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Berlin: Industrie hat wieder Zukunft

Seit 1991 gingen rund 180 000 Arbeitsplätze verloren. Doch jetzt stellen einige Betriebe neue Mitarbeiter ein

Nach Jahren des dramatischen Strukturwandels kehrt die Berliner Industrie auf den Wachstumspfad zurück. Im vergangenen Jahr legte das verarbeitende Gewerbe in der Hauptstadt erstmals seit 1991 wieder zu. Dass aus dem zarten Zuwachs von 2,3 Prozent in diesem Jahr mehr werden könnte, dafür spricht die gute Auftragslage, ein wichtiger Frühindikator. Der Maschinenbau meldet nach Angaben des Statistischen Landesamtes 16 Prozent mehr Aufträge als noch im Vorjahr, der Fahrzeugbau ein Plus von 14 Prozent, die chemische Industrie von vier Prozent. „Die Talsohle ist durchschritten“, sagt Hartmut Mertens. Für den Regionalexperten der Bankgesellschaft Berlin stehen die Zeichen damit gut, dass im laufenden Jahr erstmals auch wieder die Beschäftigung in der Industrie ansteigt.

Seit der Wiedervereinigung war es mit dem Produktionsstandort Berlin abwärts gegangen. Der Westteil musste sich nach dem Wegfall der alten Subventionen neu aufstellen, der Ostteil planwirtschaftliche Strukturen überwinden. Seit 1991 sank die Zahl der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe von 314 000 auf 140 000. Doch nun verlangsamt sich die Talfahrt. Nach dem jüngsten Konjunkturbericht der IHK startete vor allem die Industrie und hier insbesondere die exportorientierte deutlich optimistischer ins neue Jahr als noch 2004. 16 Prozent aller produzierenden Betriebe planen, 2005 neue Mitarbeiter einzustellen.

Ein Leuchtturm des industriellen Wiederaufschwungs ist Berlin-Chemie. Das Pharmaunternehmen will bis 2008 die Zahl der Mitarbeiter verdoppeln. Schon jetzt ist der Spezialist für Herz-Kreislauf-Mittel und Antidiabetika mit rund 3700 Mitarbeitern der einzige Betrieb im Ostteil der Stadt, der über mehr Beschäftigte verfügt als noch zu DDR-Zeiten. Parallel zum Stellenausbau werden die Produktionskapazitäten in Adlershof mit Investitionen von 45 Millionen Euro verdreifacht. Nach eigenen Angaben profitiert Berlin-Chemie vor allem vom Geschäft in Osteuropa. Dort wird die Hälfte des Umsatzes gemacht.

Doch neue Arbeitsplätze sind längst nicht alles. „Die Berliner Industrie hat bei der Produktivität enorm zugelegt – seit 2001 liegt diese über dem Bundesdurchschnitt“, erklärt Klaus Semlinger, Professor an der Berliner Fachhochschule für Technik und Wirtschaft und Autor der Studie „Berlins Industrie nach der Wiedervereinigung“. So habe die Industrie die Rolle des kranken Mannes der städtischen Wirtschaft inzwischen abgelegt. Deutlich macht dies auch die gestiegene Exportquote. 1991 ging nur jedes zehnte Produkt made in Berlin ins Ausland, heute ist es jedes dritte.

Besonders hoch ist die Exportquote in den Werken der Konzerne. Bei Siemens – mit 14 600 Mitarbeitern größter industrieller Arbeitgeber der Stadt – beträgt diese 90 Prozent. „Die Berliner Werke arbeiten äußerst produktiv und brauchen den Wettbewerb mit anderen Siemens-Standorten in aller Welt nicht zu scheuen“, sagt Gerd von Brandenstein, Repräsentant der Siemens-Konzernleitung in Berlin. Strategisch gestärkt wurde der Hauptstadt-Standort zuletzt durch die Ansiedlung der Vertriebszentrale für Deutschland. Ein Ausbau der Produktion ist derzeit aber nicht geplant.

Anders bei Daimler-Chrysler. In Marienfelde hat der Autobauer in den vergangenen drei Jahren 220 Millionen Euro investiert, um die Produktion der V6-Dieselmotoren und der Nockenwellen zu übernehmen. Bis Ende 2005 sollen 400 Mitarbeiter neu eingestellt werden. Wie bei Siemens deutet auch hier eine hohe Ausbildungsquote von sechs Prozent auf die Zukunftsfähigkeit des Standorts hin.

Eingestellt wird auch bei der Stadler Pankow GmbH. Seit 2000 produziert die Tochter der Stadler Rail aus dem schweizerischen Bussnang im Nordosten der Stadt. Geplant ist, die Belegschaft bis 2007 von derzeit 340 auf 420 auszubauen. Für den Hersteller von Schienenfahrzeugen ist Berlin vor allem als Hauptsitz der Deutschen Bahn und der BVG interessant. „Anders als in anderen Städten können wir in Berlin zudem in der Fläche wachsen“, sagt Geschäftsführer Michael Daum. Erst jüngst erhielt das Unternehmen einen Großauftrag über 20 neue Triebwagen von 90 Millionen Euro.

In vielen Betrieben entstehen aber trotz voller Auftragsbücher keine neuen Arbeitsplätze. Stattdessen profitieren Zulieferer und Leiharbeiterfirmen. Beispiel Alstom in Marienfelde. Das Unternehmen der elektrischen Antriebs- und Automatisierungstechnik erhielt im Januar neue Aufträge im Wert von 20 Millionen Euro und liegt damit deutlich über Plan. Um die Produktionsspitzen zu bewältigen, setzt Alstom, das seit 1989 am ehemaligen AEG-Standort fertigt, auf lokale Partnerunternehmen. Für Fachmann Semlinger liegt hierin eine weitere Stärke: „Die Berliner Industrie ist heute eng mit vor- und nachgelagerten Dienstleistern verknüpft. Das macht sie extrem flexibel und wettbewerbsfähig.“

Tanja Kewes

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