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Regierender Klaus Wowereit in seinem Dienstzimmer: "Schon viele haben versucht, mich hier wegzukriegen" - vergeblich.

© Mike Wolff

Interview mit Klaus Wowereit: „Es gibt Alternativen zu Rot-Schwarz“

Warum Wowereit die Grünen für nicht regierungsfähig hält, wie er Vertrauen zur CDU aufbaut, was er auf Sarrazins Kritik erwidert und wann die Stadtautobahn gebaut wird, erzählt er im Interview.

Von
  • Hans Monath
  • Sabine Beikler
  • Ulrich Zawatka-Gerlach

Herr Wowereit, SPD und CDU wollen Berlin zu einer europäischen Vorzeigemetropole für Integration machen. Was ist damit gemeint, warum kommt diese Idee so spät?

Es geht bei diesem Begriff nicht um einzelne Maßnahmen, sondern um das Klima, das Lebensgefühl einer Stadt. Integration ist ein permanenter Prozess. Dazu bekennt sich auch Rot-Schwarz, und das ist mir wichtig. Die bisherige liberale Integrationspolitik wird fortgesetzt und konsequent weiterentwickelt. Es wird keinen Bruch geben. Im übrigen haben wir schon in der Vergangenheit diverse Projekte – etwa die Stadtteilmütter – begonnen. Berlin ist längst auf dem Weg zu einer Willkommenskultur – ebenso wie diejenigen, die hier leben, Integrationswillen zeigen müssen.

Wird die Integrationspolitik unter Rot-Schwarz aufgewertet und zur Chefsache gemacht? Bisher war sie versteckt in der Sozialverwaltung.
Die Integrationspolitik war nicht versteckt, sondern wurde von der zuständigen Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales kompetent angepackt. Integration macht andererseits aber nicht nur der Integrationsbeauftragte, es ist eine Querschnittsaufgabe. Es wäre fatal zu glauben, dass nur ein Ressort oder der Regierende Bürgermeister die Integration voranbringen kann. Denken Sie zum Beispiel an die Bildungspolitik.

Ihr früherer Finanzsenator Thilo Sarrazin kritisiert, dass Ihr Buch zur Integrationspolitik eine Schönwetter-Mutmach-Fibel sei, es fehle das geistige Niveau.
Das zeigt nur, dass Thilo Sarrazin aus der Vergangenheit und der Debatte über sein Buch nichts gelernt hat. Er versucht Menschen auszugrenzen und zu diffamieren. Das ist nicht mein Ansatz. Und wer intellektuell höher steht, sollen andere bewerten. Wir werden im Koalitionsvertrag deutlich machen, dass alle Menschen, die hier leben, ihre Chance bekommen und nicht ausgegrenzt werden.

Sie freuen sich jetzt auf Rot-Schwarz?
Ich freue mich, dass die SPD von den Berliner Wählern wieder den Auftrag bekommen hat, die Stadt mitzugestalten. Und zwar in der Führungsposition.

Wie ist die Stimmung?
Die Verhandlungsatmosphäre ist sehr konstruktiv und an der Sache orientiert. Es gibt einen fairen Ausgleich der Interessen, und die bisher erzielten Übereinkünfte zwischen SPD und CDU garantieren eine große Kontinuität zum bisherigen Regierungshandeln. Aber es werden auch neue Akzente gesetzt.

Stimmt die persönliche Chemie zwischen den Unterhändlern?
Es entwickelt sich Vertrauen, aber das ist natürlich ein Prozess. Es ist ja nicht so, dass zwischen SPD und CDU in den vergangenen zehn Jahren gutes Einvernehmen bestand. Wir müssen uns erst besser kennenlernen und aneinander gewöhnen. Aber: Entscheidend sind die Inhalte.

Gibt es eine Botschaft, die das neue rot-schwarze Bündnis aussenden will?
Die Botschaft ist: Wachstum, Stabilität und soziale Gerechtigkeit. Für mich ist wichtig, dass sich Berlin die innere Liberalität bewahrt. Nach den Verhandlungen über Inneres, Justiz und Integration gibt es auch keinen Zweifel daran, dass SPD und CDU eine moderne Großstadtpolitik betreiben werden.

Mussten Sie diese Liberalität und Offenheit der CDU abringen?
SPD und Union sind Parteien mit unterschiedlichen Standpunkten, gerade bei diesen Themen. Aber entscheidend sind die Verhandlungsergebnisse – und die lassen sich sehen.

Tut es Ihnen leid, dass die Sondierungsgespräche mit den Grünen geplatzt sind?
Wir haben sehr konstruktiv daran gearbeitet, auf einen Nenner zu kommen. Die Haltung der Grünen hat aber dazu geführt, dass die Koalitionsgespräche beendet werden mussten. Wenn es nicht geht, dann muss man damit leben.

Hätte es Ihre Entscheidung nicht beeinflussen müssen, dass die SPD 2013 auf Bundesebene eine rot-grüne Koalition anstrebt?

Es wäre fatal, wenn man Koalitionsbildungen in Ländern von der Situation auf Bundesebene abhängig macht. Es ist ein alter SPD-Grundsatz, dass dies vor Ort entschieden wird. Ich mache Politik für Berlin und orientiere mich dabei nicht an bundespolitischen Aspekten. Das war unter meiner Führung seit 2001 so und das wird auch so bleiben.

Es hat niemand aus der SPD-Spitze gesagt, bitte überlege doch noch mal?
Nein. Aber es gab auch in der Bundesspitze einen breiten Konsens und erst recht eine enge Abstimmung mit Parteichef Sigmar Gabriel, als es darum ging, wie die SPD in Berlin entscheidet.

Die Grünen behaupten, Sie hätten von Anfang an nicht mit ihnen koalieren wollen.
Das ist objektiv falsch. Ich kann ja verstehen, dass nach dem Scheitern bei den Grünen diese Parole ausgegeben wurde. Aber: Rot-Grün wäre in Berlin sehr wohl eine Variante gewesen, aus Sicht der SPD sogar die Vorzugsvariante. Auf der anderen Seite nutzt es weder der SPD noch den Grünen und der Stadt, wenn es keine stabilen Verhältnisse gibt, um fünf Jahre erfolgreich miteinander zu regieren. Neben der A 100 wäre es zum Beispiel auch zum ständigen Streit um den Ausbau des Großflughafens gekommen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2: "Die Berliner Grünen sind nicht regierungsfähig"

Sind die Berliner Grünen innovationsfeindlicher und Infrastruktur ablehnender aufgestellt als die Bundes-Grünen?
Die Bundes-Grünen waren nicht gegen die A 100. Frau Künast saß am Kabinettstisch, als der Ausbau der Stadtautobahn in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen wurde. Auch in anderen Landesverbänden der Grünen scheiterten Koalitionen nicht am Streit um Infrastrukturprojekte, wie Hamburg, Bremen oder Rheinland-Pfalz zeigen. Das ist hier in Berlin schon eine besondere Situation.

Sind die Berliner Grünen regierungsfähig?
Wenn sich die Grünen in Berlin nicht weiterentwickeln, dann nicht.

Es gibt in der Berliner SPD junge, linke Genossen, die sich freuen würden, wenn auch Rot-Schwarz gegen die Wand fährt.

Diese Genossen kenne ich nicht. Die Enttäuschung war groß, dass Rot-Grün nicht funktioniert. Aber auch in dieser schwierigen Situation hat die SPD gezeigt, wie geschlossen sie ist.

Was wäre die Alternative, wenn auch die Verhandlungen mit der CDU scheitern. Der Gang in die Opposition?
Es gibt immer Alternativen.

Tatsächlich?
Ja. Ich bin schon im Wahlkampf dafür eingetreten, möglichst viele Optionen zu haben. Das ist immer gut. So wie Rot-Schwarz eine Alternative zu einer rot-grünen Regierung ist, gibt es selbstverständlich immer noch andere Möglichkeiten. Aber wir sind jetzt mit der CDU auf einem guten Weg und deshalb müssen wir darüber nicht weiter reden.

Jeder Regierungschef braucht einen starken Fraktionsvorsitzenden, der ihm den Rücken freihält. Das war zehn Jahre lang Michael Müller. Kämen Sie auch mit dem Spandauer SPD-Kreischef Raed Saleh klar, der Fraktionschef werden will?
Der Regierende Bürgermeister wählt sich nicht den Fraktionschef aus. Das ist Sache der SPD-Abgeordneten. Jede Wahl, die die SPD-Fraktion trifft, wird von mir akzeptiert. Und da wir alle Mitglieder einer Partei sind, werden wir selbstverständlich gut zusammenarbeiten. Wer auch immer gewählt wird.

Warum wollten Sie unbedingt das SPD-Mitglied Udo Hansen als Polizeipräsidenten durchdrücken?
Die Parteizugehörigkeit von Herrn Hansen war kein Kriterium für den Auswahlprozess. Davon abgesehen finde ich es unerträglich, dass die fachliche Qualität des Bewerbers immer wieder öffentlich in- frage gestellt wird. Es wurde der beste Kandidat ausgewählt, in einem sehr förmlichen und objektiven Verfahren.

Hätte man nicht bis zur Senatsbildung warten können?
Warum? Das hätte an der Auswahlentscheidung doch nichts geändert, das Verfahren ist ja abgeschlossen.

Dann hätte ein christdemokratischer Innensenator Einfluss nehmen können, wer Polizeipräsident wird.
Der Polizeipräsident ist in Berlin kein politisches oder gar ein parteipolitisches Amt, jedes Auswahlverfahren läuft nach denselben strikten Verfahrensregeln ab. Da geht es um Kompetenz.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung plant Steuerentlastungen. Wird ein rot-schwarzer Senat dem im Bundesrat zustimmen?
Einen Plan der Bundesregierung kann ich nicht erkennen. CDU, FDP und CSU streiten doch auf offener Bühne darüber, was sie wollen. Aber grundsätzlich gilt: Ich halte Steuersenkungen derzeit für fatal. Alle Daten besagen, dass sich das wirtschaftliche Wachstum in Deutschland verlangsamen wird. Wir reden angesichts der finanziellen Risiken in Europa und in der Welt von Krise. Da ist überhaupt kein Platz für Steuersenkungen.

Was heißt das für Berlins Abstimmungsverhalten im Bundesrat?
Die Stimme Berlins für Steuerentlastungen wird es im Bundesrat nicht geben.

Der Bund will für den Ausbau der A 100 420 Millionen Euro bereitstellen. Wann wird das Geld beantragt?
Das erste Geld ist längst geflossen. Wir warten nun auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss. Danach wird sofort gebaut. Es gibt keinen Grund, etwas hinauszuzögern.

Wie wollen Sie trotz der Haushaltsnotlage eine teure Landesbibliothek finanzieren?
Im Etat 2012/13 sind Gelder eingestellt.

Planungsgelder…
…ja natürlich Planungsgelder, weil man ohne Planung nicht bauen kann. Die Landesbibliothek wird finanziert.

Die Kunsthalle auch?
Beide Koalitionspartner haben den Wunsch geäußert, der Senat solle eine Finanzierung unter der Voraussetzung prüfen, dass private Geldgeber das Projekt massiv unterstützen. Ob das gelingt, weiß heute kein Mensch.

Hat es Ihnen gefallen, dass Altkanzler Helmut Schmidt den Ex-Finanzminister Peer Steinbrück zum geeigneten Kanzlerkandidat der SPD erklärt hat?
Am Fahrplan der Bundes-SPD ändert sich dadurch gar nichts: Parteichef Sigmar Gabriel wird zur Kandidatenfrage Ende 2012, Anfang 2013 einen Vorschlag machen, der muss dann von Parteigremien bestätigt werden. Jenseits dieses Fahrplans sehe ich eine sehr erfreuliche Entwicklung für die SPD. Die Bundesregierung liefert eine so miserable Leistung ab, dass immer mehr Menschen danach schreien, dass sie endlich abgelöst wird. Uns traut man offensichtlich zu, dass wir es besser machen.

Kann Steinbrück Kanzler, wie Helmut Schmidt sagt?
Wir werden die Debatte zum gegebenen Zeitpunkt führen. Dabei bleibt es.

Sie wollen uns nicht einmal verraten, was Sie Steinbrück zutrauen?
Ich halte sehr viel von Peer Steinbrück und seiner finanzpolitischen Kompetenz. Natürlich halte ich unendlich viel von Helmut Schmidt. Ich freue mich, dass so viele Menschen die Talksendung mit den beiden gesehen haben. Das kann der SPD nur nutzen.

Nach Ihrem Wahlsieg haben einige SPD-Linke aus der Bundespartei gesagt: Jetzt ist auch Wowereit ein potenzieller Kanzlerkandidat. Damals standen die Zeichen noch auf Rot-Grün in Berlin. Können Sie als Chef des rot-schwarzen Senats noch ein glaubwürdiger Frontmann des linken Parteiflügels im Bund sein?
Ich wundere mich, wenn ich mit so einer Fragestellung schon wieder weggelobt werden soll, obwohl mich das Parlament noch nicht einmal zum Regierenden Bürgermeister wiedergewählt hat. Das ist eine völlig überflüssige Debatte, die Sie da anzetteln.

Tatsache ist doch, dass Ihre künftige Koalition schlecht zu den Präferenzen der SPD-Linken passt.
Woher wissen Sie das? Die Frage von Koalitionen in den Ländern hat nichts mit allgemeinen politischen Grundhaltungen zu tun. Meine Grundhaltung hat sich nicht geändert, weil ich mit der CDU verhandle. Ich glaube auch nicht, dass sich meine Stellung innerhalb der deutschen Sozialdemokratie dadurch verändert.

Sie bleiben eine wichtige Stimme des linken Parteiflügels in der Bundes-SPD?
Da wird mich keiner wegkriegen.

Und aus dem Roten Rathaus kriegt Sie auch keiner weg?
Sagen wir so: Das haben schon viele versucht.

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