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Berlin: Ins Zentrum gerückt

In der DDR war der Pariser Platz Niemandsland, jetzt ist er der Ort der gebauten Einheit

Von Lothar Heinke

„Klar, ick hab se alle erlebt, den Putin und den Kohl, Gorbatschow und Clinton, aba mehr sage ick nich“ – verkündet die uniformierte Aufsichtspersönlichkeit im Vollbesitz ihrer Macht und sagt, was die Leute in solchen Fällen immer zu sagen pflegen: „Wat sagen tut nur der Chef.“

Der Nächste, bitte.

Das ist ein junger Mensch, eigentlich noch unverdorben von der Angst der Verantwortung. Er residiert im oberen Teil des rechten Torhäuschens und ist so etwas wie der alleroberste Torhüter, wenn nicht gar National-Torwart, aber auch er entpuppt sich am Eingang zu dem gefeierten Bauwerk als Säulenheiliger und sagt nur, dass er nichts sagt, weder über früher noch über heute und über sich schon gar nicht, „aus Prinzip“. Oh Herr, gib dem Menschen (k)ein Amt . . .

Ach, was interessiert uns jetzt noch anderer Leute Gedächtnis. Strömen die Bilder nicht von ganz allein, kaum, dass wir den Pariser Platz betreten? Zum Beispiel gestern, beim Fest für jedermann mit Bratwurst und Spielen, mit Musik und mit dem Spektaculum der Enthüllung eines versteckten, auf dorischen Säulen ruhenden Bauwerks, das nun wieder in schöner Gänze betrachtet, bewundert, belichtet und begriffen werden darf. Ja, Berlins einziges noch erhaltenes Stadttor, das so viel gesehen und erlebt hat wie kaum ein anderes deutsches Bauwerk, taugt als Symbol der neuen Zeit im vereinigten Berlin. Seine Geschichte, vornehmlich die jüngere, hat es zu einem manchmal bis zum Überdruss strapazierten Magneten gemacht. Und viele von uns haben das, was sonst in den Geschichts- und Architekturbüchern steht, mit eigenen Augen gesehen. Die zerschossene Ruine am zertrümmerten Platz. Die Wiederkehr der restaurierten Quadriga und der Göttin anno 1958. Damals konnte man noch durchs Tor fahren und laufen, bis zum 13. August 1961. Hier war die Teilung der Stadt und des Landes so körperlich spürbar wie an der „Bernauer“ oder in der Friedrichstraße. Das Bild vom Tor mit den an jenem Mauerbau-Sonntag grimmig und entschlossen blickenden Kampfgruppenmännern ging um die Welt und illustrierte 28 Jahre lang die Lüge vom antifaschistischen Schutzwall.

In diesen Jahren entrückte uns das Tor. Es war da, man sah es, aber es stand hilflos allein und fern in der verbotenen Zone. Am Rande der Wilhelmstraße, wo der Pariser Platz beginnt, war die sozialistische Welt zu Ende, Fotos und Postkarten zeigen das Tor im Niemandsland. Nur ausgewählte Gäste der Regierung der DDR durften bis zur Aussichtsplattform. In einem Heft über Berliner Sehenswürdigkeiten schreibt die (Ost-)Berlin-Information 1969: „Seit dem 13. August 1961 ist das Brandenburger Tor zugleich Wahrzeichen dafür, daß hier die Macht des deutschen Imperialismus und Militarismus endet. Er markiert die Staatsgrenze der souveränen DDR zur besonderen politischen Einheit Westberlin.“ Der Stadtkommandant hatte ein Gästebuch geführt, „angefüllt mit Bekenntnissen zum Frieden und mit Worten des Dankes für die Soldaten und Offiziere der Nationalen Volksarmee, die, wie der Vorsitzende des Ministerrates der UdSSR, Alexej Kossygin, aussprach, zuverlässig die Unantastbarkeit der Grenzen der Republik schützen. Das Berliner Baudenkmal hat damit seine einst von Langhans gewünschte Bedeutung, Tor des Friedens zu sein, wiedererlangt.“

Der Sturm des 9. November 89 fegt derlei Stumpfsinn hinweg. Zurück bleibt das Tor in seiner neuen Freiheit. Es wird zum Mittelpunkt der Stadt. Rund um diese Säulen wächst zusammen, was zusammen gehört. Wenn es einen Ort gibt, an dem Ost West Nord Süd trifft, dann hier, an diesem Vorzeige- und Rummelplatz, den viele als Kulisse für ihre Wichtigkeiten nutzen möchten und der doch auch immer ein Ort der Gefühle bleibt. Die Berliner führen Gäste ganz selbstverständlich zum Tor; einer, Bill Clinton, rief uns 1994 im Schatten der Quadriga drei schöne Sätze zu: Nichts wird uns aufhalten. Alles ist möglich. Berlin ist frei. Und der Pariser Platz, die angeblich „gute Stube“ der Stadt, ist zum Allerweltstreffpunkt geworden – fast lückenlos neu bebaut, von Leuten aus Ost und West für Leute aus Ost und West, die hier miteinander leben und arbeiten. Ein paar Schritte weiter erinnern uns Bundestagsbauten, Kanzleramt und der neue Reichstag an Fleiß und Weitsicht für die Hauptstadt. Die neue Mitte Berlins ist ein schönes Kind der Einheit – das Tor ist ihr Juwel, mit dem sich die Stadt schmückt wie wir alle.

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