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Fahr mal wieder U-Bahn. Teresa Palmer in dem Psychothriller "Berlin Syndrome".

© promo

Internationale Filmfestspiele: Wenn Berlin die Hauptrolle spielt

Eine Akteurin taucht in vielen Berlinale-Filmen auf: die Stadt Berlin – mal mit ihren Postkarten-Motiven, mal mit ihren dreckigen Alltagsorten. Ein Überblick.

„In Berlin ist es jetzt schon drei Uhr nachmittags.“ Gleich auf der ersten Seite von Max Frischs Erzählung „Montauk“ taucht die Stadt an der Spree auf: Selbst an der Ostspitze von Long Island, in dem Fischerdorf mit dem indianischen Namen, kann der Ich-Erzähler, Max mit Namen und Schriftsteller, in Gedanken von Berlin nicht ganz lassen. Der Stadt also, in der das 1975 erschienene Buch vom realen Max geschrieben wurde, in der Sarrazinstraße 8 in Friedenau, wo er seit Anfang 1973 wohnte.

So weit zurück und tief in die Berliner Literaturgeschichte hinein reichen die Wurzeln von Volker Schlöndorffs Berlinale-Beitrag „Rückkehr nach Montauk“. Keine Literaturverfilmung im engeren, ja nicht mal im weiteren Sinne, wie der Regisseur betont, schließlich seien er und Frisch stets der Meinung gewesen, dass sich „Montauk“ nicht verfilmen lasse: „Zu autobiografisch.“ Aber als Inspirationsquelle zu dem von Schlöndorff und dem irischen Schriftsteller Colm Tóibín verfassten Drehbuch muss man Frischs Büchlein doch gelten lassen. Und wenn man genauer hinsieht, steckt in dem Film viel mehr Berlin, als die in Manhattan und auf Long Island spielende und weitgehend auch gedrehte Filmerzählung erwarten ließe.

Berlins Westen als Kulisse

Da sind zum Beispiel zwei Sets, ein Hotelzimmer und ein Apartment, die im Studio Babelsberg gebaut wurden. Auch nach Charlottenburg, ins Hotel Savoy in der Fasanenstraße zogen Regisseur und Team, drehten dort eine Lesung des schriftstellernden, von Stellan Skarsgård gespielten Protagonisten Max Zorn, der sich zudem in einer Bar in der Kantstraße mit einem alten Freund und Gönner trifft. Und der zum Verkauf stehende Bungalow, den Zorns Ex-Geliebte Rebecca (Nina Hoss) in Montauk besichtigt, steht eigentlich in Dahlem.

Schlöndorffs Wettbewerbsfilm ist mit seinem Berlin-Hintergrund kein Einzelfall auf dem Festival, allein schon dank der Finanzierung: Insgesamt 21 Filme des diesjährigen Programms, darunter „Rückkehr nach Montauk“, wurden vom Medienboard Berlin-Brandenburg gefördert. Und häufig ist die Berlin-Bindung den Filmen sehr viel deutlicher anzusehen als in der hoffnungslosen Liebesgeschichte von Max und Rebecca.

Gruselfaktor Sanierungsstau

Mitunter tragen die Filme sogar den Namen der Stadt im Titel. Zum Beispiel der Panorama-Film „Berlin Syndrome“ der Australierin Cate Shortland – ein Film, der die Sehenswürdigkeiten der Stadt weitgehend ausspart und der Hauptfigur, gespielt von Teresa Palmer, erst ganz zum Schluss – quasi zur Erholung von all dem in Berlin erlebten Grauen – eine Taxifahrt vorbei am Brandenburger Tor und durch den Tiergarten gönnt. Es ist ein Psychothriller, in dem die allzu vertrauensselige Backpackerin Claire aus Brisbane einem psychopathischen Englischlehrer (Max Riemelt) in die Hände fällt, der sie in seiner Wohnung einsperrt. Das Haus, in dem er als einziger Mieter noch wohnt, sieht auch Jahrzehnte nach der Wende so aus, als wäre die Mauer gerade erst gefallen, von Sanierungsstau zu sprechen, wäre untertrieben. Richtig gruselig also.

Dafür wird die Gegend um das Kottbusser Tor, in die es die Rucksackreisende selbstredend erst mal verschlägt, um so pittoresker geschildert, mit Partys auf Flachdächern, zu denen Fremde – „Would you like to come over?“ – umstandslos eingeladen werden, mit Krimskrams-Läden, die zum staunenden Stöbern verleiten, das Ganze garniert mit Multikulti pur. Auch U-Bahn und Tram probiert die Berlin-Besucherin aus, der Fernsehturm huscht vorbei, und ihr scheinbar so charmanter, in einer kurzen Szene über den Bebelplatz stiefelnder Lehrer kutschiert sie durch den Tiergartentunnel in seine Lasterhöhle.

Vor der Wende. Für "Der gleiche Himmel" entstand das alte West-Berlin in Prag neu.
Vor der Wende. Für "Der gleiche Himmel" entstand das alte West-Berlin in Prag neu.

© ZDF/Bernd Schuller

Von dreckig bis klinisch rein

Ein ähnlich dunkles, den Sightseeing-Zielen fernes Berlin-Bild, zeichnet „Tiger Girl“, der Panorama-Beitrag des Berliner Regisseurs Jakob Lass um zwei junge Frauen – die eine auf Krawall gebürsteter Anarchopunk, die andere wäre am liebsten Polizeischülerin, fällt durch und landet auf einer Security Schule. Eine Freundschaft, in der vieles fragwürdig wird, zuallererst die Wertmaßstäbe. Gewalt als legitimes Mittel? Warum nicht. Auch zu solch einer Geschichte passt kein Postkarten-Berlin

Wahrzeichen-Parade? Im Gegenteil. Man habe die Stadt als Ort begreifbar machen, das Flimmern und Vibrieren der Großstadt, nicht aber Berlin als Topos zeigen wollen, erklärt Golo Schultz, Produzent und Komponist des Films. Dazu passten weder Kurfürstendamm noch Unter den Linden, sondern die Straßen von Neukölln oder der Flughafen-Parkplatz am Tempelhofer Damm. Alltagsorte eben, oft dreckig wie in diesem Fall oder klinisch rein wie im Boulevard Berlin an der Steglitzer Schloßstraße. Auch in einer privaten Sicherheitsschule in Mariendorf wurde gedreht, in einem halb-dokumentarischen Umfeld, wie es auch auf dem Tempelhofer Feld mit dessen Besuchern gelang. Sie wurden gleich ins Spiel integriert, nach vorheriger Aufklärung, versteht sich.

Coppolas "Paten" in Neukölln

Von „Tiger Girl“ zur Welt der „4 Blocks“ ist es, zumindest auf dem Stadtplan, nicht weit. Die Geschichte um einen arabischen Clan entspinnt sich überwiegend auf den Straßen von Neukölln, teilweise auch auf denen Kreuzbergs, an 50 Tagen gedreht im Kiez – kein Kinofilm, vielmehr eine sechsteilige Miniserie, eine Eigenproduktion des TV-Senders TNT Serie. Dort wird sie ab 8. Mai laufen, die ersten beiden Episoden aber sind schon auf der Berlinale in der Reihe Special Series zu sehen.

Es ist eine Geschichte, die ein wenig an Francis Ford Coppolas „Paten“ erinnert: Ali „Toni“ Hamady (Kida Khodr Ramadan) will aussteigen, seine „4 Blocks“, die kriminellen Geschäfte, hinter sich lassen. Doch sein Schwager wird verhaftet, der Clan ist führungslos. Toni muss doch wieder ran, schon um den unberechenbaren Bruder nicht an die Macht zu lassen. Eine Abwärtsspirale aus Verbrechen und Intrigen setzt ein – mehr demnächst in Ihrem Fernseher.

Prag als Berlin-Ersatz

Die in „4 Blocks“ gezeigten Straßen von Neukölln – hin und wieder huscht auch mal ein Berliner Wahrzeichen wie der Fernsehturm durchs Bild – sind die originalen, die Straßen von Berlin in dem ZDF-Dreiteiler „Der gleiche Himmel“ dagegen liegen bis auf wenige Ausnahmen in Prag. In der Stadt an der Moldau und in den dortigen Filmstudios Barrandov entstand die im geteilten Berlin des Jahres 1974 spielende Serie, die dafür notwendigen Drehorte, so heißt es, gebe es hier nicht mehr. So wurden die Mauer mit den bekannten Warntafeln – „Achtung – Sie verlassen jetzt West-Berlin“ – wie auch ein Zeitungskiosk samt Tagesspiegel-Reklame von Regisseur Oliver Hirschbiegel und seinem Team fern von Berlin noch einmal aufgebaut.

Im ZDF kann man das am 27., 29. und 30. März besichtigen, den ersten Teil schon auf der Berlinale, wiederum in den Special Series. Es ist eine Geschichte aus dem Kalten Krieg, mit Tom Schilling als Romeo-Agent der Stasi, der – ein Spion, der in die Wärme kam – erst auf eine flotte Britin (Friederike Becht), dann auf eine elegante NSA-Mitarbeiterin (Sofia Helin) in West-Berlin angesetzt wird. Währenddessen geht bei ihm zu Hause, wo man von seinen amourösen Aufträgen nichts ahnt, der sozialistische Alltag langsam den Bach runter.

Weitblick. Auf dem Tempelhofer Feld entstanden Szenen des Films "Tiger Girl".
Weitblick. Auf dem Tempelhofer Feld entstanden Szenen des Films "Tiger Girl".

© Fogma

Berlin, wie es früher war

All das bleibt Fiktion, ein an der Realität entlang erzähltes, gleichwohl erfundenes Berlin. Doch auch in zwei Dokumentarfilmen spielt die Stadt eine zentrale Rolle. Margarete Kreuzers Doku „Revolution of Sound. Tangerine Dream“ kommt schon wegen der Berliner Ursprünge der Band an der Stadt nicht vorbei – ihr erstes Konzert spielten sie ja 1968 in der TU-Mensa. Jochen Hick hingegen schildert in „Mein wundersames West-Berlin“ die Schwulenszene und ein wenig auch die der Lesben im Westteil der ehemals geteilten Stadt – das filmische Gegenstück zu seinem Film „Out in Ost-Berlin“. Einige Archivaufnahmen, etwa mit Unterschriftenaktionen am Kurfürstendamm, sind zu sehen. Doch der Regisseur setzt stärker auf die Erinnerungen der befragten Szene-Protagonisten.

Wie bei Kubricks "Barry Lyndon" die DDR-Behörden gefoppt wurden

Und Berlins Nachbarstadt Potsdam mit ihren Schlössern und Gärten? Kommt in der Hommage-Reihe für die Kostümdesignerin Milena Canonero zu ihrem Recht, nämlich in Stanley Kubricks Thackeray-Verfilmung „Barry Lyndon“ von 1975: Eine im England des 18. Jahrhunderts spielende Geschichte, doch verschlägt es den Titelhelden auch an den Hof Friedrichs des Großen. Das war damals noch ein Problem, das der Regisseur seinem neuen Art Director Jan Schlubach – Ken Adam war krankheitshalber vorübergehend ausgefallen – unterbreitete: „Where are we going to shoot Potsdam?“ Für ein Filmteam aus dem Westen war der Drehort Sanssouci alles andere als selbstverständlich.
Schlubach schlug vor, es dennoch zu versuchen. In der Tat war Defa-Chef Albert Wilkening hocherfreut, den berühmten Regisseur als Gast begrüßen zu können. Kubrick mit seiner Flugangst hatte zwar nie daran gedacht, selbst zu kommen, was Schlubach aber für sich behielt. Und er legte die von ihm geleiteten Dreharbeiten am Neuen Palais geschickt auf Tage, in denen Wilkening nach Moskau musste. Blieb nur noch das rote Banner oben auf dem Schloss, das wäre kaum zu entfernen gewesen. Also durfte die Kamera nur bei Windstille laufen. Da hing das Tuch schlapp herab.

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