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© dpa

Interview: „Wegziehen wäre falsch“

Jede Menge Ärger für Christian Ströbele: Ob Schule oder Mediaspree – der Protest richtet sich in jedem Falle gegen Kreuzbergs Grüne. Mit dem Tagesspiegel spricht der Bundestagsabgeordnete über mögliche Veränderungen.

Kreuzberger Eltern protestieren, weil sie keine geeigneten Schulen finden. Die Eltern fürchten vor allem den hohen Anteil von Migranten-Kindern in Schulen.

Das ist tatsächlich ein großes Problem, das oft die Bedingungen des Lernens schwierig macht. Aber dieses Problem kann man nicht lösen, indem man die Schulen mit den 90 Prozent Migrantenanteil alleine lässt und die Klassenstärke auf bis zu 28 Schüler raufsetzt. Jeden Lehrer, den man hier einspart, muss man später an Sozialarbeitern, an Polizeibeamten und anderen dreifach aufwiegen.

Die Eltern sagen: Warum sollen unsere Kinder die verfehlte Bildungspolitik, ob des Bezirks oder Senats, ausbaden? Dann ziehen wir weg. Können Sie das verstehen?

Verstehen ja, aber ich finde es nicht immer richtig. Auch in kritischen Kiezen gibt es Schulen mit hohen Leistungsstandard und geringem Migrantenanteil. Und dass man den Notstand einer Schule verändern kann, hat die Rütli-Schule gezeigt.

Aber erstmal wurden Generationen von Schülern bestraft, bis sich etwas verändert.

Deshalb ist es wichtig, dass der Bezirkselternausschuss jetzt den Notstand ausgerufen hat und protestierend auf die Straße gegangen ist. Deshalb müssen wir zusätzlich von der Bundespolitik, vom Bezirk und vom Abgeordnetenhaus aus den Druck auf den Senat erhöhen, wenn die da Lehrer abziehen wollen. Man muss dem Beispiel der Rütli-Schule folgen.

Tatsache ist aber doch: Die Probleme an den Schulen in Kreuzberg werden von Jahr zu Jahr größer, der Migrantenanteil steigt.

Aber es wäre die falsche Reaktion, wenn diejenigen, die das Problem sehen und dagegen kämpfen, aus Kreuzberg wegziehen.

Sie sind auch aus Kreuzberg wegzogen?

Ich bin nicht aus Kreuzberg weggezogen. Ich habe noch nie dort gewohnt. Seit 25 Jahren habe ich den Wohnsitz in meinem Anwaltsbüro in Tiergarten wegen der Nähe zu den Gerichten. Es gibt ja keinen Zwang, in Kreuzberg zu leben.

Einige Eltern sagen, sie würden bleiben, wenn sie eine evangelische Privatschule gründen könnten. Das wurde ihnen bislang von ihrer Grünen-Kollegin, der Bildungsstadträtin, Monika Herrmann, verwehrt.

Ich unterstütze die Gründung dieser Schule. Das kann für einige der Ausweg sein. Aber das löst nicht das Problem der Gesamtbevölkerung. Und der Staat, die Bildungsstadträtin haben die Aufgabe, für die 95 Prozent anderen eine Lösung zu finden. Wir können nicht Dutzende von Privatschulen gründen. Auch die Stadträtin ist nicht gegen Privatschulen, strittig ist hier der konkrete Standort.

Auch beim Projekt Mediaspree steht die Politik der Grünen in der Kritik. Eine Bürgerinitiative kämpft gegen die Bebauung des Spreeufers an der Oberbaumbrücke.

Vieles von dem, was die Initiative „Mediaspree versenken“ will, ist richtig. Selbstkritisch muss ich eingestehen, dass viele von uns, die jetzt kritisch sind, sich lange leider um diese brachliegenden Flächen zu wenig gekümmert und auch gar nicht daran geglaubt haben, dass da mal was draus werden könnte.

Könnte ja jetzt sein.

Die Attraktivität des Spreeufers kann aber nicht nur einigen Investoren zugute kommen. Andererseits könnte ich es nie verantworten, dass der Bezirk Entschädigungen in Millionenhöhe zahlen müsste. Damit würden wir den Bezirk ruinieren. Das Geld würde sozialen Projekten dann fehlen.

Was raten Sie?

Ich bin dafür, jede Möglichkeit zu nutzen, um etwa die Forderung umzusetzen, erst ab einer Distanz von 50 Metern von der Spree zu bauen. Damit man die Kiezmischung erhält. Am Revaler Fünfeck haben wir das gleiche Problem. Auch da sage ich den Investoren, die schicke Bürotürme errichten wollen: Solche alternativen Kultureinrichtungen, wie sie sich hier angesiedelt haben machen die Attraktivität von Kreuzberg und Friedrichshain aus. Das andere, das Schicke und Sterile haben wir in Berlin genug.

Kann sich der Bezirk die Haltung leisten?

Berlin lebt ganz stark vom Tourismus. Und die Touristen kommen aus Kopenhagen und New York nicht nach Berlin wegen der sterilen Glaspaläste.

Das Gespräch führte Claudia Keller

Christian Ströbele (69) ist direkt gewählter Bundestagsabgeordneter in Kreuzberg. Eltern und Bewohner protestieren dort heftig gegen die Grünen, die auch den Bezirksbürgermeister stellen.

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