zum Hauptinhalt

Berlin: Jean-Pierre Kassi (Geb. 1971)

Er hatte so oft in seinem Leben Heimweh empfunden, aber nie geklagt

Jeder kennt sie: „Die unbezähmbaren Löwen“, Kameruns Fußball-Nationalmannschaft.  In Italien zog sie 1990 als erstes afrikanisches Team in das Viertelfinale einer Fußball-Weltmeisterschaft ein. Ansonsten wissen wir nichts über Kamerun. Ein großes Land, aber nur 20 Millionen Einwohner; eine Vielzahl an Ethnien, 286 verschiedene Volks- und Sprachgruppen, aber nur zwei Amtssprachen, Englisch und Französisch. Große Erwartungen an die Zukunft, 42 Prozent der Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, gute Jobs sind aber rar.

Der erstgeborene Sohn, „der Gottgegebene“, Jean-Pierre trug die Hoffnung der ganzen Familie. Sieben Kinder, die der Vater, Koch des Gouverneurs, in der Hauptstadt Jaunde mit seiner Frau großzog.

Jean-Pierre schaffte das Abitur mit Auszeichnung und bekam ein Stipendium für Europa. Er konnte fantastisch Fußball spielen, aber das war nicht sein Lebenstraum. Er bekam einen Studienplatz an der Technischen Universität in Berlin und spezialisierte sich früh auf Biomechanik. Im Jahr 2004 promovierte er zum Doktor der Ingenieurwissenschaften. Musculoskeletal Loading and Pre-clinical Analysis of Primary Stability after Cementless Total Hip Arthroplasty in vitro. Das Thema der Arbeit wird für den Laien auch auf Deutsch nicht verständlicher. Gewidmet ist die Arbeit seinen Eltern Françoise Ngo Nkaga und Jean-Pierre Kassi. Nützlich ist die Arbeit für all jene, die an Hüftbeschwerden leiden. Gemeinsam mit einem Kollegen hatte Jean-Pierre ein Verfahren entwickelt, das Passgenauigkeit und Funktion von Hüftgelenkprothesen vor ihrer Implantation überprüft. Das erspart viele Schmerzen.

Seinem Schwiegervater hatte er immer versichert: „Papa, keine Angst vor dem Alter, beunruhige dich nicht. Du bekommst Prothesen aus unseren Labors, die erlauben es dir, noch 30 Jahre und mehr gut zu leben, so Gott will.“

Sein Professor empfahl ihn einem internationalen medizinischen Unternehmen mit Sitz in der Schweiz. Wenige Wochen später fand er sich in einem Land wieder, das Ausländer allenfalls als Touristen und Steuerzahler schätzt. Als er in der ersten Woche den Müll hinunterbrachte, fand er ihn am nächsten Tag wieder vor seiner Tür. Er hatte den falschen Müllbeutel verwendet.

Jean-Pierre ließ sich nicht beirren. Er hatte so oft in seinem Leben Heimweh empfunden, aber nie geklagt. Sein Lächeln gewann alle. Er lachte für sein Leben gern, nicht unbedarft, nicht höflich, nicht verstellt, es war einfach ein Lachen, das jeden zum Mitlachen einlud.

Die Schweizer schütteln nicht gern Hände, schon gar nicht jeden Morgen und erst recht nicht im Büro. Die Schweizer schütteln Hände, wenn sie lange wegfahren oder nach langer Zeit wiederkommen. Jean-Pierre änderte das. Jeden Morgen schüttelte er Hände, wenn er ins Büro kam. Ganz gleich, ob die Sonne schien oder Regen die Laune vermieste. Er schüttelte Hände, und ihm gelang das Unmögliche, er brachte die Schweizer dazu, es zu mögen. Jean-Pierre war angekommen. Er machte kein Aufhebens von seinem Tun. Er war ein begnadeter Wissenschaftler, aber er prahlte nicht. Er liebte seine Frau Elianne, die er in der Mensa kennengelernt hatte, und er neckte sie gern. In der Schweiz suchte er für die kleine Familie ein schönes großes Haus. Er fand es in Pieterlen, dem Tor zum Seeland.

An heißen Sommertagen kam er in traditioneller afrikanischer Kleidung zur Arbeit. Sein Lächeln vertiefte sich, wenn Schokolade in der Nähe war. Das Lächeln verschwand, wenn das Gespräch sich einer beliebigen Wassersportart zuwendete. Die einzige Scheu, die er nie überwand.

Die beiden bekamen ein Kind. Alles war gut. Aber Gottes Wege sind steinig: „Ich nehme dir die Freude deiner Augen durch einen jähen Tod. Doch du sollst weder klagen noch weinen. Keine Träne darfst du vergießen, nur leise stöhnen.“

Er starb auf Malta, im Urlaub. In den Armen seiner Frau, die vergeblich versuchte, ihn wiederzubeleben. Aber es war nicht sein Herz, er starb an inneren Blutungen. Keiner weiß, warum. Er hatte noch einen letzten Blick auf seinen Sohn werfen können. „Ich bin müde, muss mich hinlegen. Wo ist der Kleine …?“ Damel Yanis, der König, der Gottgegebene, auf dem alle Hoffnungen ruhen. Gregor Eisenhauer

Zur Startseite