

„Insgesamt sind es zwölf Kochaspiranten zwischen zehn und 13 Jahren, die sich jeden Freitag in der Dudenstraße beim Berliner Komitee für Ernährungsfragen treffen“, schreibt meine Oma. Sie findet es bemerkenswert, dass neben elf Mädchen auch ein Junge mitmacht, der elfjährige Helge. Als gute Reporterin fragt sie natürlich nach, wieso er den Kurs besucht. „,Weil ich Koch werde‘, antwortet er, ohne mit dem Kochlöffel zu zucken.“

Ab und zu hat meine Großmutter meinen Vater, damals sieben Jahre alt, mit zu Terminen genommen, die sie für die „Neue Zeitung“ besucht hat. Der Kinder-Kochkurs gehört mit Sicherheit nicht dazu. Die Kochkünste meines Vaters beschränken sich bis heute auf Spaghetti ohne alles, Spaghetti mit Spiegelei und Spaghetti mit Spiegelei und Ketchup. Die Kinder in dem Kochkurs sind da schon 1953 etliche Schritte weiter. Meine Oma besucht die siebte von insgesamt zehn Unterrichtsstunden, sie hat es also mit Fortgeschrittenen zu tun. Entsprechend anspruchsvoll klingen die Rezepte, die die Kursleiterin ausgesucht hat: „Auf dem Programm stehen Biersuppe (mit Malzbier, versteht sich), Möhren-Rettich-Salat, Fischpichelsteiner, Fisch in Tomatentunke, Nudeln mit Leber und rohe Apfelspeise“, schreibt meine Oma.

Biersuppe? Nudeln mit Leber? Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich Kinder auch schon 1953 andere Gerichte ausgesucht hätten, wenn sie die Wahl gehabt hätten. Ich kann mir auch keine noch so feine Zutat vorstellen, die man durch die Zubereitungsform „in Tomatentunke“ nicht ruinieren könnte. Allerdings geht es bei dem Kurs auch nicht darum, Kinder fürs Kochen zu begeistern oder zu kleinen Gourmets zu erziehen. „Die meisten Kochschülerinnen haben kleinere Geschwister zu Hause und sollen der Mutter besser zur Hand gehen können“, schreibt meine Großmutter. „Andere wieder lernen kochen, weil die Mutter arbeiten geht und sie den Haushalt führen müssen.“

Im Berlin der 50er Jahre sind Spaß und Freizeit keine große Themen. Wie so oft berichtet meine Oma in ihrem Artikel davon, wie die Menschen sich abstrampeln, wie sie versuchen, alle irgendwie durchzufüttern, wie sie improvisieren und sich nicht unterkriegen lassen. Am Ende des Tages hat man es sich dann verdient, für einen kurzen Moment die Füße hochzulegen. Und ein Stückchen Leber in die Tomatentunke zu stippen.

Diese Kolumne ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen. Alle Folgen finden Sie unter diesem Link.

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