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Zwei Jahrzehnte hat Lars Bohnke trotz Handicaps Teppiche verlegt – dabei galt seine Leidenschaft US-Autos. Heute arbeitet in einer Werkstatt, die sich auf solche Fahrzeuge spezialisiert hat.

© Thilo Rückeis

Inklusion: Ein Mann startet durch

Lars Bohnke wurde ohne linken Unterarm geboren. Heute schraubt an Autos und seinem Leben.

Amerikanische Autos sind seine Leidenschaft. Lars Bohnke hatte schon etliche Pick-ups, Vans und auch eine richtig schöne, ausladende Limousine. „Als das Benzin billiger war“, sagt Bohnke und grinst ein bisschen. Wer amerikanische Schlitten liebt, weiß, dass die schwer ins Geld gehen. Erst der Sprit, und dann ist immer irgendwas. Wenn etwas bei seinen Autos nicht funktionierte, griff er selbst zum Werkzeug. Jetzt schraubt Bohnke wieder. Inzwischen nicht nur zu seinem Vergnügen – sondern während seines Arbeitsalltags. Dass jemand sein Hobby zu seinem Beruf macht, ist schon selten genug. Dass es jedoch jemandem wie Bohnke gelingt, der seit seiner Geburt mit einer körperlichen Einschränkung lebt, ist extrem selten.

Es war das Jahr 1961, als die Bundesrepublik durch den Contergan-Schock erschüttert wurde. Babys kamen auf die Welt mit fehlenden oder deformierten Gliedmaßen. Nicht nur einige wenige, sondern mehrere tausend. Ihre Mütter hatten während der Schwangerschaft das damals rezeptfrei und millionenfach verkaufte Schlafmittel Contergan genommen. Bei Bohnke endet der linke Arm direkt unter dem Ellbogen, die Hand fehlt. Er führt seine Behinderung auf das Medikament zurück; auch wenn seine Familie keine Entschädigung geltend gemacht hat. „Eine Zeitlang bekamen wir ein paar Mark zu Weihnachten“, sagt Bohnke. Da habe der Großvater gesagt: „So ein Almosen wollen wir nicht mehr.“

Der Großvater spielt eine wichtige Rolle im Leben seines Enkels. Er weckte in ihm die Sehnsucht nach allem Amerikanischen. Er schenkte dem Jungen ein Pony, führte ihn zum Westernreiten und fuhr selbst mit Vorliebe amerikanische Autos. Bohnke wuchs in Britz auf. Das gehörte zwar zum amerikanischen Sektor; aber die GIs und ihre Kultur waren dort anders als in Zehlendorf oder Tempelhof längst nicht so sichtbar. Als der Junge älter wurde, lernte er Schlagzeug und trat mit seiner Band Earthwood Family in den amerikanischen Clubs, dem Silverwings, Checkpoint oder dem Harnack-House auf.

Auch bei seiner Ausbildung zum Fräser hatte er nur wenig Schwierigkeiten. „Ich sollte mir eine Prothese machen lassen, als ich die Ausbildung begann“, sagt Bohnke. Aber gebraucht hat er sie nicht: „Die liegt seit meinem 16. Lebensjahr im Schrank.“ Der Beruf war dann doch nicht so sein Ding; er sattelte um auf Teppichleger. Das machte er 20 Jahre lang. Es folgte eine Zeit in einer Tischlerei. Und dann wurde er arbeitslos. Zufällig traf er in dieser Zeit Frank Paulus wieder, einen alten Spielkastenkumpel aus Britz, der ebenso ein Faible für amerikanische Autos und vor einigen Jahren mit seiner Frau Silvia eine Werkstatt zur Restaurierung von alten und nicht ganz so alten Wagen aufgemacht hatte.

Auf der Website im Internet begrüßt „Cars before 90s“ Interessenten mit dem Spruch des Aphoristikers Manfred Hinrich „Das Kind im Manne hat vier Räder“. Die beiden Männer kamen ins Gespräch. Bald stand fest, Bohnke kann in der Werkstatt anfangen, die in einem Gewerbegebiet im äußersten Lichterfelde zwischen Teltow- und Stichkanal liegt. Paulus erkundigte sich bei der Arbeitsagentur Steglitz- Zehlendorf nach einer Förderung für den Arbeitsplatz. Da Bohnke über 50 ist und seine Behinderung im Amtsdeutsch als absolute Einschränkung gilt, wird eine Vermittlung über einen Eingliederungszuschuss gefördert. 24 Monate lang zahlt die Arbeitsagentur jetzt 30 Prozent des Bruttolohns. Manchmal kann eine Probebeschäftigung über drei Monate bezahlt werden. Das war bei Bohnke nicht nötig.

Am 1. April konnte der 53-Jährige dort anfangen – als Helfer in der Werkstatt. Da eine Behörde überprüfen muss, ob ihre Zuschüsse nicht irgendwo versanden oder missbräuchlich kassiert werden, machte sich Siegfried Jelic vom Arbeitgeberservice der Arbeitsagentur nach einiger Zeit auf zu einem unangekündigten Werkstattbesuch. „Da habe ich Herrn Bohnke unterm Auto erwischt“, sagt Jelic. Damit war für ihn klar, die Sache läuft. Bohnke übernimmt nicht nur Hilfsarbeiten, sondern führt Kundengespräche, übernimmt die Bestellungen und packt bei kleineren Reparaturen an, ist inzwischen der wichtigste Assistent des Meisters. „Der passt hierhin wie die Faust aufs Auge“, sagt Chefin Silvia Paulus.

Gerade wechselt Bohnke bei einem zu einem „Hot Rod“ aufgemotzten Ford A von 1932 die Zündkerzen. In den USA, dem Land der strengen Geschwindigkeitsbeschränkungen, wollen Fahrer von „Hot Rods“ vor allem laut dröhnend beschleunigen können. Irgendwann will Bohnke das dort auch einmal erleben. Denn bei aller Begeisterung – in Amerika war er bisher noch nicht.

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