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Berlin: „Ist der Jugendliche kriminell, haben die Eltern versagt“

Justizsenatorin Karin Schubert (SPD): Bei jungen Serientätern müssen die Behörden schneller und energischer reagieren

In den vergangenen Wochen und Monaten entstand das Bild, dass ausländische Jugendliche in Serie Straftaten begehen und der Staat ihnen nicht gewachsen ist. Wer macht da eigentlich Fehler, und welche?

Das ist eine schwierige Frage. Man kann den Eindruck bekommen, dass Jugendliche schon sehr lange Verfehlungen begehen können, bevor eingegriffen wird – und dann greifen alle Seiten gleichzeitig ein.

Was tun Sie jetzt?

Wir haben uns anhand der Fälle der Intensivtäter Mahmoud und Sawis gefragt: Was hat dazu geführt, dass das kriminelle Erscheinungsbild eines Jugendlichen so eskaliert, dass man hinterher kaum noch Zugangsmöglickeiten hat? Derzeit befassen wir uns mit diesen Besorgnis erregenden Einzelfällen.

Haben Sie sich dabei Ziele gesetzt?

Ja. Wir müssen schneller an auffällige Kinder und Jugendliche herankommen. Es vergeht derzeit zu viel Zeit ohne Inhalt. Die Staatssekretäre für Justiz und Inneres haben den Generalstaatsanwalt beim Kammergericht und den Polizeipräsidenten beauftragt, gemeinsam mit Jugendbehörden und der Jugendstrafanstalt dafür zu sorgen, dass in jeder Behörde immer dieselben Ansprechpartner für einen bestimmten Jugendlichen zuständig sind. Wenn man sich persönlich kennt, dann ist es auch leichter, einfach mal anzurufen, statt umständlich einen Aktenvorgang anzulegen. Denn bisher vergehen manchmal Monate zwischen den einzelnen Eingriffsstufen, in denen gar nichts passiert.

Was ist überhaupt ein Intensivtäter?

Das wird jetzt gerade genau definiert. Polizei und Staatsanwaltschaft hatten ganz verschiedene Definitionen. Intensivtäter ist, wer eine gewisse Anzahl von Straftaten begangen hat, oder bei wem eine deutliche Steigerung der kriminellen Energie zu verzeichnen ist, etwa von Diebstahl zu Körperverletzung und Raub, oder wer sehr früh angefangen hat, Straftaten zu begehen. Da muss früh mit den Jugendbehörden auf die Eltern eingewirkt und Hilfe angeboten werden.

Das setzt an, wenn sie schon auffällig sind. Kann man nicht früher schon eingreifen und dafür sorgen, dass sie es nicht werden?

Kaum. Man kann erst eingreifen, wenn man einen Anhaltspunkt hat, zum Beispiel wenn ein Kind sehr renitent oder aggressiv ist, sich nicht mit Worten auseinander setzt, sondern gleich zuschlägt. Vorher kann man nichts machen – das Erziehungsmonopol steht per Grundgesetz den Eltern zu. Sie haben das Recht auf Erziehung, kein anderer, kein Staat, keine Behörde.

Muss man den Eltern, besonders den ausländischen, vorwerfen, dass sie ihre Kinder auf dem Weg in die Gesellschaft nicht genug fördern oder sogar behindern?

Jeder Jugendliche, der straffällig wird, ist ein Fall, wo Eltern versagt haben. Man kann nicht verlangen, dass alle Eltern in der Lage sind, mit jedem Kind fertig zu werden. Aber sich Hilfe zu verschaffen, wenn sie merken, dass sie nicht zurechtkommen – diese Pflicht gehört zum Erziehungsrecht der Eltern.

Oder wissen ausländische Eltern vielleicht gar nicht, dass es Hilfsangebote gibt?

An mich haben sich mehrere ausländische Eltern gewandt, und ihre Fragen zeigen mir, dass sie sehr hilflos sind. Ich weiß, in Neukölln haben Sozialarbeiter Zweifel, wie sie mit den Jugendlichen umgehen sollen und wie man überhaupt in das Milieu der Großfamilien arabischer oder türkischer Herkunft hineinkommt, um auf einzelne Mitglieder einwirken zu können. Ich werde einer Einladung eines arabischen Vereins folgen und Mittwoch Abend mit arabischen Eltern darüber diskutieren. Man kann nicht darauf warten, dass beispielsweise ein libanesischer Vater zu einer deutschen Behörde geht, von der er sich ohnehin schon beeinträchtigt fühlt, und sagt: Ich habe bei der Erziehung versagt, helft mir bitte. Das passiert eher nicht.

Gibt es in Politik und Gesellschaft einen Stimmungswandel dahin, dass man diese Engelsgeduld nicht mehr hat? Die Empörung über Mahmoud und Sawis, auch über diese Großfamilien, wurde früher nicht so deutlich geäußert.

Ich habe den Eindruck auch und finde das sehr hilfreich. Man muss die Dinge beim Namen nennen. Ich bin auch der Meinung, dass man bei Ausländern keine anderen Maßstäbe anlegen sollte als bei Deutschen. Man muss feststellen, wo es Defizite im Verhalten gibt, und dagegen angehen. In der Regel ist Fehlverhalten auch ein Hilferuf. Regelverstöße, egal von wem, können wir nicht dulden, aber wir müssen auch nach den Ursachen suchen und sie beseitigen.

Und welche Ursachen sehen Sie?

Es gibt Defizite auf allen Seiten. Kinder und Jugendliche müssen erfahren, dass ihre Eltern sich selbst hier integrieren wollen. Und dass sie hier einen Platz für sich sehen, wo sie anerkannt werden, wo ihre Arbeitsleistung anerkannt und ihre kulturelle Verschiedenheit akzeptiert wird. Von der Gesellschaft bekommen sie das Gefühl vermittelt, minderwertig zu sein. Ich glaube, man muss den Eltern helfen, hier Fuß zu fassen, und ihnen dann helfen, ihre Kinder ordentlich zu erziehen. Mit ordentlich meine ich, zu jemandem, der sich selbstbewusst in unserer Gesellschaft auseinander setzen kann, ohne Gewalt zu gebrauchen.

Ist das ein reines Ausländerproblem?

Nein, auch viele deutsche Eltern sind so sehr mit eigenen Problemen befasst, mit Drogen und Alkoholsucht, Langzeitarbeitslosigkeit, dass sie keine Kraft mehr dafür haben, sich um ihre Kinder zu kümmern. Bei den Ausländern kommen aber noch mehr Faktoren hinzu, das Sprachproblem zum Beispiel. Die Sprache zu beherrschen, stärkt das Selbstbewusstsein. Wer sich nicht ausdrücken kann, greift zu anderen Mitteln, um zu überzeugen.

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