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Berlin: Ismeta Kuc

Sie war kein Kind von Traurigkeit. Ihre kurzen Röcke waren berüchtigt, schon damals, als die junge Gastarbeiterin aus Bosnien den Arbeitskollegen den Kopf verdrehte.

Sie war kein Kind von Traurigkeit. Ihre kurzen Röcke waren berüchtigt, schon damals, als die junge Gastarbeiterin aus Bosnien den Arbeitskollegen den Kopf verdrehte. Auch mit 60 legte die schöne Ismeta noch wert auf Garderobe und Äußeres. Die Haare mal rot, mal blond, immer passender Nagellack, immer modisch gekleidet. Lieber schön angezogen als teuer gegessen. Der unstillbare Hunger, den Ismeta Kuc als 19-Jährige aus einem kleinen Dorf bei Bosanski Brod mitgebracht hatte, war ein Hunger nach Leben, wild und bunt. Die strengen Regeln, die kontrollierenden Brüder hatte sie in der muslimischen Heimat zurückgelassen. Gastarbeiterin im eingemauerten West-Berlin sein, das hieß, endlich frei sein.

Die schöne Ismeta hat in ihrem Leben fünf Männer geehelicht. Den letzten hatte sie sich zum Geburtstag geschenkt. Mit Mitte 50. Auf ihrer Feier lernte sie ihn kennen und gestand ihm prompt: „Du bist heute mein Geschenk an mich.“ Man könnte Ismeta Kucs Geschichte anhand dieser Männer erzählen, aber das wäre unpassend, finden ihre Freundinnen. „Die Männer waren nicht so wichtig.“ Sie haben in eine Wohnung in Steglitz eingeladen, es gibt Quiche, Börek, Kuchen, Wasser und Rotwein. Sie stoßen an. „Auf Meti!“ So nannten sie Ismeta.

Und sie erinnern sich. An Metis Fähigkeit, die Zukunft aus dem Kaffeesatz zu lesen, an den Stripper zu ihrem 50. Geburtstag. An ihre Sehnsucht nach Gesellschaft und Aufmerksamkeit, ihre Güte, ihre Wärme. „Sie hat dir Geld fürs Taxi gegeben, obwohl sie sich selbst keins leisten konnte.“ Ach Meti. Die gearbeitet hat wie ein Kümmeltürke, die so romantisch war und oft so blind. Und die geraucht hat, immerzu – noch auf dem Sterbebett zündete sie sich eine Kippe an.

Dieses Treffen hätte der Freundin gefallen. „Sie wollte immer im Mittelpunkt stehen“, sagt Darinka. Darinka kannte Ismeta am längsten. Sie wohnte mit ihr im Gastarbeiterheim, damals, 1969, als sie beide bei Siemens anfingen. Die Frauen, „alles Jugos“, wohnten in der Gartenfelder Straße. Ihre Arbeit? Irgendwas löten oder montieren. Genau weiß Darinka das nicht mehr. Ist auch egal. Sie haben so viel gemacht in den vielen Jahren.

Belehrungen mochte Ismeta nicht. Also erzählte sie ihrer Freundin nicht von all ihren Sorgen, etwa mit den Männern. Die haben ihr zu schaffen gemacht. Der eine brach ihr das Herz, der andere die Nase, und einer raubte sie aus. Niemand brauchte die schöne Ismeta zu beneiden, denn sie hatte es nicht leicht. „Sie hat in jedem nur das Gute gesehen“, sagt Gabriela, zuletzt ihre Nachbarin in Spandau, wo Ismeta all die Jahre lebte. Oft sei Meti betrogen worden, um die Liebe, ums Geld, um ihre Träume. Wie oft musste Ismeta von vorne anfangen. Sich aufrappeln, ans Leben glauben und an sich selbst.

Etwa als der Krieg in ihrer alten Heimat begann. Da holte sie Verwandte und Bekannte zu sich, mehrere Familien wohnten zur selben Zeit bei ihr. Ein Künstler war dabei, den sie allen stolz vorstellte. Meti hatte schon immer eine Schwäche für Studierte und Künstler. „Inzwischen ist der Mann ein Volksmusikstar in Bosnien“, sagt Darinka. Damals war er ein Niemand.

2002 gab es wieder einen Neuanfang: Da zog Ismeta nach Spanien, an einen Touristenort an der Costa Blanca, um einer Berliner Freundin im Restaurant zu helfen. Sie nahm sich eine große Wohnung, damit alle Freunde sie besuchen konnten. Aber es kam kaum jemand. Also zog sie zurück zu ihren Freunden nach Berlin. Mit einem Mann im Schlepptau, dem Geburtstagsgeschenk. „Den hätte sie mal früher treffen sollen“, sagt Trauzeugin Gabriela.

Ein paar Tage vor Silvester fuhr Gabriela ihre Freundin ins Krankenhaus, sie hatte starke Bauchschmerzen. Fünf Stunden lang mussten die beiden warten, fünf Stunden lang unterhielt Ismeta die Patienten im Wartezimmer mit ihren Sprüchen und Scherzen. Dann kam sie an die Reihe und bekam die Diagnose: Bauchspeicheldrüsenkrebs. Spätes Stadium. Ismeta war gerade 60 geworden.

Bis zu ihrem letzten Tag hatte Ismeta Lust an ihrem Leben. Auf dem Sterbebett flirtete sie mit dem Arzt, scherzte mit Freunden, verlangte nach ihren Lieblingsgerichten. Sie lud ihre Freunde ein und verbot ihnen, in Schwarz zu ihrer Beerdigung zu kommen. Am Tag vor ihrem Tod nippte sie am Sekt. Dann schlief sie ein.

Ihre Freundinnen wuschen sie und zogen ihr hübsche Sachen an. Ihre Haare saßen perfekt. Bevor sie eingeschlafen war, hatte sie angeordnet, dass es genug zu essen und zu trinken geben sollte. Gulasch und Schnaps, so wie das sein muss. Der Abschied sollte ein Fest werden.

Eigentlich war es der Hochzeitstag von Darinka, der Freundin. „Aber Ismeta stand ja immer im Mittelpunkt“, sagt Darinka und lacht und wischt sich die Tränen weg.Ferda Ataman

Ferda Ataman

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