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Berlin: Irina Pabst: Das Gesetz der russischen Seele

Manchmal wirkt sie exaltiert wie ein Filmstar. Auf der Bühne der Berliner Gesellschaft gibt sie eine einzigartige Mischung aus Grande Dame und Unterstützerin der Bedrängten.

Manchmal wirkt sie exaltiert wie ein Filmstar. Auf der Bühne der Berliner Gesellschaft gibt sie eine einzigartige Mischung aus Grande Dame und Unterstützerin der Bedrängten. Ihr Temperament füllt Räume. Irina Pabst gilt als die Seele der Aids-Gala und hat selbst eine russische Seele. Was aber ist das eigentlich genau, eine russische Seele? Begeben wir uns auf Spurensuche. Hat ihre offene, ja, manchmal fast überschwänglich wirkende Art, auf Menschen zuzugehen, damit zu tun? Die Unbefangenheit, mit der sie auch flüchtige Bekannte mit "Liebste Freundin" anredet? Das fällt unter Temperament und greift nicht weit genug.

Ihr Vater, Franz von Udinzeff, war Oberst der Weißen Armee, floh vor den Kommunisten zu Fuß von Sibirien nach Berlin. Das Emigranten-Milieu prägt sie bis heute. So erklärt sich die uneingeschränkte Begeisterung, mit der sie bei einem Treffen im Ritz-Carlton "meine liebe Freundin die Großfürstin Tchavtchavadze aus Moskau" vorstellt und deren Tochter, "die kleine Fürstin". Bevor wir die freundliche, ruhige Frau befragen, die in Moskau eine Kulturstiftung leitet und dem Auftreten nach auch eine Managerin aus Paris sein könnte, suchen wir den Schlüssel zur russischen Seele lieber bei dem ersten Impuls, der Irina Pabst zu den Aidskranken geführt hat. Was sie über die Krankheit gelesen hatte, berührte die tief gläubige Frau, und so ging sie eines Tages in der ihr eigenen unbefangen überschwänglichen Art ins Krankenhaus und fragte nach, ob da Kranke wären, die Freude an ihr haben könnten, und an denen sie umgekehrt auch Freude haben könnte. Sie traf Hans Quass.

Bis an die äußersten Grenzen

In den wenigen Jahren, die der aidskranke junge Mann noch zu leben hatte, entwickelte sich eine Freundschaft. Als Freunde ihn in seinen letzten Lebenstagen nach Hause holten, kochte sie für die jungen Leute: Kohlrouladen, Sauerbraten, deftige Sachen eben. Die wollten sich mit Ehrlichkeit bedanken. Das zögernd überbrachte Geständnis, dass sie alle homosexuell seien, wischte sie erstaunt beiseite. "Ich konnte mir nicht vorstellen, dass das in einer großen Stadt wie Berlin noch so etwas Besonderes sein sollte." Fromm ist sie, aber nicht spießig. Das hat sicher mit dem Vater zu tun, für den Haltung, Hilfsbereitschaft und Lebensfreude wichtige Grundwerte waren, die er wie einen roten Faden in die Erziehung seiner Kinder legte. Ihre stellenweise extrem wirkende Konsequenz hat aber wohl doch vor allem mit der Seele zu tun, die russisch ist, obwohl Irina Pabst in Berlin geboren wurde. Am besten kann sie das mit einem Zitat ausdrücken: "Die russische Seele hat eine so titanische Kraft, um jede Handlung auszuschöpfen bis an die äußersten Grenzen."

Ob ihre Freundin das ergänzen mag? "Die russische Seele wird viel weniger von der Ratio beherrscht als vom Herzen", sagt Elena Tchavtchavadze, und: "Es hilft einem nicht immer im Leben, es belastet einen oft auch." Irina Pabst fügt hinzu: "Die Orthodoxie lehrt, den Menschen Glauben zu schenken, nicht an den nächsten Tag zu denken und alles Leid anzunehmen als Fügung Gottes."

Irina von Udinzeff war eine junge, schöne Frau, die eine große Karriere vor sich hatte. Gleich ihr erstes Engagement hatte sie am Schlosspark-Theater gefunden, sie hatte Spielfilme gemacht, unter anderem mit O.E. Hasse und Bernhard Wicki, Hollywood war bereits aufmerksam geworden auf das Talent, das von frühester Jugend an nichts wollte, als Schauspielerin werden. Da traf sie 1956 Pierre Pabst. Innerhalb von drei Wochen heirateten die beiden, er sagte zunächst, es würde dann einfacher sein mit ihrem Beruf. Nach der Hochzeit aber trug er sie über die Schwelle seiner damals kleinen Wohnung, setzte sie in der Küche ab und sagte: "Das ist jetzt deine Bühne."

Das war das Ende einer viel versprechenden Karriere und der Beginn einer bedingungslosen Liebe, die bis zum Tod des Mannes 21 Jahre später währte und noch darüber hinaus. "Meine erste, einzige und letzte Liebe", sagt Irina Pabst, die mit großer Festigkeit beteuert, dass sie es nicht bereut hat, keine Sekunde. Ihr Mann, der französische Wurzeln hatte, sei wunderbar gewesen, ein großzügiges Temperament, zwei Seelen im Gleichklang. Kinder haben die beiden nie gehabt. Aber da Pierre Pabst der beste Freund des Verlegers Axel Springer war, engagierte sie sich nach seinem Tod in der Springer-Stiftung für junge Künstler. Ihre Küche wurde im Lauf der Jahre größer und ziemlich berühmt. Remarque schätzte sie, aber auch Boy Gobert, der Cellist Mstislaw Rostropowitsch, der Maler Markus Lüpertz und Bernhard Wicki, der alte Filmpartner. Dabei arbeitet sie nie mit modernen Geräten, siebzig Jahre alt ist diese Küche, und "was ich mache, rühre ich so mit der Gabel zusammen." So manches Krankenessen hat sie auch zusammengerührt. Sie schaffte es, jeweils fünf Aidskranke zur gleichen Zeit zu betreuen, aber das war nicht genug.

Anfang der 90er Jahre entwickelte sie im Gespräch mit Operndirektor Alard von Rohr die Idee mit der Aids-Gala. Noch heute ist sie dem Intendanten Götz Friedrich dankbar für den Mut, den er damals vor acht Jahren bewiesen hat, indem er die Gala möglich machte, denn Aids war ja nicht gerade eine salonfähige Krankheit. Jeden Tag des Jahres arbeitet sie seitdem am Gelingen der jeweils nächsten Aids-Gala, und es muss mit der Wucht ihrer russischen Seelenkraft zusammenhängen, dass dieses Ereignis inzwischen zu den erfolgreichsten Wohltätigkeitsveranstaltungen des Landes zählt.

Über drei Millionen Mark, die dabei eingenommen werden, gehen direkt an die Kranken, werden zum Beispiel dafür verwendet, dass Lebenspartner noch eine letzte Reise zusammen unternehmen können, bevor der Tod sie für immer trennt. Das Kuratorium ist hochkarätig besetzt, von A wie Abbado bis W wie von Weizsäcker, immer wieder erwähnt sie Alfred Weiss und David Goldberg, ihre Mitinitiatoren.

Geschenke, die Opfer verlangen

Nicht alles an der ehrenamtlichen Arbeit, für die sie kürzlich mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, ist ihr angenehm. Sie liebt es, am Krankenbett zu sitzen, Menschen die Hand zu halten, "das ist für mich eine Bereicherung". Sie hasst es, bei Sponsoren um Geld zu betteln. "Ich muss es tun, aber nach solchen Gesprächen ist mir jedes Mal körperlich schlecht", sagt sie. Dann muss sie lange spazieren gehen, um das zu überwinden. Ein weiterer schlimmer Moment kommt, kurz bevor die Gala beginnt: "Wenn ich mein Abendkleid anziehen muss, möchte ich am liebsten einen Pullover überstreifen und mich mit einem Buch in die Ecke setzen", sagt sie. Erstaunliches Geständnis einer Frau, die oft und sicher nicht zu Unrecht als mondän beschrieben wird. Menschen sind ihr wichtig, Äußerliches lässt sie kalt. "Jede Freundschaft ist ein Geschenk." Aber dieses Geschenk verlangt auch Opfer. "Das ist mein Wunsch an meine Freunde" sagt sie plötzlich, "dass sie mich überleben. Ich möchte nicht noch einen Freund begraben." Bevor sie traurig wird, wenden wir noch einmal den Blick von der russischen Seele auf dieses Temperament. Ist das auch typisch russisch? "Ja und nein", sagt ihre Freundin, die Großfürstin, die lange geschwiegen hat. "Ihr Temperament", fügt sie mit feinem Lächeln hinzu, "ist selbst für russische Verhältnisse einzigartig."

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