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In OMAS ZEITung (33): Saisonbeginn

Dorothea Spannagel war Lokalreporterin im Berlin der 50er Jahre. Ihr Enkel Lars entdeckt ihre Texte neu. Diesmal: Oma Thea startet ins Weihnachtsgeschäft.

In der Regel geht es Anfang November los, dass Berlin sich für die Weihnachtszeit schmückt. Den Auftakt zur heißen Phase markiert dann Jahr für Jahr eine mächtige Tanne oder Fichte, die öffentlichkeitswirksam von irgendwoher geschafft und irgendwohin gestellt wird. Mindestens genauso wichtig für die Stadt ist danach die Kritik der Berliner an eben diesem Baum, der unzweifelhaft und eindeutig zu klein, zu groß, zu krüppelig, zu billig oder zu teuer geraten ist. In jedem Fall ist der Beginn der Weihnachtssaison immer ein Thema – egal ob im Tagesspiegel des Jahres 2015 oder in der „Neuen Zeitung“ des Jahres 1950.

„Richtiger Weihnachtstrubel“

Meine Oma Thea jedenfalls ist vor 65 Jahren pünktlich am 1. November nach Neukölln gefahren, um den „Startschuss für das Berliner Weihnachtsgeschäft“ zu erleben, wie sie in der „Neuen Zeitung“ schreibt. Die Qualität der Bäume scheint zufriedenstellend, schließlich erwähnt sie die „drei lichterstrahlenden Douglastannen“ nur nebenbei. Spannender ist der Altberliner Weihnachtsmarkt, den ein Neuköllner Kaufhaus in seiner dritten Etage aufgebaut hat. Schon am ersten Tag herrscht Gedränge und „richtiger Weihnachtstrubel“, wie es im Artikel meiner Großmutter heißt – und wie ein Foto mit der Bildunterschrift „Es weihnachtet schon“ beweist. „Steppkes, den Bleistift hinter das Ohr geklemmt, den Zettel in der Hand, ziehen ihre Mütter von Stand zu Stand, um gleich an Ort und Stelle den Wunschzettel zu schreiben“, schreibt meine Oma.

Für den Magistrat West-Berlins und die Polizei bedeutet der Beginn der Weihnachtssaison auch eine Menge Arbeit. „Die Abteilung Wirtschaft und das Präsidium achten gemeinsam darauf, dass die diesjährigen Weihnachtsmärkte wieder den Vorschriften der Weihnachtsmarktordnung des Jahres 1935 entsprechen“, notiert meine Oma. Demnach dürfen die Märkte auf den Straßen nur vom 11. bis zum 27. Dezember abgehalten werden. „Da für einen zentralen Westberliner Weihnachtsmarkt ein repräsentativer Platz fehlt und auch am Funkturm kein Weihnachtsmarkt vorgesehen ist, werden die Märkte nur von den Bezirken aufgebaut werden“, schreibt meine Oma, zusätzliche Verkaufsbuden sollen dem Stadtbild aber das „vorweihnachtliche Gepräge“ geben. Der Magistrat verhandelt auch noch „über die Einfuhr von Weihnachtsbäumen aus Westdeutschland“, ab dem 10. Dezember sollen diese dann – zu klein, zu groß, zu krüppelig, zu billig, zu teuer? – verkauft werden.

Für mich beginnen die Weihnachtssaison und ihr Gepräge erst in neun Tagen. Dann eröffnet der riesige Weihnachtsmarkt bei mir um die Ecke, ab dem 23. November schieben sich Autos auf Parkplatzsuche durch die Spielstraßen in unserem Kiez. Ich werde mal in den Vorschriften der Weihnachtsmarktordnung des Jahres 1935 nachsehen, ob das überhaupt zulässig ist.

Diese Kolumne ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen. Alle Folgen finden Sie unter diesem Link.

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