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Sibyll Klotz, Stadträtin in Tempelhof-Schöneberg

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Interview über Berliner Bezirkspolitik: Stadträtin Sibyll Klotz: "Berliner Verwaltung funktioniert nicht gut"

Die scheidende Stadträtin Sibyll Klotz über Freud und Leid der Bezirkspolitik – und einen 104. Geburtstag.

Frau Klotz, zehn Jahre Bezirkspolitik als Stadträtin: Kann man den Menschen in einer Stadt näher kommen?
Ich erlebe die Leute mit ihren ganz konkreten Sorgen, Nöten und Erwartungen. Denn die Bezirke erbringen die Leistungen für die Bürger, nicht die Senatsverwaltungen. Man ist im Bezirk so nah dran wie mit keinem anderen politischen Amt.

Was hat sich in diesen zehn Jahren verändert?
Es gibt eine politische Kurskorrektur im Vergleich zu den Zeiten, als ich begonnen habe. Das beginnt beim Personalabbau. „Sparen, bis es quietscht“ war damals das Motto. Jetzt quietscht es und man baut wieder auf. Leider, finde ich, baut man jetzt genauso unsystematisch wieder auf, wie man damals abgebaut hat. Verändert hat sich auch der Umgang mit den Gebäuden, den Liegenschaften, den Flächen, die Berlin gehören. Damals hieß es „verkaufen, verkaufen, verkaufen“, und zwar an den Höchstbietenden, damit Geld in die Kassen kommt. Heute gibt es wieder Ansätze einer kommunalen Liegenschaftspolitik. Leider kann man die verkauften Wohnungen, Gebäude und Grundstücke nicht zurückbekommen.

Gibt es eine Entwicklung, die Ihnen Sorgen macht?
Mir macht wirklich Sorge – das betrifft die Bezirke und die Landesebene –, dass unsere Berliner Verwaltung insgesamt einfach nicht gut funktioniert. So erleben das viele Berlinerinnen und Berliner, ob zugewandert oder hier geboren. Die sagen sich zu Recht: Ich zahle meine Steuern – was kriege ich als Leistung dafür? Und wenn sie dann marode Schulen, kaputte Brücken und eine heruntergewirtschaftete Verwaltung sehen, die nicht funktioniert, kritisieren sie das zu Recht. Das führt zu einer Haltung, die Kräfte stützt, die ganz rechts oder ganz links außen unterwegs sind. Das macht mir Sorge.

Haben Sie so etwas wie eine politische Lieblings-Erinnerung? Etwas, woran Sie besonders gerne denken oder worauf Sie besonders stolz sind?
Ja, aber das ist mehr eine Randnote. Es war ein Projekt unseres Gesundheitsamtes, das wir mit Über-Hundertjährigen Berlinerinnen aus unserem Bezirk gemacht haben. In mehreren Ausstellungen und Veranstaltungen hatte ich viele interessante und berührende Begegnungen. In der vergangenen Woche habe ich einer Frau, der ich damals zum 100. gratuliert habe, jetzt zum 104. gratuliert. Dieses Thema der Hochbetagten, wie alt die Leute heute werden, dass das nicht zwingend mit geistigem Verfall einhergehen muss, auch wenn es ihnen körperlich nicht mehr so gut geht – das war eine besondere Erfahrung. Was die politisch erlebt haben! Der Titel einer Ausstellung hieß: „Wenn der Kaiser Geburtstag hatte, hatten wir schulfrei.“ Das sagt, glaube ich, alles.

Die Berliner Bezirksämtern sind eine Mischung aus Kommunal-Regierung und Verwaltung. Wäre mehr Freiheit, mehr Demokratie in den Bezirken besser für die Stadt?
Ich glaube, dass die Stadt sich neu aufstellen muss, auch im Verhältnis Bezirke und Senat. So eine große Stadt braucht beides. Man kann sie weder nur dezentral, noch nur zentral organisieren. Es gibt auf beiden Ebenen Dinge, die gut funktionieren, und Sachen, die verändert werden müssen. Demokratisierung bedeutet für mich: klare Spielregeln, klare Absprachen: Wer ist hier eigentlich wofür zuständig? Damit endlich dieses unwürdige Spiel, das hier permanent stattfindet, aufhört, dass einer immer mit dem Finger auf den anderen zeigt und sagt: Da sind wir nicht für zuständig, dass die Wahlen jetzt nicht am 18. September stattfinden können. Das kommt, weil die nur so alte Computer und Drucker haben…

Also eher eine Verwaltungs- als eine Verfassungsreform?
Ja.

Vor Ihrer Zeit als Stadträtin waren Sie 15 Jahre lang Abgeordnete im Landesparlament. Wo kann man mehr machen?
Es hat beides was. Man hat andere Eingriffsmöglichkeiten, wenn man Landesgesetze beschließt und den Rahmen auf der städtischen Ebene setzt. Aber konkret Dinge voran bringen und für die Bürger etwas leisten – das kann man besser im Bezirk. Und eins ist eben auch noch Sache der Bezirke – dafür war ich in den vergangenen fünf Jahren verantwortlich: die Stadtplanung. Das betrifft das Zusammenleben in der Stadt ganz besonders. Da können Bezirke sehr viel gestalten – noch, denn die Tendenz der SPD ist nicht zu übersehen, alles zu zentralisieren.

Welche Eigenschaft ist die wichtigste für eine Bezirkspolitikerin?
Langer Atem. Ein klares Ziel. Gut strukturiert und organisiert sein. Und: Gelassenheit.

Wird der Abstand zwischen Regierenden und Regierten eher größer oder kleiner?
Als ich anfing vor 25 Jahren, war das Parlament anders zusammengesetzt, als es das heute ist. Von den Berufsabschlüssen her waren viele Leute dabei, die kein abgeschlossenes Hochschulstudium hatten oder Beamte waren. Es gab allerdings auch kaum Leute mit Migrationshintergrund – wir waren die erste Fraktion mit diesen zugewanderten Berlinern. Das verändert sich Gott sei Dank. Heute habe ich oft das Gefühl: Die Stadt, die die Regierenden beschreiben, ist nicht dieselbe, die die Bürgerinnen und Bürger wahrnehmen. Da fällt mir nicht viel ein. Ich kann ja nicht den Leuten sagen: „Das, was Du siehst, ist in Wirklichkeit ganz anders.“ Man muss diese Wahrnehmung schon zur Kenntnis und ernst nehmen.

Was würden Sie an der Bezirkspolitik am liebsten ändern?
Die starren Regeln, die wir haben, und die Bürokratie, die ja nicht vom Himmel gefallen, sondern menschen- und politikgemacht ist. Da schießen wir uns selbst ins Knie und vergeuden wertvolle Ressourcen, die wir besser für die konkreten Dienstleistungen für die Berlinerinnen und Berliner einsetzen sollten. Die Kräfte, die wir haben, verbrauchen wir für zum Teil absurde, zum Teil schwachsinnige Regeln, die man sich im Lauf von Jahrzehnten erdacht hat, die vielleicht mal einem guten Ziel gedient haben, aber an vielen Stellen überholt sind und eine gute Arbeit erschweren.0,0

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