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In OMAS ZEITung (6): Karstadt

Dorothea Spannagel war Lokalreporterin im Berlin der 50er Jahre. Ihr Enkel Lars entdeckt ihre Texte neu. Diesmal: die Wiedereröffnung von Karstadt am Hermannplatz 1951.

Der Mensch muss atmen, essen, trinken, schlafen – und shoppen. Zumindest seine Nase ans Schaufenster drücken, wenn das Geld nicht reicht. Meine Oma Thea hat gern Geld ausgegeben, sparen war nicht so ihr Ding. Für meinen Bruder und mich war das toll, mit uns im Schlepptau konnte sie an keinem Spielwarenladen vorbeigehen, ständig gab es neue Turnschuhe oder Süßigkeiten. Wenn es schneite, kaufte sie spontan einen Schlitten, und wenn es ihr selbst mal nicht so gut ging, leistete sie sich ein neues Kleid. Als Student musste mein Vater ihr regelmäßig Geld leihen, weil ihr eigenes am Monatsende überraschend aufgebraucht war.

Insofern hat ihr der Termin sicher Freude bereitet, über den sie am 8. Mai 1951 für die „Neue Zeitung“ berichtete. „Seit gestern hat Neukölln sein Wahrzeichen wieder: das Kaufhaus Karstadt am Hermannplatz“, schreibt sie. „Die Neuköllner und Kreuzberger Anwohner verteilten sich im Nu in alle Verkaufsräume, die nach kurzer Zeit überfüllt waren, so dass die Polizei die Wartenden nur schubweise einlassen konnte.“ Kein Wunder, schließlich führt das Geschäft laut meiner Oma „vom Taschentuch bis zum Kleinmöbel fast alles, was zum Leben notwendig ist“.

Bis zum Krieg war das Kaufhaus eine Sensation, ein Konsumklotz mit zwei eindrucksvollen Türmen, einem bis dahin in Europa noch nie gesehenen direkten Zugang zur U-Bahn und einer Fassade aus Muschelkalk. Ein Hauch von Manhattan zwischen Urbanstraße, Sonnenallee und Hasenheide. Die Dachterrasse im zehnten Stock war mit ihrem Blick über die Dächer Berlins eine große Touristenattraktion. 24 Rolltreppen beförderten die Kunden nach oben – eine Stunde vor Geschäftsschluss wurde die Laufrichtung geändert, dann ging es nach unten. Kurz vor Kriegsende zerstörte eine Explosion das Gebäude, vermutlich wollte die SS verhindern, dass im Kaufhaus lagernde Vorräte in die Hände der anrückenden Roten Armee fallen.

„Zwar hat es noch nicht seinen früheren Kolossalumfang erreicht“, schreibt meine Oma über den neuen Bau. „Aber auch mit drei Stockwerken ist es ein architektonisch gelungenes, imposantes Bauwerk.“ Ich selbst würde das heutige Karstadt-Haus nicht als imposant bezeichnen. Es ist groß, es gibt eine Menge Zeug, das war’s aus meiner Sicht aber auch. Das Faible fürs Shoppen habe ich nicht geerbt von meiner Oma. Aber ich wüsste gerne, wie das so war, 1951 am Hermannplatz. Ohne Punks und Dealer, ohne Handy-Shops, türkische Cafés und vietnamesische Imbisse, mit amerikanischen Soldaten statt amerikanischer Touristen. Es war bestimmt nicht besser – aber der Sound, die Gerüche, der Rhythmus?

Ich wäre gern dabei gewesen, als Karstadt vor 64 Jahren wieder eröffnet wurde. Wahrscheinlich hätte mich das Gedränge furchtbar genervt. Aber Oma Thea hätte mir bestimmt ein Kleinmöbel spendiert, mindestens.

Diese Kolumne ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen. Alle Folgen finden Sie unter diesem Link.

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