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Berlin: Ina Deters neue deutsche Welle

Die Sängerin will von Rockmusik nichts mehr hören. Sie tritt mit Chansons auf – und zieht nach Berlin

Sie fängt gleich an zu erzählen, die kleine Frau mit dem eingeflochtenen Haartuch. Es klingt schwärmerisch, fast rührend, wie sie sich an Rudi Dutschke erinnert, an die Demos vor dem Springer-Haus, an den seltsamen Klang in den Straßen: Ho, Ho, Ho Chi Minh. Aber da ging Ina Deter ja noch zur Schule, jeden Tag von Lübars in diese kleine Grafikschule in Wilmersdorf. „Mensch, wie hieß die denn noch?“ 19 war sie da. Und dann kam dieses Angebot, in einem kleinen Grafikbüro mitzumachen, in Westdeutschland, Köln. „Das war, als ob man nach Kanada auswandern würde. Meine Mutter sagte: Kind, mach das.“ Und sie ging weg aus Berlin. Für viele Jahre, gute und schlimme. Jetzt will sie unbedingt wieder zurück, sagt sie und malt mit den Händen Ringe in die Luft. „Der Kreis schließt sich.“

Ina Deter ist in Berlin. Sie sucht eine Wohnung für sich und ihre Katze, weil sie nicht mehr ohne ihre Familie und die Freunde leben will. „Man wird älter. Die Zeit der Kneipengeherei ist vorbei.“ Ina, die vor 22 Jahren „Neue Männer braucht das Land“ sang, ist jetzt Mitte 50. Das Kämpferische ist aus ihrem Gesicht gewichen, aber nicht die Leidenschaft. Mit der Rockmusik hat sie vor zehn Jahren abgeschlossen, als die Konzertsäle und die Verkaufszahlen ihrer CDs immer kleiner wurden. „Irgendwann war einfach Schicht.“ Jetzt wagt sie ein Comeback mit Chansons von Edith Piaf, von ihr auf deutsch neu interpretiert. Das ist völlig anderer Stoff als die provokanten Lieder von früher, als Ina Deter noch die viel geliebte und oft gehasste Stimme des deutschen Feminismus war.

Zwischen der alten und der neuen Ina liegt ein tiefer Abgrund, eine große Existenzkrise, die fast vier Jahre ihre Kraft absorbierte. „Ich habe mir nichts mehr zugetraut, war am Rande des Nervenzusammenbruchs.“ Die Frauenbewegung hatte sich zur Ruhe gesetzt, und Ina, die Berufsemanze, stand plötzlich alleine da. „Alle meine lieben Freundinnen hatten geheiratet, saßen mit ihren Kindern zu Hause. Ich war als Einzige übrig geblieben.“ Der Chef ihrer Plattenfirma wurde langsam nervös: „Na, Ina, wo bleiben die Hits?“

Das Herumtouren und die Auftritte wurden zur Belastung. „Ich hatte Stöpsel in den Ohren, damit ich den Lärm überhaupt noch aushalten konnte. Früher konnte es ja nicht laut genug sein.“ Ina Deter zog die Notbremse, ohne zu wissen, dass der Stillstand danach noch viel schlimmer werden sollte. „Es kam die Frage: Was machst du denn jetzt? Das war richtig hart.“

Ina Deter begann zu malen, zu schreiben, aber dieses Gefühl, das Richtige zu tun, kehrte erst mit Edith Piaf zurück. Ina wollte nach dreißig Jahren, in denen sie immer wieder Piaf-Lieder mitgesummt hatte, endlich die Texte verstehen. Sie gab ein paar Chansons ins Übersetzungsbüro und formte aus dem Material Liedtexte, die zu ihr passen, ohne das Original zu entstellen. Das Piaf-Programm begann vor drei Jahren im „Chamäleon“-Varieté, mit eher mäßigem Erfolg. Sie habe schon ein paar finanzielle Einbrüche erlebt, sagt sie, auch, weil die Radiosender kaum Notiz von ihr nehmen. „Viele Redakteure setzen immer noch die Hasskappe auf, wenn sie ,Ina Deter‘ hören.“ Aber das kennt sie ja. Als „Neue Männer“ 1982 herauskam, wurde das Lied im Radio boykottiert und Ina bekam eine Anzeige wegen Aufrufs zur Sachbeschädigung – inkriminiert wurde die Zeile: „Ich sprüh’s an jede Wand“.

Der Männer-Song ist inzwischen wieder in den Charts, gecovert von einer gewissen Valezka. Ina findet das okay. Sie hat mit dieser Zeit abgeschlossen und schwärmt jetzt von den sanften Arrangements ihrer Piaf-Auftritte. Keine Verstärker mehr, keine Stöpsel in den Ohren, nur noch die reine Lehre der Intonation. Auch hier schließt sich für Ingrid Deter – so steht es auf ihrer Geburtsurkunde – der Kreis zu den frühen Auftritten als Bob-Dylan-Liedertante im Berliner Steve Club.

Ina Deter hat viel über die Piaf gelesen und einige Parallelen festgestellt. „Das ist ein Stück von mir, dieser Kampf um Männer, um Anerkennung und um Liebe.“ Und es verbindet sie noch etwas: Die Deter ist so groß wie die Piaf: Hundertfünfzig Zentimeter.

Ina Deters Programm „Voila – Lieder von Edith Piaf in Deutsch“ läuft vom 31. August bis 2. September, jeweils um 20.30 Uhr im Tipi-Zelt. Karten: (01803) 279358

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