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Ein Mann mit Kippa nimmt an einer Kundgebung gegen Antisemitismus teil.

© dpa

Initiative "Salaam-Schalom": Juden und Muslime in Berlin gemeinsam für Toleranz und Frieden

Als Rabbi Daniel Alter Neukölln eine No-Go-Area für Juden nannte, organisierte sich die Antwort als Initiative. „Salaam-Schalom“ will ein gutes Miteinander verschiedener Religionen und Kulturen in Neukölln fördern.

„Bist du Jude?“ Als Daniel Alter, der an diesem Augustabend 2012 in Friedenau wie immer eine Kippa trägt, diese Frage eines arabischstämmigen Jugendlichen bejaht, prügeln der und seine drei Begleiter auf den Rabbiner ein. Später bezeichnet Alter, Antisemitismus-Beauftragter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, einige Teile der Stadt als „No-Go-Areas“ für Juden aufgrund des hohen Anteils an Muslimen. Neukölln gehört dazu.

„Unsere Initiative ist die Antwort auf diesen Vorwurf“, sagt Alice Meroz. Sie sitzt im Kreuzköllner Café Goldberg. Einem Kiez, in den die 38-Jährige mit ihrem damaligen israelischen Mann gezogen war. Für „ein wenig orientalisches Leben“, das sie nach der Rückkehr vom Studium in Israel vermisst hatte.

Die verschiedenen Kulturen und Religionen können voneinander lernen

Hier seien überall Israelis und Juden, sagt Meroz. Wer koscher essen will, wird in den vielen Läden und Imbissen fündig, die Lebensmittel anbieten, die Halal, also Moslems erlaubt sind. „Außerdem sind die Mieten noch relativ günstig“, sagt Meroz. Sie arbeitet am Abraham-Geiger- Kolleg, das liberale Rabbiner ausbildet. Ein paar von ihnen machen bei der interkulturellen Initiative mit. Aber auch Marokkaner, Iraner, Muslime, palästinensische Israelis, Christen, Säkulare und – wie sie sich nennt – „Zwischengestalten“ dieser Welten machen mit. Diese Welten haben alle ihren Platz in Neukölln, das will die im Dezember 2013 gegründete Initiative zeigen. Im Gründungsmonat führte die Initiative Video-Interviews mit jüdischen Neuköllnern, in denen sie darüber sprachen, ob das Viertel wirklich eine No-Go-Area sei. Später folgten Interviews mit Muslimen. Ihr erstes Projekt, um den Dialog zu öffnen.

Mittlerweile haben sich feste Beziehungen zur Sehitlik-Moschee am Columbiadamm entsponnen. Ab September wird der ungarische Jude Csaba Szikra im muslimisch-arabisch geprägten Rollberg-Kiez Schulkinder in der israelischen Nahkampftechnik Krav Maga unterrichten. Die Kinder sollen so Selbstvertrauen bekommen – von einem jüdischen Lehrer, erklärt Meroz. Die Botschaft: Die verschiedenen Kulturen und Religionen können nicht nur friedlich zusammenleben, sondern auch voneinander lernen.

Auch der harte Kern von Salaam-Schalom, der etwa 10 bis 15 Leute umfasst, lernt. Meroz’ israelisch-jüdische Nachbarin kam erst bei einem der vier- bis sechswöchentlich stattfindenen Treffen mit ihrem arabisch-israelischen Mitbewohner ins Gespräch über den Nahostkonflikt. „Da zeigte sich erst, dass sie einander viel zu sagen haben“, sagt Meroz.

Das Spielfeld der Initiative ist Berlin und nicht der Nahe Osten

Von einem Statement zum Militäreinsatz in Gaza nahm die Initiative Abstand. „Uns geht es aber nicht darum, den Nahostkonflikt zu lösen, wie der Name vielleicht suggeriert“, sagt Meroz. „Unser Spielfeld ist Berlin.“

Eine Stadt, die wie ein Magnet Menschen aus aller Herren Länder anzieht. Auch die Mehrheit der Initiativ-Mitglieder stammt nicht aus Deutschland, spricht die Sprache nicht. Deshalb arbeiten Meroz und die anderen an einem Einwandererhandbuch, das im Spätsommer unter anderem auf Hebräisch und Arabisch erscheinen soll. Eine Art Wörterbuch mit den wichtigsten Begriffen wie ’Wohnberechtigungsschein’, „damit man sich auch ohne Deutschkenntnisse im Behördendschungel zurechtfinden kann“, sagt Meroz. Das soll jeder nutzen können – unabhängig von Religion und Kultur.

Denn Salaam-Shalom will einen Beitrag zum friedlichen Zusammenleben aller Kulturen in Neukölln und Berlin leisten. Will auf „Ausgrenzungen in der Gesellschaft aufmerksam machen“, wie es auf der Website heißt. Eine Plakatkampagne im Spätsommer soll mit verbreiteten Stereotypen über den Islam aufräumen. Es gebe viele Muslime, die Israel kritisieren, ohne den Juden die Pest an den Hals zu wünschen, sagt Meroz. Leider würden gerade die Lauten gehört, die auf den Demos antisemitische Parolen riefen.

Rabbiner Daniel Alter begrüßt die Initiative und sagt, er würde sich freuen, wenn sie Recht und er Unrecht habe. Beides ist möglich: Im April dieses Jahres fragen arabische Jugendliche einen Israeli in Kreuzberg, ob er Jude sei. Er antwortet mit Ja. Am Tag darauf verprügeln sie ihn. Es muss noch viel getan werden für interkulturellen Salaam und Schalom – so heißt Frieden im Nahen Osten.

Vinzenz Greiner

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