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Sigrid Evelyn Nikutta steht seit Oktober 2010 an der Spitze der BVG. Die 43-Jährige ist auch für den Betrieb – und damit für den Kauf neuer Fahrzeuge – zuständig. Hier will sie ein Debakel, wie es Bahnunternehmen mit der Industrie erlebt haben, vermeiden.

© dpa

Interview mit BVG-Chefin Nikutta: "Wir werden wieder häufiger in Zivil kontrollieren"

BVG-Chefin Sigrid Nikutta will mehr Geld von ertappten Schwarzfahrern und ist für konstante – aber mäßige – Tariferhöhungen. Im Interview spricht sie außerdem über den Sparzwang bei den Verkehrsbetrieben und den drohenden Streik.

Frau Nikutta, die BVG wird dieses Jahr mit einem Verlust in Höhe von 58 Millionen Euro abschließen. Werden die Tickets im nächsten Jahr teurer?

Die Entscheidung trifft der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg. Ich glaube aber, dass es der richtige Weg ist, die Erhöhung der Fahrpreise an einen transparenten Index zu koppeln, wie es derzeit diskutiert wird.

Wieso ist man nicht schon früher auf diese Idee gekommen?
Viele Städte, etwa Hamburg, machen das schon. Für ein Verkehrsunternehmen bringt das Koppeln an den Index durchaus auch Nachteile. Die Kostenstruktur ist nicht eins zu eins vergleichbar mit dem Warenkorb bei der Inflationsentwicklung. So schlagen bei uns Kosten für Strom und Diesel, aber auch fürs Personal besonders durch. Trotzdem denke ich, dass konstante und dafür mäßige Preiserhöhungen der beste Weg auch für Berlin wären. Andere Verbünde erhöhen die Preise wesentlich stärker.

Müssten dann nicht auch ertappte Schwarzfahrer mehr zahlen?
Mit 40 Euro beim erhöhten Beförderungsentgelt sind wir in Europa im hinteren Bereich. Die Forderung, den Betrag auf 60 Euro zu erhöhen, ist absolut richtig. Und wir müssen auch die derzeitige Rechtslage behalten. Schwarzfahren muss weiter als Straftat gewertet werden. Es ist kein Kavaliersdelikt.

60 Euro sind für jemanden, der versehentlich mit einem falschen Ticket unterwegs ist, aber viel Geld. Ist die BVG hier kulant?
Wir haben eine gewisse Kulanz. Die kann man aber auch nicht überstrapazieren. Auch der Klassiker, ich kaufe mir das Kinderticket und tue dann so, als habe ich mich vertan, hat seine Grenzen.

Die Schwarzfahrerquote ist zuletzt wieder gestiegen. Wie reagieren Sie darauf?
Wir setzen wieder verstärkt eigene Mitarbeiter bei den Kontrollen ein, was sehr effektiv ist. Und wir werden auch wieder häufiger die Kontrolleure in ziviler Kleidung einsetzen. Grundsätzlich bleiben wir beim Auftreten in Dienstkleidung, aber Schwarzfahrer sollten sich nicht darauf verlassen können. Und wir werden uns hier eng mit der S-Bahn abstimmen.

Was heißt das?

Wir informieren uns zum Beispiel gegenseitig, wo besonders viele Schwarzfahrer unterwegs sind, und wir können auch unsere Kontrollen aufeinander abstimmen.

"Es gibt in Europa keinen Hersteller, der Termingerecht liefert."

Sigrid Evelyn Nikutta steht seit Oktober 2010 an der Spitze der BVG. Die 43-Jährige ist auch für den Betrieb – und damit für den Kauf neuer Fahrzeuge – zuständig. Hier will sie ein Debakel, wie es Bahnunternehmen mit der Industrie erlebt haben, vermeiden.
Sigrid Evelyn Nikutta steht seit Oktober 2010 an der Spitze der BVG. Die 43-Jährige ist auch für den Betrieb – und damit für den Kauf neuer Fahrzeuge – zuständig. Hier will sie ein Debakel, wie es Bahnunternehmen mit der Industrie erlebt haben, vermeiden.

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Wenn Sie hier so gut mit der S-Bahn zusammenarbeiten, warum gibt es dann Streit um die Einnahmeaufteilung?
Wir streiten uns nicht mit der S-Bahn. Das Problem ist mit den neuen Vertragsmodalitäten des Verkehrsverbundes für den Regionalverkehr entstanden, die zu Mindereinnahmen allein bei der BVG in Höhe von 34 Millionen Euro führen können. Und das bei steigenden Fahrgastzahlen. Ich bin verpflichtet, diese Einnahmeverluste zu verhindern.

Wird der Fahrgast etwas von diesem Streit spüren?
Nein, selbstverständlich wird es weiter nur einen Fahrschein für das gesamte Verbundgebiet geben. Und wir sind auf gutem Weg, uns zu einigen.

Apropos guter Weg. Wie wollen Sie verhindern, dass es bei Ihren neuen U-Bahnen ähnliche Probleme gibt wie zuletzt bei Bahnunternehmen, deren neue Fahrzeuge nicht rechtzeitig fertig wurden?
So weit ich weiß, gibt es in Europa so gut wie keinen Hersteller, der termingerecht ausliefert. Hier hilft es nur, ganz ganz eng zusammenzuarbeiten. Unsere Mitarbeiter werden von Anfang an dabei sein und auch bereits die Produktion überwachen. Ebenso ist die zuständige Aufsichtsbehörde des Landes Berlin mit dabei. So ist sichergestellt, dass auch alle Normen und gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Und bevor wir eine Serie bestellen, werden wir, zusammen mit unseren Fahrgästen, ausgiebig die Vorserienfahrzeuge testen.

In den vergangenen Wochen sind bei der U-Bahn häufig Fahrten ausgefallen oder Züge mit weniger Wagen gefahren als vorgesehen. Hakt es hier in der Werkstatt?
Die Ausfälle waren bedingt durch eine Zunahme bei Vandalismus und Graffitischäden. Wir mussten vorübergehend mehr Züge in die Werkstatt bringen als sonst. Unabhängig davon werden wir in den Werkstätten – völlig gegen den Trend – 30 weitere Mitarbeiter einstellen.

Ein Eingeständnis, dass zu viele Stellen gestrichen worden sind?
Wie Sie wissen, steht die BVG seit vielen Jahren unter einem großen finanziellen Druck. Einsparen heißt aber immer auch Stellenabbau – und dies bei konstant der gleichen Leistung für weniger Geld. Aber gerade bei den Werkstätten haben schon meine Vorgänger darauf geachtet, dass die Werkstätten von dieser Entwicklung weitgehend verschont blieben. Dazu kommt, dass wir unsere alten Fahrzeuge systematisch überholen statt einfach für dreistellige Millionenbeträge neue zu kaufen. Allerdings werden mit jeder neuen Fahrzeugserie die Aufgaben in den Werkstätten deutlich komplexer, und die Aufgabenvielfalt nimmt zu. Und natürlich brauchen wir junge Leute, um unser Know-how erhalten zu können.

"Wir wollen den Doppeldecker behalten. Aber zu einem vernünftigen Preis."

Sigrid Evelyn Nikutta steht seit Oktober 2010 an der Spitze der BVG. Die 43-Jährige ist auch für den Betrieb – und damit für den Kauf neuer Fahrzeuge – zuständig. Hier will sie ein Debakel, wie es Bahnunternehmen mit der Industrie erlebt haben, vermeiden.
Sigrid Evelyn Nikutta steht seit Oktober 2010 an der Spitze der BVG. Die 43-Jährige ist auch für den Betrieb – und damit für den Kauf neuer Fahrzeuge – zuständig. Hier will sie ein Debakel, wie es Bahnunternehmen mit der Industrie erlebt haben, vermeiden.

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Greifen Sie auch in die Entwicklung von neuen Bussen so aktiv ein wie bei der U- und vorher bei der Straßenbahn? Busse gibt es doch, anders als Bahnen, fast von der Stange.
Von wegen. In der Vergangenheit hatte die BVG stets viele Extrawünsche – von der Lackierung über die Gestaltung der Front bis zum Anbringen von Kästen für unsere Broschüren. In Zukunft werden wir hier auf Standards zurückgreifen, ohne den Komfort für die Fahrgäste einzuschränken.

Gilt dies auch für den Doppeldecker, der doch eine Berliner Spezialität ist?
Auch da werden wir uns fragen, ob der Bus so schwer sein muss, dass er drei Achsen braucht und viel Sprit schluckt. Und vielleicht werden wir uns auch einen Doppeldecker aus London holen, um zu testen, ob wir von dieser Konstruktion etwas übernehmen können. Wir wollen den Doppeldecker behalten, weil sein Einsatz sinnvoll ist. Aber zu einem vernünftigen Preis.

Geld sparen wollen Sie auch durch den Verzicht auf das automatische Senken der Busse an Haltestellen.
Unser Pilotversuch läuft noch. Wir werden auch die jetzt zu bestellenden Fahrzeuge mit dieser Technik ausrüsten lassen. Jeder, der dieses Kneeling beim Ein- oder Aussteigen braucht, wird es bekommen können – automatisch oder eben per Knopfdruck, wie es Standard ist.

Wird der Fahrgast damit zum Bittsteller?
Wir nennen es Komforttaste, mit der der Fahrgast einen Wunsch äußert, den unsere Fahrer dann erfüllen. Wer sich etwas wünscht, ist kein Bittsteller.

Viele wünschen sich, dass bei der BVG mehr Frauen beschäftigt werden. Haben Sie mehr Frauen an Bord geholt?
Die Frauenquote bei uns liegt bei 17,4 Prozent. Sie ist unverändert geblieben. Das ist nicht befriedigend. Da wir aber vor allen Dingen Auszubildene einstellen, werben wir jetzt ganz verstärkt um Mädchen für eine Berufsausbildung im gewerblich-technischen Bereich bei der BVG. Sehr freut es mich, dass auch durch die Unterstützung der Jobcenter der Anteil der Frauen im Fahrdienst bereits zugenommen hat. Und da wir immer nach dem Leistungsprinzip einstellen, bin ich mir ganz sicher, dass unsere Frauenquote wachsen wird.

Zunächst müssen Sie aber einen Streik vermeiden. Die Forderungen der Gewerkschaften zum neuen Manteltarifvertrag seien unerfüllbar, sagen Sie. Droht ein Streik?
Die Verhandlungen zum Manteltarifvertrag haben ja gerade erst begonnen. Im Frühjahr folgen dann allerdings auch noch Gehaltstarifverhandlungen. Der finanzielle Spielraum der BVG ist extrem eng. Ich gehe davon aus, dass man sich am Verhandlungstisch einigen kann. Die ja auch im Aufsichtsrat der BVG vertretene Arbeitnehmerseite kennt sehr genau den extrem engen finanziellen Rahmen des Unternehmens, weiß aber auch, dass es Bereitschaft für eine maßvolle Einkommenssteigerung gibt.

Das Interview führte Klaus Kurpjuweit

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