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Tina K., Frank Henkel und Klaus Wowereit am Jahrestag des Todes von Jonny K.

© dpa

Update

Jahrestag der Attacke am Alexanderplatz in Berlin: Gedenkplatte für Jonny K. enthüllt

Vor einem Jahr wurde Jonny K. am Alexanderplatz totgeprügelt. Mit einer Gedenktafel erinnert Berlin an ihn. Damit endet auch das Jahr des Kampfes seiner Schwester Tina.

Exakt in dem Moment, als Tina K. an das Pult tritt und ihre Rede startet, bricht die Spätsonne durch die schwarzen Wolken und taucht den Alexanderplatz in gleißendes Licht. Es ist eine zufällige Laune der Natur, aber sie passt: Denn Tina K. steht ohnehin im Rampenlicht. Ihr zur Linken der Regierende Bürgermeister und der Innensenator, ihr zur Rechten die Presse, und dicht gedrängt vor der Platte, die an den brutalen Tod ihres Bruders erinnert, ein gewaltiger Menschenpulk, sich bis an die Schaufenster der Rathauspassage drückend.

Alle wollen noch einmal Abschied von Jonny K. nehmen

Berliner, Passanten, Freunde, Touristen Schulkollegen, Familienmitglieder, alle wollen sie noch einmal Abschied von Jonny K. nehmen, und wollen zeigen, dass er nicht vergessen ist. Die Schwester von Jonny räuspert sich, ein Jahr lang hat sie auf diesen Moment hingearbeitet, diese Messingplatte, sein Gedenken, sie war in Talkshows und an Schulen, hat dafür gekämpft, dass ihr Bruder ein Erbe hinterlässt, sein Tod nicht ganz umsonst war. Hinter ihr schreit eine Frau: „Die Tina hat den Friedensnobelpreis verdient.“ Tina K. sagt: „Jeder ist nicht nur für das verantwortlich, was er tut, sondern auch für das, was er nicht tut.“

Sie hat den Verein „I Am Jonny“ gegründet, um gegen Gewalt einzutreten, die Solidarität war riesig. Auf dem Platz vor der Gedenktafel tragen fast alle das T-Shirt mit dem Konterfei von Jonny. 10 000 dieser T-Shirts ließ der Verein verteilen, in Läden, Autofilialen und natürlich am Alexanderplatz. Tina K. trägt das Bild ihres Bruders auf der Brust, als sie sich, tapfer, zurückerinnert. 365 Tage vorher, 2012. „Wir standen im Krankenhaus und haben gehofft, dass er wiederkommt. Aber er kam nicht wieder.“ Ihre Eltern, die Schwestern, sie gucken zu Boden, vielen stehen Tränen in den Augen. Deutschland diskutierte nach dem Tod von Jonny über jugendliche Aggressionen und sinnlose Gewalt, Tina K. ging durch die Instanzen. Ziel: Eine dauerhafte Erinnerung an Jonny, am Alexanderplatz, als Mahnmal.

Klaus Wowereit und Tina K. enthüllen Gedenkplatte

Klaus Wowereit ist aus dem Rathaus gekommen, er hat ein weißes Rosengesteck dabei und umarmt die Familie. An seiner Seite Innensenator Frank Henkel. Tina K. lächelt, bedankt sich, fragt dann wieder in die Menge: „Alles okay bei euch? Geht es allen gut? Ja? Das ist schön.“ Wowereit wird in seiner Rede mehrfach unterbrochen. Eine Frau fordert härtere Gesetze, Wowereit sagt: „Wir brauchen keine härteren Gesetze. Es geht um die innere Einstellung. Dies war eine Gewalttat, die keinen Sinn macht. Allen, die ihre Trauer darüber in eine öffentliche Aktion umgesetzt haben, gebührt mein Respekt.“

Als Wowereit fertig ist, schreitet er mit Tina K. zur verhüllten Platte. Gemeinsam ziehen sie das Samttuch herunter. Schweigen. Dann folgen ihnen hunderte Trauergäste nach. Tina K. empfängt dankend das Beileid, schüttelt Hände, klopft Schultern, hat für jeden ein Ohr. Erst als sich ihr Vater aus seinem Stuhl stemmt, langsam vor die Tafel tritt und mit seiner Trauer ringt, da bricht es aus Tina K. hervor. An seiner Schulter weint sie, die ein Jahr lang gekämpft hat, sich aus. Danach sagt sie: „Ohne all die Leute hätte ich es nicht geschafft. Mein kleiner Bruder hat jetzt einen festen Ort. Seine Tafel steht für all diejenigen, die Zivilcourage gezeigt haben.“

Moritz Herrmann

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