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Während der Fuckparade entstand im Jahr 2000 das Video des Techno-Wikingers (oben). Der bis heute unbekannte Tänzer verklagt nun Matthias Fritsch, der das Video damals drehte.

© Youtube

Internetstar: Techno-Wikinger verklagt den Macher seines Films

Vor 13 Jahren entstand auf der Weinmeisterstraße ein Video, das ein Internet-Hit wurde. Doch der Mann, der als „Techno Viking“ weltberühmt wurde, findet das nicht lustig.

Alles so neu hier. Rechterhand das Firmengebäude eines großen Software-Entwicklers, linkerhand ein Design-Hotel. Und davor Matthias Fritsch, der sich kurz orientieren muss. Der 36-Jährige steht an der Kreuzung Weinmeisterstraße Ecke Rosenthaler in Mitte und stellt fest: „Diese zwei Häuser standen damals noch nicht.“ Dann deutet er mit dem Finger auf ein Eckgebäude: „Und da befand sich früher ein Fahrradladen.“ Aus der Jackentasche zieht er sein Handy und zeigt ein Video. Vergangenheit und Gegenwart treffen an diesem frostfrischen Vormittag aufeinander, nicht nur in Fritschs Erinnerung, sondern auch auf seinem kleinen Bildschirm.

Die Aufnahme, die er zeigt, ist 13 Jahre alt, entstanden im Juli 2000 auf der Fuckparade an genau derselben Stelle, hier an der Weinmeisterstraße. Mehrere Hundert Techno-Fans tanzen damals zu wummernden Beats. Zwischendrin Matthias Fritsch mit seiner Kamera. Der Videokünstler filmt eine Gruppe ausgelassen feiernder Menschen, dabei sticht eine Person besonders hervor: ein muskulöser Mann mit freiem Oberkörper und blondem Kinnbart. Der Hüne eilt einer Frau zu Hilfe, die von einem anderen Tänzer angerempelt wird. Eindringliche Worte und Gesten zwischen Bart-Mann und Rempler, dann ist die Angelegenheit erledigt. Der Unruhestifter trollt sich, das Muskelpaket hebt noch kurz drohend den Zeigefinger, dann tanzt er mit stolz geschwellter Brust und raumgreifenden Armbewegungen weiter die Straße entlang.

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Ein paar Jahre später erlangt der Bart-Mann Weltruhm. Fritsch, freier Künstler und Filmemacher, stellt den Clip zusammen mit anderen Arbeiten zunächst auf seine Internetseite, später lädt er ihn auf die Video-Plattform Youtube hoch. Ein User verlinkt das knapp vierminütige Video auf einem englischsprachigen Portal – daraufhin wird es über Nacht millionenfach geklickt. Aus dem namenlosen Bart-Mann macht die Netzgemeinde den „Techno Viking“, den Techno-Wikinger. Einen virtuellen Star, der seine Verehrer zu kreativen Hochleistungen inspiriert. Sie remixen das Video, entwickeln Comics, porträtieren den Wikinger in Öl. Ein japanischer Bildhauer verewigt den Tänzer sogar in einer Skulptur.

Fritsch selbst trifft der Hype völlig überraschend. Die Freude über das Interesse an seiner Arbeit ist aber nicht von Dauer. Denn eines Tages liegt die Unterlassungserklärung eines Anwalts in seinem Briefkasten, dessen Mandant: Der Techno-Wikinger. Fritsch bietet daraufhin an, das Video aus dem Netz zu entfernen und den Bart-Mann an den Einnahmen zu beteiligen. Auf seiner Youtube-Seite hat er 8000 Euro an Werbegeldern kassiert, hinzu kommen Honorare von Fernsehsendern, die über das Internetphänomen berichteten, sowie Erlöse aus T-Shirt-Verkäufen. Insgesamt knapp 10 000 Euro, sagt Fritsch.

Diese Summe ist er bereit zu teilen. Unter der Bedingung, weiterhin Vorträge zum Thema halten und den Clip als Kunstinstallation auf Ausstellungen zeigen zu dürfen. Der Wikinger lehnt via Anwalt ab. Und so wird der Fall derzeit vor dem Berliner Landgericht verhandelt. Es geht um die Verletzung von Persönlichkeitsrechten und dem Recht am eigenen Bild. Der Versuch, einen Vergleich zu schließen, scheiterte. Der nächste Verhandlungstermin steht im Mai an.

Der Mann mit dem Bart sieht seine Persönlichkeitsrechte verletzt

„Ich finde es extrem schade, dass wir das Problem nicht von Mensch zu Mensch klären können“, sagt Matthias Fritsch. Zu dem Protagonisten seines Videos habe er seit der Fuckparade keinen persönlichen Kontakt gehabt. Über dessen Identität wird im Netz viel spekuliert. Hartnäckig hält sich das Gerücht, er sei der amerikanische Martial-Arts-Kämpfer Keith Jardine. Andere vermuten, es handele sich um den Münchner Bodybuilder Hans Schlepkopper. Und in der Sendung „Raab in Gefahr“ interviewte Stefan Raab einst einen Mann, der sich „Harry, der alte Germane“ nannte und entfernte Ähnlichkeit mit dem Techno-Wikinger hatte. Die Wahrheit ist: Stichhaltige Beweise zur Herkunft des Mannes gibt es bis heute nicht. Und auch Fritsch hält sich bedeckt: „Es ist nicht in meinem Interesse, die Privatsphäre des Klägers offenzulegen.“

Für den freischaffenden Künstler geht es bei dem Prozess nicht nur um die eigene Existenz, sondern auch um die Frage, „ob Online-Kunst sich weniger von der Wirklichkeit inspirieren lassen darf, als dies für klassische Kunstformen akzeptiert ist“. Er fürchtet, dass der Prozess Auswirkungen auf die Rahmenbedingungen des digitalen Kunstschaffens haben könne. Fritsch verweist darauf, dass der Kläger eine angemeldete politische Demonstration im öffentlichen Raum besuchte, sprich: sich ganz bewusst in die Öffentlichkeit begeben habe. Insofern sieht er den Clip als künstlerisches Experiment: „Ist das, was man sieht, echt oder inszeniert?“

Öffentlich ist der Techno-Wikinger bislang nicht in Erscheinung getreten. Und auch Alexander Paschke, sein Anwalt, wollte sich auf Anfrage nicht äußern. In einem Radiointerview erklärte er kürzlich, dass es seinem Mandanten nicht vorrangig um Geld ginge. Sondern um die ungefragte Instrumentalisierung und Kommerzialisierung seiner Person. Zu der Frage, ob sein Mandant privaten Schaden durch das Video erlitten habe, äußerte sich Paschke nicht.

Auch diese Spekulationen sind von nun an Teil des Mythos „Techno Viking“, der im Internet entstand – und nun vor Gericht beendet werden könnte.

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