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Berlin: Jeder nach seiner Fasson

Der Humanistische Verband stützt sich auf die Philosophie der Aufklärung – seit 100 Jahren

Am Anfang stand die Feuerbestattung. 1905 gründeten zwölf Sozialdemokraten in Berlin den Verein der Freidenker für Feuerbestattung. Sie wollten, dass die Berliner bis zu ihrem Ende selbstbestimmt leben können, außerdem konnten sich viele Arbeiterfamilien die Erdbestattung einfach nicht leisten. Etwas anderes aber war in Preußen 1905 nicht erlaubt. Auf diese Zusammenhänge berief sich der Humanistische Verband (HVD), als er gestern mit einem Festakt im Willy-Brandt-Haus seine 100-jährige Tradition feierte.

Seit seiner Neugründung vor zwölf Jahren hat der Verband stetig Mitglieder gewonnen. Viele sind es aber immer noch nicht: 3000 – so viel wie eine mittelgroße Kirchengemeinde. Der Einfluss ist aber viel größer, sagt der Verband. 130 000 Menschen erreiche man, darunter sind die 37 000 Kinder, die an 350 Schulen freiwillig Lebenskundeunterricht besuchen. Die Humanisten haben viele prominente sozialdemokratische Fürsprecher: Bei den Festveranstaltungen zum Jubiläum am 24. Juni spricht der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Beim Empfang gestern Abend redeten die stellvertretende SPD-LandesvorsitzendeAnnette Fugmann-Heesing, GEW-Chef Ulrich Thöne sowie Kultursenator Thomas Flierl (PDS). Flierl war bis vor kurzem Mitglied im HVD. Seine Partnerin Carola Freundl, stellvertretende PDS-Fraktionschefin, ist es noch – genau wie Sieglinde Schaub, die Schulexpertin der PDS. Jutta Weißbecker, die stellvertretende HVD-Landesvorsitzende sitzt seit zehn Jahren für die SPD im Parlament.

Vom Kultursenator erhält der Verband 580 000 Euro institutionelle Förderung. Das macht 194 Euro pro Mitglied. Die Kirchen kommen auf 10 Euro. Die CDU nennt das eine „eklatante Ungleichbehandlung.“ Hinzu kommt, dass die Mehrheit der konfessionellen Religionskundelehrer Angestellte der Kirchen sind, aber nur ein Drittel der Lebenskundelehrer beim Humanistischen Verband. Die meisten sind Sozialkundelehrer, die Lebenskunde nebenbei unterrichten. Das enge Verhältnis zur SPD rührt aus der Verbindung vieler Freidenkerverbände in den 20er Jahren mit der Arbeiterbewegung. Aus dem Feuerbestattter-Verein entstand der Deutsche Freidenker-Verband, der 1930 rund 6000 Mitglieder hatte. Sie organisierten Ausflüge, Vorträge und Kulturveranstaltungen. Als Mitte der 20er Jahre die ersten weltlichen Schulen öffneten, waren Lebenskundler dabei. 1933 wurden sie von den Nazis verboten. Bis zum Zusammenschluss mehrerer atheistischer Gruppierungen und Freidenker-Verbände zum Humanistischen Verband 1993 dümpelten die Humanisten in West-Berliner-Splittergruppen vor sich hin. Heute bieten sie zwölf Kitas, Lebenskunde, Jugendfeiern, Gesundheitsberatung, weltliche Hochzeits- und Trauerfeiern, Seniorenbetreuung, Quartiersmanagement, Hospizdienste – alles für ein Leben von der Wiege bis zur Bahre. Ziel ist die „Überwindung der Dominanz der christlichen Kirchen“. In der aktuellen Debatte um Wertekunde plädieren sie für ein Modell, das sie selbst überflüssig machen könnte: für ein Pflichtfach Ethik, das auch in der SPD favorisieren.

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