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Interfilm Festival wird 30: Das Prinzip Grenzüberschreitung

In Berlin läuft derzeit das Kurzfilmfestival interfilm. Es feiert dieses Jahr sein dreißigstes Jubiläum. Wie alles begann, sowie vier ausgewählte Kurzfilme im Artikel.

Von Hendrik Lehmann

Angefangen hatte das Kurzfilmfestival interfilm Anfang der 80er-Jahre mit einem Versehen. Ein paar Filmemacher klingelten beim falschen besetzen Haus in der Schöneberger Blumenthalstraße, erinnert sich Festivalmitbegründer Heinz Hermanns. In diesem Haus wohnte er. Da die Besetzer des Nachbarhauses sowieso nicht zu Hause waren und die Filmemacher ja nun schon einmal da waren, wurde kurzerhand beschlossen, in ihrem eigenen Haus ein Kino zu eröffnen. Platz war ja genug. Das so gegründete Eiszeit-Kino wurde bald darauf zur ersten Austragungsstätte des interfilm Festivals, damals noch ein reines Super-8-Filmfest. Gezeigt wurden Experimentalfilme, Aufnahmen von Häuserkämpfen und versteckten Szenebars.

Seither hat sich interfilm zum zweitgrößten Berliner Filmfestival nach der Berlinale gemausert und auf zahlreiche Berliner Kinos ausgebreitet, 19.000 Besucher kamen alleine im vergangenen Jahr. Das Kuratorenteam sichtet jährlich mehr als 5.000 Einreichungen, um daraus das sechstägige Programm zusammenzustellen. Gezeigt wird schon lange nicht mehr hauptsächlich Kunstfilm. Von Programmen speziell zu Berlin, bis hin zu Umweltthemen (Green Screen), Autos (Car Shorts) oder 25 Jahre Mauerfall (Mauersegler Kurzfilmpreis) toben die verschiedensten Spielarten des kurzen Genres über die Leinwände von mittlerweile sechs Kinos und drei Theatern.

Die Anfänge 1982: Heinz Hermanns (Mitte) und seine Mitgründer im selbstgebauten Eiszeit-Kino in Schöneberg.
Die Anfänge 1982: Heinz Hermanns (Mitte) und seine Mitgründer im selbstgebauten Eiszeit-Kino in Schöneberg.

© Privat

In seinen 30 Jahren ist das Festival trotzdem einem Prinzip treu geblieben: dem der Grenzüberschreitung. So wie in den frühen Jahren Filme aus Ost-Berlin hinüber geschmuggelt und Filmemacher aus ganz Europa eingeladen wurden, bemüht man sich auch heute um internationale Vielfalt bei der Filmauswahl. Genauso spannend ist aber eine zweite Grenze, die hier regelmäßig ignoriert wird: Im Gegensatz zu den meisten Langspielfilmen sind bemerkenswerte Experimente zwischen den Genregrenzen der Filmkunst zu sehen. Da gibt es sympathische Grenzgänger zwischen Animations- und Dokumentarfilm oder traurige Doppelwesen aus Kinder- und Kriegsfilm. Es wird ausprobiert. Manchmal mit seltsamem Ergebnis, oft aber schlichtweg wunderschön.

Um Ihnen vorab einen Einblick zu geben, können Sie im Folgenden vier ausgewählte Filme sehen:

HINWEIS: Aus Lizenzgründen können die Filme nun nicht mehr gestreamt werden.

Nur bei Uns

Der Berlin-Hype endet an der Brandschutzmauer

„Hauptstadt der Kreativen“ und „Mekka der Start-Up-Szene“. „Berlin“ ist für viele gleichbedeutend geworden mit dem Versprechen eines besseren Lebens und Feiern bis zum Abwinken. In seinem Video „Nur bei uns“ stellt Fritz Polzer euphorische Tonschnipsel aus Radioberichten und Liedern über Berlin einer einzigen Kameraeinstellung gegenüber: dem Blick aus dem Fenster der S-Bahn von Jannowitzbrücke  Richtung Westen. Zu sehen sind Brandschutzmauern, Supermärkte und weitere Relikte fragwürdiger Stadtplanung aus drei Gesellschaftssystemen. Endlich keine Musiker unter der U1, keine sekttrinkenden Pärchen am Maybachufer und auch keine jubelnden Hände in irgendeinem Club im Einzugsgebiet der Oberbaumbrücke.

Der Film, Teil des Programms „Berlin Beats“, ist dadurch so dröge wie schlagfertig.

War Canister

Ein Kanister wie eine Welt

Ein Kanister Benzin steht verlassen am Straßenrand einer irakischen Stadt. Der Protagonist, ein tauber Junge, stiehlt den wertvollen Gegenstand, um seiner Familie etwas Geld einzubringen. Als er auf dem Rückweg nach Hause den Kanister verliert, beginnt eine abenteuerliche Suche. Der irakische Regisseur Yahya Al-Allaq erzählt in „War Canister“ eine Geschichte aus dem Irak, die ganz ohne Kriegsdrama auskommt und gerade dadurch überzeugt. Der Film läuft als Teil des Programms „Arab Shorts“, in dem Filme vom Arabischen Filmfestival in San Francisco gezeigt werden.

Nebenan

Ganz besonders normal

Menschen beim betrinken sich, eine Frau hegt Mordgedanken gegen ihren Mann, eine andere geht fremd. Der Animationsfilm „Nebenan“ zeigt den Alltag in einem Wohnhaus als Glockenspiel aus Gelenkfiguren. Was dem Einzelnen besonders erscheint, wird zur platten Wiederholung eines unaufhaltsamen Alltags. Nur dass dieser im Film eben auch rückgängig gemacht werden kann.

Der Film von Andreas Marterer läuft sowohl in dem Programm „Ordinary Anarchy“, dass Filme über die Absurdität und den Wahnsinn des Alltags zusammengestellt hat, wie auch im Internationalen Wettbewerb.

The Man from Arctica

Norwegische Träume

"The Man from the Arctic" - Nils Nesse
"The Man from the Arctic" - Nils Nesse

© Nils Nesse

Ein einsamer Mann auf einer Forschungsstation in der Arktis. Was träumt er wohl? Ein anderer sucht ihn auf, um genau das herauszufinden. Mit seltsamem Ergebnis. Der absurde Ultra-Kurzfilm (eine Minute) „The Man from the Arctic“ vom norwegischen Regisseur Nils Nesse zeigt, wie viel Film in eine Minute passt. Ein Format, dass wir sonst leider nur noch aus Werbung und Katzenvideos bei Youtube kennen. Noch mehr norwegischen Humor gibt es in einem Sonderprogramm. Norwegen ist neben Japan dieses Jahr Länderfokus bei dem Festival.

Das Festival findet vom 11. bis zum 16. November statt. Mehr Informationen zum Programm gibt es auf der Homepage von interfilm

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