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© Mike Wolff

Integration: Rotterdam trifft Neukölln

Ahmed Aboutaleb besucht den Integrationskongress im Roten Rathaus – und Amtskollegen Heinz Buschkowsky. Beide Bürgermeister haben mit ähnlichen Problemen zu kämpfen.

Für viele war seine Wahl vergangenes Jahr ein Hoffnungszeichen, für andere der Anfang vom Ende des Abendlandes. Ahmed Aboutaleb, ein bekennender Muslim, ist der neue Bürgermeister von Rotterdam und der erste Mann an der Spitze einer europäischen Metropole, der aus einer Einwandererfamilie stammt.

Am Donnerstag ist Aboutaleb nach Berlin gekommen, um an der Konferenz „Integrating Cities“ im Roten Rathaus teilzunehmen. Zum dritten Mal trafen sich Politiker und Migrationsexperten aus europäischen Großstädten, um sich darüber auszutauschen, wie man die soziale Spaltung der Städte aufhalten könne.

„Politiker denken, mit Geld kann man alles richten“, sagte Ahmed Aboutaleb nach der Konferenz. Es sei ihm aufgefallen, dass besonders die Berliner Politiker immer nach Geld rufen. Geld sei wichtig, klar, aber noch wichtiger sei Vertrauen. Und dieses Vertrauen müssten Politiker aufbauen. Es gehe um das Vertrauen der Einheimischen, dass ihre Ängste vor dem Verlust der kulturellen Identität ernst genommen würden, wenn etwa immer mehr Moscheen im Stadtteil gebaut würden. Es gehe aber auch um das Vertrauen der Einwanderer, die auch befürchteten, man wolle ihnen ihre Identität nehmen.

Am Nachmittag besuchte Aboutaleb seinen Amtskollegen Heinz Buschkowsky (SPD) in Neukölln. Dieser hatte Ahmed Aboutaleb eingeladen, weil beide Städte mit ähnlichen Problemen kämpfen. So stammt zum Beispiel jeder Zweite der 600 000 Einwohner Rotterdams aus einer Einwandererfamilie, in Neukölln jeder Dritte. Im Neuköllner Rathaus trug sich Aboutaleb ins Buch der Stadt ein. Buschkowsky schenkte ihm eine Porzellanminiatur eines Buddy-Bären. „Wir haben so viele Erwartungen an Mütter“, sagte Aboutaleb bei einem Treffen mit Stadtteilmüttern. „Mütter sollen alles richten in unserer Gesellschaft, sie sollen Wissen und Erfahrung weitergeben.“ Aber manchmal seien sie dazu nicht imstande. Der 47-jährige Aboutaleb ist in einem marokkanischen Bergdorf aufgewachsen. Seine Mutter hat erst mit 56 Jahren lesen und schreiben gelernt. Aber mit ihrer Liebe habe sie ihm und seiner Schwester trotzdem gut ins Leben geholfen, sagte Aboutaleb, und seine Zuhörer waren sichtlich gerührt. Noch stolzer als auf ihn sei die Mutter allerdings auf die Schwester, die sei Ärztin geworden.

Später am Nachmittag führte Buschkowsky seinen Kollegen zur Rütli-Schule und erzählte stolz vom entstehenden Rütli-Campus. Aboutaleb kickte mit Kindern im Jugendclub und schaute beim Hausaufgabenmachen zu. Wie viele Kinder aus der Umgebung es auf die Universität schaffen, wollte er wissen. „Verschwindend wenige“, sagte Buschkowsky. „Talent hängt nicht von der Hautfarbe oder der Herkunft ab“, sagte der Gast. Eine Gesellschaft könne sich nicht leisten, so viele Talente unentdeckt zu lassen. Wie gut, dass es bald den Rütli-Campus gebe.

Auch in Rotterdam kämpfe man gegen die Polarisierung der Stadt. DenWohlhabenden, die Geschäfte mit dem Hafen treiben, stehe die Gruppe schlecht ausgebildeter Jugendlicher gegenüber, die wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätten. Vergangenes Jahr hatte Buschkowsky bei einem Besuch in Rotterdam beeindruckt, wie eng die Behörden zusammenarbeiten, um Probleme zu lösen, und wie konsequent sie Sanktionen verhängen, wenn sich jemand nicht an die Regeln hält.

Aboutaleb machte deutlich, dass er in solchen Fällen keinen Spaß versteht: „Ich erwarte, dass sich die Zuwanderer an die Verfassung halten und sich in die Gesellschaft einbringen. Wer dazu nicht bereit ist, kann die Koffer packen.“ „Solche Sätze kann nur ein Politiker sagen, der selbst Migrationshintergrund hat und bei dem das authentisch rüberkommt“, sagte Buschkowsky. Ein Neuköllner Bürgermeister mit türkischer Herkunft könne sich das erlauben. Er, Buschkowsky, würde wohl gleich als Rassist beschimpft werden. Aboutaleb machte klar, dass er auch von den Einheimischen etwas erwartet: dass sie für die Neuankömmlinge „Platz machen“. Wenn man die Ängste der Rotterdamer vor Überfremdung kenne, und selbst vor den Zuwanderern aus den neuen EU-Staaten, dann sei das ein großer Schritt.

Auf dem Rütli-Campus soll einmal alles, was zur Bildung eines Kindes nötig ist, vernetzt werden: von der Kita bis zur Ausbildungshilfe. Rund um die ehemalige Problem-Hauptschule könne man sehen, wie produktiv es ist, wenn sich Mitarbeiter verschiedener Bereiche zusammensetzen, sagte Buschkowsky. Wenn sich Bürgermeister austauschen, kann auch das nur zum Guten sein. Claudia Keller

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