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Karrierediplomat. Seit mehr als 30 Jahren ist Peter Boehm im diplomatischen Dienst. Vor kurzem wurde der promovierte Historiker zum beamteten Staatssekretär seiner Regierung in Ottawa ernannt.

© Thilo Rückeis

Interview: „Für Deutschland ist das F-Wort immer noch schwer“

Im Abschiedsinterview erzählt der scheidende kanadische Botschafter Peter Boehm, was ihn an seinem Gastland überrascht hat und was er von der Integrationsdebatte und Deutschlands Rolle in der Europäischen Union denkt.

Herr Boehm, nach viereinhalb Jahren als kanadischer Botschafter gehen Sie jetzt zurück nach Ottawa. Was waren für Sie die größten Überraschungen, die Sie in Deutschland erlebt haben?

Boehm: Als Kanadier hatte ich mir Deutschland monolithischer vorgestellt. Dabei ist das Land vielfältiger als erwartet – es gibt die Regionen, die Bundesländer und die unterschiedlichsten Kulturen, die hier zusammenleben. Es gibt hier die gleichen regionalen Fragen und finanziellen Ausgleichsfragen wie im kanadischen Föderalismus. Und die Vielfalt von unterschiedlichen Kulturen ist gerade in den deutschen Großstädten größer als erwartet. Wir sind ja ein klassisches Einwanderungsland und haben den Multikulturalismus, den wir anders verstehen als das in Deutschland der Fall ist. Aber dennoch ähneln wir uns in der Vielfalt mehr als erwartet.

Es fiel ja vielen in Deutschland lange schwer, die Realität als Einwanderungsland anzuerkennen. Kanada gilt vielen immer noch als Vorbild in Sachen Einwanderer-Auswahl, Integrationsförderung und Akzeptanz von Vielfalt. Was kann Deutschland Ihrer Meinung nach noch von Ihrem Land lernen?

Wir sind nicht unbedingt Vorbild oder Musterland, da die Bedingungen anders sind. Allerdings sind die Integrationsfragen dieselben. Und da ist Bildung ein zentrales Thema: Bei uns muss man nicht nach neun Jahren sagen, ob und welche weiterführende Schule die Kinder besuchen. Sondern sie sind bis zum zwölften Schuljahr mehr oder minder immer zusammen – das hilft der Integration sehr. Und es führt dazu, dass die Kinder der Neuankömmlinge manchmal sogar bessere Noten haben. Ein anderer Punkt, der mir persönlich sehr wichtig ist, ist die Willkommenskultur. In Kanada gibt es zum Beispiel sehr schöne und ergreifende Zeremonien für neue Staatsbürger, an denen ich auch ein paar Mal teilgenommen habe. Bei Deutschland ist das eher so ein Verwaltungsakt mit Stempel…

In Deutschland ist Einwanderung ja ein emotional sehr aufgeladenes Thema. Angela Merkel sagt, Multikulturalismus sei gescheitert, Heinz Buschkowsky und Thilo Sarrazin haben sehr erfolgreiche Bücher über Integrationsdefizite geschrieben, die die Diskussion polarisiert haben. Wie erleben Sie die Debatte als Vertreter eines Landes, das den Multikulturalismus als Staatsaufgabe festgeschrieben hat?

Was mir nicht passt, ist diese Klassifizierung durch den Begriff „Migrationshintergrund“. Das finde ich diskriminierend. Wo ich herkomme, hat jeder einen Migrationshintergrund, daher hätte so ein Begriff bei uns keine Bedeutung. Bei uns redet man höchstens von „New Canadians“, wenn man Menschen meint, die kürzlich eingewandert sind. Dennoch: Ich kenne sowohl Herrn Sarrazin als auch Herrn Buschkowsky und ich finde, ihre Bücher sind wichtig für eine Debatte, die geführt werden muss und nicht unterdrückt werden darf. Man muss nicht mit ihren Thesen übereinstimmen, aber vor allem Herr Buschkowsky hat mit seinen Erfahrungen einen wichtigen Beitrag zur Diskussion geleistet. Bei uns gibt es teilweise eine ganz ähnliche Diskussion. Aber in Kanada wird man schneller Staatsbürger und fühlt sich schneller als Teil des Gemeinwesens. Gleichzeitig wird es bei uns gefördert, die Verbindung zu alten Heimat durch Kulturorganisationen oder auch durch Sprachkurse am Wochenende zu halten. So wie ich in meiner Jugend als Kind siebenbürgischer Eltern am Wochenende eine deutsche Sprachschule besucht habe.

Und das haben Sie nicht als Integrationshindernis erlebt?

Nein, im Gegenteil!

Welche anderen deutschen Besonderheiten sind Ihnen in den vergangenen Jahren noch aufgefallen, die Sie bemerkenswert finden?

Zum Beispiel der andere Umgang mit Geld: Die Bundesbank und die Bundesregierung haben sich in der Finanzkrise auf eine Weise verhalten, die mit der deutschen Geschichte und der Furcht vor der Inflation zu tun hat, was bis in die Weimarer Republik zurückgeht. Deutschland ist ein reiches Land mit großem Wachstum, mit niedrigen Arbeitslosenzahlen – und trotzdem wollen die Leute sparen und kein Geld ausgegeben. Eine Kreditkartenblase wie in meinem Land und manchen anderen Ländern kann ich mir für Deutschland nicht vorstellen. Auch ist mir aufgefallen, dass hier Regeln im Alltag manchmal ernster genommen werden als bei uns. Wenn man zum Beispiel an einer roten Ampel steht und auf der Straße ist kein Auto zu sehen, geht man bei uns einfach los. In Deutschland habe ich mir dafür ein paar Mal kritische Kommentare von Passanten eingefangen.

Wie die Kanadier noch heute von Karl May profitieren

Karrierediplomat. Seit mehr als 30 Jahren ist Peter Boehm im diplomatischen Dienst. Vor kurzem wurde der promovierte Historiker zum beamteten Staatssekretär seiner Regierung in Ottawa ernannt.
Karrierediplomat. Seit mehr als 30 Jahren ist Peter Boehm im diplomatischen Dienst. Vor kurzem wurde der promovierte Historiker zum beamteten Staatssekretär seiner Regierung in Ottawa ernannt.

© Thilo Rückeis

Was werden Sie in Kanada besonders vermissen?

Es klingt vielleicht wie ein Klischee, aber ich finde die Weihnachtsmärkte toll. Dazu die Vielfalt des Kulturangebots, vor allem in Berlin, wo es dank des Zusammenwachsens von zwei Stadthälften besonders viele Kultureinrichtungen gibt. Und ich werde das öffentliche Nahverkehrssystem vermissen, das so gut ist wie kaum ein anderes auf der Welt.

Sie haben im Gegensatz zu Botschaftern anderer Länder von Anfang an Deutsch gesprochen. Wie wichtig war das für Ihre Arbeit?

Sehr. Gerade im östlichen Teil Deutschlands, wo Englisch bei Gesprächspartnern meiner Generation nicht unbedingt selbstverständlich ist, hat es mir sehr geholfen, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Auch wenn in Deutschland ja zunehmend englische Worte benutzt werden – inklusive einiger, die wir bei uns eigentlich gar nicht verwenden, so wie „Handy“. Das letzte „Wort des Jahres“ zum Beispiel, „Shitstorm“, das wird in Deutschland als englisches Wort für kontroverse Diskussionen im Internet benutzt, ist bei uns aber eigentlich nur als ganz schlimmes Schimpfwort verbreitet.

Neben dem nach wie vor dominanten Bild Kanadas als Traumland für Aussteiger, das mit endloser Natur lockt, gibt es in Deutschland zunehmend auch Kritik am kanadischen Umgang mit der Natur, von der Jagd auf Robbenbabys bis hin zum Abbau von Ölsand-Vorräten, der mit großen ökologischen Nebenwirkungen verbunden ist und der zum Beispiel von Greenpeace als Kampagnenthema gegen Kanada eingesetzt wird. Wie erleben Sie diesen Imagewandel Kanadas in Deutschland?

Im Großen und Ganzen ist das Bild nicht negativ. Wir haben als Kanadier Karl May sehr viel zu verdanken. Auch die Olympischen Winterspiele wurden mit Begeisterung verfolgt. Aber wir sind nun mal ein sehr großes Industrieland mit reichen Bodenschätzen. Ölsand ist als Quelle fossiler Brennstoffe unkonventionell. Da gibt es einen CO2-Ausstoß, aber der nimmt dank besserer Technologie ab. Und wir lernen von Deutschland einiges in Sachen Rekultivierung des Landes, das wird langsam besser. Aber die Welt wird fossile Treibstoffe noch viele Jahre brauchen, und wir erzeugen sie. Es wird auch der Tag kommen, an dem wir sie nach Europa exportieren, weil die Bodenschätze hier nicht so umfangreich sind wie bei uns. Und bei deren Erzeugung gibt es nun mal einen Schadstoffausstoß. Aber wir versuchen unser bestes, diesen zu reduzieren. Und was die Robbenjagd angeht, ist das eine wichtige zusätzliche Einkommensquelle für Bewohner der Küstenregionen, wo es wegen der Überfischung - zum großen Teil durch Europäer - nicht mehr viele andere Möglichkeiten gibt, seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Sie haben zumindest im kleinen Kreis immer wieder davon gesprochen, dass Deutschland seine Führungsrolle in Europa stärker wahrnehmen müsse. Was muss sich da ändern?

Für Deutschland ist das F-Wort immer noch schwer. Das hat natürlich historische Gründe. Aber ein so potentes Land mit der stärksten Wirtschaft und einer immer stabilen Regierung, das zudem im UN-Sicherheitsrat sitzt, hat eine gewisse Verantwortung in Europa. Die wahrzunehmen, fällt manchen immer noch schwer, weil man in Europa und mit den Nachbarn ein gutes Verhältnis haben will und vermeiden will, dass die alten Ressentiments der Vergangenheit hochkommen. Aber ich denke: Deutschland kann in der Außenpolitik und in der Europapolitik noch mutiger sein und seine Vorstellungen von Europa stärker vertreten. Wir als Kanadier wollen uns der Europäischen Union immer weiter annähern, wir sind zum Beispiel in den letzten Zügen eines umfangreichen Wirtschaftsabkommens inklusive eines Freihandelsabkommens. Das ist für uns wichtig, ein Gegengewicht zu unserem großen Partner im Süden, den USA, zu haben. Und bei diesen Verhandlungen hat uns Deutschland sehr unterstützt. Wir hoffen, dass das in den nächsten Monaten alles erfolgreich abgeschlossen wird.

Das Gespräch führte Lars von Törne

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