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In OMAS ZEITung (7): Zum Muttertag

Dorothea Spannagel war Lokalreporterin im Berlin der 50er Jahre. Ihr Enkel Lars entdeckt ihre Texte neu. Diesmal: Blumendiebstahl und persönliche Trauer zum Muttertag.

In ihren Texten für die „Neue Zeitung“ benutzt meine Oma Thea selten die erste Person Singular – das Wort „ich“ kommt so gut wie nie vor. Am 7. Mai 1954 ist das anders, da schreibt sie in einem Kommentar: „Ich finde, es müsste in diesem Jahre auch ohne Drohungen und Alarme klappen.“ Thema ist der Muttertag, beziehungsweise seine Kollateralschäden. „Der schwärzeste Tag in der Berliner Gartenbaugeschichte war der vorjährige Muttertag“, schreibt meine Oma. „Allein in einem Bezirk verschwanden über Nacht 10.000 Tulpen von der Grünbildfläche.“ Um einen erneuten Kahlschlag und „ein ähnliches Attentat auf die Blumenrabatten“ zu verhindern, seien die Berliner aufgerufen, „Blumen-Langfinger am Pflücken zu hindern, notfalls Polizei und Parkwächter zu alarmieren“.

Zwei Tage später, am Muttertag selbst, erscheint ein Text meiner Oma mit ganz anderem Tonfall. Ernst, fast feierlich, wie in einem Leitartikel. „Mütter lieben es eigentlich gar nicht, wenn viel Aufhebens um sie gemacht wird“, schreibt sie, selbst Mutter von zwei kleinen Kindern. „Am liebsten werkeln sie im Stillen, freuen sich, wenn ihre Kinder gedeihen und sind stets bereit, mehr zu tun, als von ihnen erwartet wird.“

In diesem Artikel geht es nicht mehr um Blumen und Blumendiebe. „Der heutige Gedenktag sollte überhaupt ein Ehren- und Feiertag für alle Frauen sein, denn unzähligen hat der Krieg die Illusion eines frohen Familienlebens zerstört.“ Diesmal verzichtet meine Oma auf die Ich-Form – obwohl sie sich mit diesem Satz wohl auch selbst meint. Neun Jahre zuvor ist ihr Mann, mein Großvater, in den letzten Kriegstagen irgendwo in Berlin verschollen. Meine Oma blieb mit einer Tochter und in Erwartung eines Sohnes zurück – meinem Vater. Ins Familienfotoalbum hat sie unter ein Foto des Gartens ihres Hauses in der Lintruper Straße 4 in Lichtenrade geschrieben: „Hier waren wir zu dritt viereinhalb Monate glücklich – und als wir bald zu viert sein sollten, ließ mich mein Rolf allein. Er wurde eingezogen am 21.4.45 und ist seitdem vermisst.“

Als ich diesen Satz vor Kurzem gelesen habe, musste ich schlucken. Ich bin selbst Vater und kann mir nicht einmal im Entferntesten vorstellen, wie es wäre, wenn meine Familie so auseinandergerissen würde. Oder besser gesagt: Wenn ich mir das vorstelle, wird mir sehr schnell sehr, sehr schlecht. Mein Opa ist nie wieder aufgetaucht, aber meine Oma hat ihren Lebensmut nie verloren, sie hat im Stillen gewerkelt und sich am Gedeihen ihrer Kinder und Enkelkinder erfreut. „Bringen wir auch den Frauen ein Blümchen, einen dankbaren Blick, die heute sich mit stummer Zwiesprache mit ihren Lieben begnügen müssen“, schreibt sie.

Ich bin sehr froh, dass die Zwiesprache mit meinen Lieben sehr lebendig ist. Und meine Frau bekommt morgen am Muttertag ganz bestimmt einen Blumenstrauß – gekauft, nicht geklaut.

Diese Kolumne ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen. Alle Folgen finden Sie unter diesem Link.

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