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Berlin: Jenseits von Posemuckel

Schon vor dem Mauerfall entstand die Idee, am Potsdamer Platz zu bauen

Nummer 106 hat es der Stadt nicht leicht gemacht. Sein Spottwort „Posemuckel“, von ihm in die Diskussionen beim Stadtforum geworfen, gilt bis heute als Synonym für Provinzialität, Kleinmut und Larmoyanz in Berlin. Die Stadt nahm ihm das nicht übel, sondern bedankte sich mit der höchsten Auszeichnung, die sie zu vergeben hat: Im Mai 1998 wurde Edzard Reuter zum 106. Ehrenbürger.

Sie ehrte damit einen, der – so steht es in seiner Ehrenbürgerurkunde – ein Berliner kraft Überzeugung, nach Herkunft und durch jahrzehntelanges konsequentes Handeln ist. Reuter, Sohn des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter, wurde 1928 in Berlin geboren. Vor den Nazis flüchtete die Familie in die Türkei, nach der Rückkehr studierte Edzard Reuter Rechtswissenschaften an der Freien Universität und wechselte in den 60er Jahren zu Mercedes Benz. Bis 1995 war er Vorstandschef des Konzerns und als solcher Motor einer Idee, die das Stadtbild und das Image Berlins von heute prägen: Am Potsdamer Platz entstand ein neues, lebendiges Stadtviertel.

Wie viele Bedenken hat er hören müssen? Kann man ein Stadtviertel in eine Stadt implantieren? Kann man in Berlin so hoch bauen, wie es Reuter und der von ihm favorisierte britische Architekt Richard Rogers vorschlugen? Reuter hatte dafür nicht immer das nötige Verständnis. „Redet nicht um den heißen Brei herum, sondern packt die Dinge in der Stadt an. (...) Es geht hier nicht um Posemuckel!“, rief er in den Saal einer aufgerüttelten Öffentlichkeit des Stadtforums, das die Zukunft Berlins diskutierte.

Reuter hat akzeptiert, dass der Senat statt der Vorschläge von Rogers lieber den etwas zurückhaltenderen Masterplan von Renzo Piano umsetzen wollte. Und er war zufrieden mit dem, was am Potsdamer Platz entstanden ist. Aber er hat es nie verwunden, nach seinem nicht eben glanzvollen Ausscheiden als Vorstand und Aufsichtsrat bei Mercedes Benz von seinen Nachfolgern nicht zur feierlichen Eröffnung der Daimler-Stadt eingeladen worden zu sein.

Mit Berlin hat er seinen Frieden gemacht, auch wenn er seine kritische Distanz beibehielt. Kurz vor der Verleihung der Ehrenbürgerwürde nahm er den damals trostlosen Anblick des Brunnens am Ernst-Reuter-Platz zum Anlass, um laut über den Entzug des Namens seines Vaters nachzudenken. Das setzte zuerst eine bemerkenswerte politische Betriebsamkeit in Gang und dann den Brunnen. Bei der Feierstunde im Roten Rathaus war es schließlich Reuter, der an Pathos nicht sparte, um sich für die Ehrung zu bedanken: „Vor Ihnen steht einer, der sich zutiefst gerührt fühlt: voller Stolz – und in Demut!“

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