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Ehrhart Körting war von 2001 bis 2011 Innensenator des Landes Berlin.

© Thilo Rückeis

Interview mit Ehrhart Körting: „Rehasport ist auch Prävention“

Körperliche Fitness ist für Gesunde genauso wichtig wie für Menschen, die operiert wurden oder eine Behinderung haben. Ein Gespräch mit Ehrhart Körting, Präsident des Behinderten- und Rehabilitations-Sportverbandes Berlin e. V.

Mit Theodor Fontane könnte man sagen: Gesundheitsförderung ist ein weites Feld. Doch Gesundheitsprogramme richten sich nicht nur an Menschen, die frühzeitig verhindern wollen, dass ihr Körper krank wird. Auch Präventionsformen für chronisch Kranke gehören dazu: Rehasport und Funktionstraining etwa eignen sich speziell für Behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen. Denn regelmäßiger Sport kann dazu beitragen, negative Folgen der vorliegenden Erkrankung zu verhindern oder bereits bestehende Behinderungen abzumildern.

Herr Körting, Gesundheitsförderung ist in jedem Alter und in jeder Lebenslage wichtig. Welche Rolle nimmt Prävention im Behindertensport ein?

Sie spielt hier eine ähnliche Rolle wie im Sport insgesamt. Körperliche Bewegung und Training sorgen bei allen Menschen dafür, die Leistungsfähigkeit des Körpers lange zu erhalten. Vom Grundsatz her unterscheiden sich also Menschen mit Behinderungen nicht von Menschen ohne Behinderungen, übrigens auch nicht in ihrem Spaß am Sport.

Wie kann man sich einen Sportkurs für Menschen mit Behinderung vorstellen?

Es gibt verschiedene Angebote, entsprechend unterschiedlich laufen einzelne Sportkurse ab. Rollstuhlbasketball ist anders strukturiert als Blindenfußball oder Herzsport. Es gibt also nicht den einen Behinderten- oder Rehasport. Generell sagen wir ungern „Behindertensport“, sprechen lieber von Sport für Menschen mit Behinderungen. Genauso bezeichnen wir ja auch Asylbewerber nicht mehr als Asylanten oder Menschen mit Migrationshintergrund nicht mehr als Migranten. Wir betonen eben nicht das Trennende, sondern dass das Menschen wie du und ich sind, nur dass sie bestimmte Probleme haben.

An wen richten sich die Angebote direkt?

Die Angebote der Sportvereine zielen primär auf Menschen mit motorischen Schwierigkeiten ab, aber auch auf Menschen mit geistigen Behinderungen. Die Rehasportangebote richten sich an Patienten, die etwa einen Schlaganfall oder eine aufwendige OP hinter sich haben und Muskelfunktionen trainieren müssen. Die Angebotsfülle ist fast unendlich. Der Behinderten- und Rehabilitations- Sportverband Berlin, der gleichzeitig auch Fachverband für Rehabilitation ist, hat über 23 000 Mitglieder. Darunter sind 5000 Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen, die restlichen 18 000 sind Rehasportler. An der Größenordnung erkennt man schon die enorme Bedeutung des Rehabilitationssportes, da er auch Präventionssport ist.

Unterscheidet sich der Rehasport von den Kursangeboten für Menschen, die keine Behinderungen haben?

Da für die Prävention von allen Menschen gleichermaßen gesorgt werden soll, unterscheidet sich Rehasport vom Grundsatz her nicht wesentlich von anderen Kursen. In Berlin gibt es heute ungefähr 3500 Gruppenangebote. Davon machen Kurse für den Bewegungs- und Stützapparat mit 87,5 Prozent den Löwenanteil aus. Andere Angebote beziehen sind auf innere Organe, das Nervensystem, Krebsnachsorge oder psychische und geistige Beeinträchtigungen.

Zeigt sich bei den Teilnehmern eine geschlechtsspezifische Tendenz? Nehmen mehr Frauen oder mehr Männer teil?

Bei den Rehaangeboten gibt es keine merkliche Tendenz. Aber es werden spezifische Kurse angeboten, die sich etwa nur an behinderte Frauen richten. Ziel ist hier, ihre traumatischen Erlebnisse zu bewältigen, ihr Selbstwertgefühl zu stärken oder sie fit gegenüber Übergriffen oder Mobbing durch Männer zu machen. Auch im Rehasport berücksichtigt man die besondere Belastungssituation für behinderte Frauen.

Sie erwähnten die Fülle an Angeboten, wodurch sich Kurse voneinander abgrenzen. Gibt es auch Gemeinsamkeiten?

Wichtigste Gemeinsamkeit ist die kompetente Ausbildung der Kursleiter. Eine Mindestanzahl an Teilnehmern ist nötig, um das Angebot überhaupt finanzieren zu können. Trainer müssen bestimmte Qualifikationen durchlaufen und genau wissen, wie man etwa Teilnehmern mit psychischen und traumatischen Erlebnissen begegnet.

Welche Rehasportkurse müssten aus Expertensicht besonders gefördert werden?

Angebote, die sich an Schwerbehinderte und Kinder richten. Außerdem kommt Wassersport eine besondere Stellung zu, da hierbei zusätzlich zum Kursentgelt noch die Berliner Bäderbetriebe ihren Kostenanteil erhalten müssen. Schwimmsport ist deshalb so wichtig, weil er einer der wenigen Tätigkeiten ist, die man bis ins hohe Alter ausführen kann. Außerdem ist Schwimmen generell eine hervorragend zur Gesundheitsförderung passende Sportart. Deshalb sind viele, dezentral gelegene, überdachte Schwimmhallen in Berlin unverzichtbar.

Vereine bieten etwas, was private Anbieter nicht haben: Gemeinschaft

Ehrhart Körting war von 2001 bis 2011 Innensenator des Landes Berlin.
Ehrhart Körting war von 2001 bis 2011 Innensenator des Landes Berlin.

© Thilo Rückeis

Wie finanziert sich der Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband Berlin?

Einerseits durch eine Grundförderung des Senators für Inneres und Sport, andererseits durch das Geld, das dem Sport im Land Berlin etwa durch Lottomittel zur Verfügung steht. Außerdem durch Sponsoren, Krankenkassengelder für Rehasport und Mitgliedsbeiträge, die in Vereinskassen fließen.

Gibt es Probleme bei der Finanzierung?

Dass es eine Grundversorgung durch den Senat von Berlin gibt, ist toll. Aber manchmal wünscht man sich schon, dass Übungsleiter und Mitarbeiter ein bisschen angemessenere Honorare bekommen. Ein wirkliches Problem gibt es im paralympischen Sport: Alle in Deutschland sind stolz, wenn unsere Paralympioniken Medaillen holen. Aber das, was in der Bundesrepublik im Vergleich zu Großbritannien, China oder Brasilien an Förderung für diesen Leistungssport erfolgt, ist schlicht zu wenig. Schade, weil es die sehr eindimensionale Sicht der Deutschen auf Sportarten nur weiter festigt. Demnach ist Fußball alles, dafür werden unverhältnismäßig hohe Summen mobilisiert.

Wie macht der Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband auf seine Angebote aufmerksam?

Überwiegend durch das Internet. Das ist auch wichtig für Ärzte, die Rehasport verschreiben. Mediziner sollen wissen, an wen sie ihre Patienten zu Rehamaßnahmen verweisen können. Dabei ist unser Verband stets erste Adresse. Darüber hinaus gibt es auch Flyer in Praxen, Werbeaktionen und Infobroschüren für Ärzte.

Gibt es eine starke Konkurrenz privater Anbieter, zum Beispiel durch Fitnessstudios?

Ja, wir haben einen spürbaren Wirtschaftskampf. Wie Sportvereine mit Fitnesscentern im Wettbewerb stehen, gibt es auch im Rehasport rein privat organisierte Anbieter ohne Vereinsstruktur. Die Rehasportangebote im Verein beinhalten aber nicht nur den Sport in der Gruppe, sondern auch das Miteinander. Man kann das Vereinsleben gestalten, ist immer Teil einer Gemeinschaft. Dadurch erhält man zusätzliche psychosoziale Gesundheitseffekte. Vereine bieten mehr als Privatkurse. Immer mehr: Innerhalb der letzten zehn Jahre sind die Angebote von 370 auf 3500 gestiegen. Die Kassen haben anscheinend eingesehen, dass sie mit Rehasport über die damit einhergehende Prävention langfristig viel Geld sparen.

Wie kann man sich diese Zahlen erklären? Ist dieser enorme Anstieg der Angebote auf die Paralympics zurückzuführen?

Primäre Ursache ist, dass der Gesetzgeber einen Anspruch der Krankenversicherten auf Finanzierung von Rehasport durch die Kassen geschaffen hat. Aber natürlich sind die Erfolge im Leistungssport und besonders bei den Paralympics eine riesengroße Werbung für uns und motivieren die Leute, sich sportlich zu betätigen. Außerdem tragen sie zur besseren Integration und Inklusion der Menschen mit Behinderung bei. Die Paralympics in London 2012 sind ein hervorragendes Beispiel für effektive Werbung gewesen, man konnte ständig miterleben, wie die Zuschauer mit Begeisterung die Spiele verfolgten.

Wie bringt sich Ihr Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband in die Gesetzgebung ein?

Er wird bei solchen Gesetzesvorhaben leider nicht direkt gefragt, kann sich aber über den Bundesverband in die Diskussion mit einbringen. Bei allen Präventionsmaßnahmen ist die zentrale Frage der Gesetzgebung, wie man die bereits zur Verfügung stehenden Ressourcen in Zukunft absichern kann. Man muss somit dafür sorgen, dass nicht nur die unmittelbare finanzielle Förderung, sondern auch die Infrastruktur gesichert bleibt.

Was wünschen Sie sich als Präsident des Behinderten- und Rehabilitations-Sportverbands Berlin für die Zukunft des Präventions- und Rehasports?

Dass wir das, was an Angeboten für Menschen mit Behinderungen bereitsteht, auch in Zukunft aufrechterhalten können. Und dass wir weiterhin viele Menschen mit unseren Angeboten erreichen. Nicht zuletzt freut es uns immer, wenn wir auch Menschen ohne Behinderung erreichen, die sich zunehmend für das Thema interessieren und aktiv einsetzen.

Das Gespräch führte Leonard Hillmann. Mehr interessante Artikel zum Thema Rehabilitation finden Sie in dem Magazin „Tagesspiegel Reha Berlin & Brandenburg 2017“. Es kostet 12,80 Euro und ist erhältlich im Tagesspiegel-Shop, www.tagesspiegel.de/shop, Tel. 2902-520. Eine Übersicht über Rehasportkurse in Berlin bieten die Datenbanken folgender Webseiten: Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband Berlin (www.bsberlin.de), Landessportbund (www.lsb-berlin.net) und gesundheitsberater-berlin.de/praevention/praeventionssuche.

Von Leonard Hillmann

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