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Berlin: Indische Nächte sind lang

Die Musik klingt im ersten Moment gewöhnungsbedürftig. Kein Wunder, die Klänge stammen aus Bombay. Doch in den Berliner Clubs sind Bollywood-Partys absolut in. Zu den Klängen tanzen die Schicken in Mitte und die Alternativen in Kreuzberg

Bombenstimmung wie in Bombay: Verzückt versucht das Partyvolk im Oxymoron-Club, seine Bewegungen mit den indischen Klängen aus den Boxen zu synchronisieren. Nicht immer anmutig, aber dafür mutig. Bollywood ist in Berlin angekommen. Eigentlich beschreibt der Begriff ein Filmgenre mit endlosen Tanzszenen, kitschigen Staffagen und herzzerreißenden Gesängen, das vor allem in Bombay eine Heimat hat. Doch nun ist es auch ein Partyereignis. Bollywood -Feten gehören bereits zur Tradition in Londoner und Pariser Clubs, jetzt schwappte die Indienwelle nach Berlin. Wenn derzeit Bollywood-Pop wie regelmäßig im Oxymoron aus den Boxen säuselt, tanzen selbst verwöhnte Berliner Nachtschwärmer wie Aufziehfiguren. Schnelle, elektronische Beats, die mit indischer Filmmusik verwoben sind, sorgen für ekstatische Verrenkungen bis zum Morgengrauen.

Mit dem sprunghaften Erfolg seiner Bollywood-Nächte hatte Wekas Gaba kaum gerechnet. Seit drei Jahren organisiert der junge Afghane indischen Ursprungs den „Club Deewane“ – was so viel wie „Club verrückt“ heißt – in verschiedenen Orten der Stadt. Zuerst waren die Partys als Angebot für seine Landsleute gedacht, doch mittlerweile kommt ein bunt gemischtes Publikum zu den aufwendigen Feiern. „Wir wollen ein wenig Lifestyle des heutigen Indiens vermitteln und Klischees brechen“, sagt Gaba. Dabei präsentiert er Filme, Tanzaufführungen, Mode und Musik in einem modernen Aufguss. „Es war einfach an der Zeit, neue Einflüsse in die Clubs zu schleusen“, sagt der 23- jährige Student.

Damit Europäer auf diesen Partys keine schlechte Figur beim Tanzen machen, gibt es sogar fachkundige Anleitung. In einem Studio in der Stargarder Straße in Prenzlauer Berg übt Elissavet Angu mit Frauen den typischen Bollywood- Tanz, der sich kaum für ungelenke Körper empfiehlt. „Man muss mit Händen, Füßen, Kopf und Augen gleichzeitig arbeiten“, sagt Angu, die für den mehrstündigen Unterricht ein kleines Entgelt kassiert. Nach anfänglichen Lachanfällen wollen viele tatsächlich zu richtigen Bollywood- Grazien werden. „Allerdings sieht es mit der Bewegungskoordination oftmals schlecht aus“, scherzt Silke Stoll, eine der Teilnehmerinnen am Seminar.

Bollywood-Tänze und indische DJ- Nächte sind derzeit absolut in. Immer mehr Veranstalter versorgen Berliner Clubs mit kleineren Partyreihen, für die auch mal Stars vom Subkontinent eingeflogen werden. Zusätzlich heizte diesen Trend ein Überhit des Punjabi MC an, der eigentlich aus Frust über die eigene Erfolglosigkeit entstanden war und jetzt schon in Fußballstadien mitgegrölt wird. Diese Bhangra-Rhythmen füllen die Tanzflächen und lassen nicht nur Multi- Kulti-Herzen höher schlagen. Der vormals belächelte Nischensound entwickelt sich überdies zum lukrativen Geschäft für die Musikbranche.

Andere Vorreiter einer noch jungen Asian- Underground- Szene wollen indes den kulturellen Anspruch nicht ausklammern. So organisiert der Verein Cultural Exchange Group neben exzessiven Bollywood- Partys auch Lesungen indischer Autoren, Filmabende und Konzerte von traditionellen Musikern. In diesem Jahr hat man mit dem Karneval der Kulturen vom 6. bis 9. Juni und den Asien-Pazifik- Wochen vom 15. bis 28. September alle Hände voll zu tun. „Indien ist ja derzeit total en vogue, aber unsere Kultur wird in Deutschland oftmals verwurstet“, sagt Arun Sharma vom Verein. Dabei sei der kulturelle Stilmix auf dem Subkontinent viel spannender als die Entwicklung in weiten Teilen Europas.

Einen Vorgeschmack darauf gibt jene Clubmusik, die aus allen Spielarten wie Bhangra, Desi Pop und Panjabi das Beste herausfiltert und zu modernen Remixen formt. Freilich kann selbst dieses große Spektrum noch weiter gefasst werden, wie der Urban Karma Club im SO 36 in der Kreuzberger Oranienstraße beweist. Indische Klänge vermischen sich dort auf Konzerten und im DJ-Set mit arabischen und chinesischen Anleihen vollendet zu treibenden Groove-Stücken. Mit aufwendigen fernöstlichen Dekorationen und schrillen Diaprojektionen an den Wänden ist die Partyreihe kein Geheimtipp mehr. Schließlich ist auch in Kreuzberg das Bollywood- Fieber schon längst ausgebrochen.

Henning Kraudzun

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