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Berlin: Irmgard Janke (Geb. 1917)

Ihren Söhnen gibt sie weiße Kissen auf den Weg. Mehr hat sie nicht.

Irmgard Janke, Irmchen genannt, hat vier Söhne. Achim, Horst, Wolfgang und ein viertes Kind, das kurz nach der Geburt stirbt, und an dessen Namen sich nach Irmchens Tod niemand mehr erinnern kann. Achim, Horst und Wolfgang kommen in den Kriegsjahren zur Welt. 1945 ist Irmchen 27 und sucht im Bombenhagel der letzten Kriegstage Zuflucht im Bunker im Stadtpark Steglitz. Sie ist alleine mit den Kindern, ihr Mann liegt mit Tuberkulose im Krankenhaus. Wie hat sie das gemacht mit den drei Jungen? Achim, der älteste, 1936 geboren, hat vielleicht Horst, den Dreijährigen, getragen, und Wolfgang, fünf Jahre alt, konnte schon rennen, an der Hand der Mutter durch den Steglitzer Park zum Bunker rennen. Und wie haben sie dann im Bunker gesessen? Eng beieinander, das Kleinste auf dem Schoß der Mutter, sich an den Händen haltend, während draußen die Welt in Stücke ging. Irmchen würde die Frage, wie sie das gemacht hatte, unangemessen finden. Es war so, wie es war. Sie hat das durchgestanden.

Sie ist achtzehn, als sie Gerhard Burgmann heiratet. Es gibt ein Hochzeitsfoto, auf dem sie neben ihrem Mann steht, ein schmales schönes Mädchen in einem weißen Kleid mit einem kleinen Strauß in der rechten Hand, sie sieht zuversichtlich in die Kamera. Zehn Jahre später ist der Krieg vorbei, und sie ist Witwe. Sie lebt mit ihrer Mutter und den drei Söhnen in einer kleinen Wohnung in Steglitz. Sie ist Plätterin. Kinderfrau. Hausdame. Sie arbeitet viel – wie es üblich ist, ohne Steuer und ohne Versicherung. Das Geld reicht gerade so, immer bis zum Ende der Woche, danach muss man dann weitersehen. Als sie 1950 ihre zweite große Liebe Rudolf Janke trifft, besteht sie hartnäckig auf ihrer Eigenständigkeit. „Meine drei Söhne erziehe ich selbst.“ Zwei Jahre darauf heiratet sie Rudolf, und bei ihrer Eigenständigkeit wird es bleiben, den drei Kindern ist er dennoch ein Vater, er sagt stolz „Das sind die meinigen.“ Fotos aus dieser Zeit zeigen sie zwischen ihren Söhnen sitzend, ernster und dunkler als zehn Jahre zuvor, aber wieder mit diesem direkten Blick zum Fotografen hin; überhaupt ist sie auf Fotos immer in der Mitte zu sehen, fest gehalten im familiären Kreis, der harmonisch war, zärtlich und treu. In den späteren Jahren kehrt eine Lebensfreude in Irmchens Gesicht zurück, die im Grunde ihr Temperament gewesen sein muss, die Söhne nennen das „ihre italienische Natur“. Als sie aus dem Haus gehen, einer nach dem anderen, streng erzogen, ein jeder in seinen Beruf, gibt Irmchen ihnen zur Aussteuer weiße Kissen mit auf den Weg. Mehr hat sie nicht. Das Kissen ist ein Symbol – für das gute Gewissen, Fürsorge und Mutterliebe und für den Schlaf als ein Ausruhen von vielem.

Rudolf stirbt 1983. Er war Malermeister und Hundeausbilder, ihm ist der Rudi-Jahnke-Pokal zu verdanken, ein Pokal zur Prüfung von Gebrauchshunden. Jahr für Jahr kümmert sich Irmchen zur Pokal-Verleihung um die Kantine, sie sitzt zur Siegerehrung neben den Preisrichtern am langen Ehrentisch. Rottweiler, Schäferhund, Riesenschnauzer und Boxer ziehen in der Parade an ihr vorbei. Für jeden Hund bekommt sie eine Rose, zur Erinnerung an Rudi und zum Dank.

Auf den letzten Fotos sitzt sie allein auf ihrem Sofa im Wohnzimmer, in dem dann immer der Fernseher läuft, weil sie, wie sie sagt, ohne die Stimmen der Menschen nicht sein kann. Ihr Sohn Horst ist tot, ihr Sohn Wolfgang ist tot. Achim ist da, er bepflanzt ihren Balkon am Muttertag, jedes Jahr am Muttertag bepflanzt er den Balkon. Irmchen raucht, sieht ihm dabei zu und sagt: „Komm bald wieder, ja?“ Sie hat sechs Enkel und drei Urenkel. Sie ist viel alleine. Sie sagt auch „Alle gehen fort. Und ich muss so alt werden“, und nimmt an, dass das wohl einen Sinn haben werde, irgendeinen. In den letzten Monaten lässt sie das Gedächtnis im Stich. Dann schläft sie ein. Achim sagt, sie sei dem Leben immer zugewandt gewesen. Dora Winkelmann

Dora Winkelmann

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