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Berlin: Jeremy Cresswell (Geb. 1949)

Er kümmerte sich um Prügeleien und um Spionageangelegenheiten

Ein Diplomat ist einer, dem es gelingt, Gegensätze zu überbrücken, weil er ein Gespür für die Gemeinsamkeiten hat. Jeremy Cresswell entfaltete dieses Talent nicht nur im Dienst des britischen Auswärtigen Amtes, sondern auch im Privaten.

Als Siebenjähriger vereinte er bereits elegant die Interessen seiner musikalischen Mutter und des sportlichen Vaters. Er bestand die Aufnahmeprüfung an der Chorschule des renommierten Eton College, wo zu den üblichen Schulfächern noch Latein und Musikgeschichte kamen. Und neben den Proben und Auftritten des Chors bei Gottesdiensten fand er die Zeit, am College noch Fußball und Cricket zu spielen.

Eine überaus stabile Brücke schlug Jeremy später zwischen Großbritannien und Deutschland. Einem britischen Minister wurde er einmal als „der führende Germanist Großbritanniens“ vorgestellt. Studiert hatte er jedoch Philosophie, Wirtschaft und Politik. „Dad Knowledge“, Vater-Wissen, nannten seine Kinder seinen reichen Wissensschatz, der weit über die Studienfächer hinausreichte.

Zunächst war das Interesse an Deutschland ein privates: Als Sechzehnjähriger begegnete er auf einer Reise Petra. Nun lernte er Deutsch und verbrachte ein Jahr seines Studiums in Mainz, 1972 heirateten sie. Mit seinem Schwiegervater sprach er oft über die deutsche Geschichte, und als sich 1982 die Möglichkeit bot, als Diplomat nach Deutschland zu gehen, entschied er sich gegen Bonn und für das geschichtsträchtigere West- Berlin. Als Mitarbeiter der Britischen Militärregierung wachte er über die Einhaltung des Viermächteabkommens, das den Rechtsstatus der geteilten Stadt regelte. Er kümmerte sich ebenso um Prügeleien zwischen britischen und russischen Soldaten wie um Spionageangelegenheiten, über die er jedoch prinzipientreu schwieg. Mehrmals musste er überprüfen, wie es um die geistige Gesundheit Rudolf Heß’ stand, der als letzter Gefangener im Spandauer Kriegsverbrechergefängnis einsaß, das sich im britischen Sektor befand. Da kam ihm seine Gabe zugute, mit wirklich jedem eine Ebene zu finden, selbst wenn er keinerlei Sympathien hegte. Da man mit Heß nicht über Politik oder Geschichte sprechen durfte, unterhielten sie sich über Fußball. Auch später blieb Jeremy Berlin treu: Von 2001 bis 2005 war er hier stellvertretender Botschafter, später pendelte er mit seiner zweiten Frau Barbara zwischen Berlin und Oxford.

Dass man Musik und Sport vereinbaren kann, hatte Jeremy schon als Kind bewiesen. Ein Übermaß an Energie ermöglichte es ihm später, auch noch Job und Familie unter einen Hut zu bringen: In Brüssel sang er mit seiner Tochter Julia im Chor, in Berlin gehörte er zu den Embassy Singers. Lud er die Mitarbeiter zum Weihnachtsempfang in seine Residenz, probte er vorher mit ihnen Weihnachtslieder. Mit seinem Sohn David spielte er in Prag täglich zwischen Büro und abendlichen Empfängen Tennis. Als Botschafter in Jamaika öffnete ihm sein Cricket-Wissen Türen. Gegenüber dem jamaikanischen Premierminister hatte er zwar bescheiden behauptet, sich nur ein wenig mit dem Sport auszukennen. Tatsächlich wusste er genug, um im jamaikanischen Fernsehen mit der Cricket-Legende Courtney Walsh die Weltmeisterschaft 2006 zu kommentieren. Die Bescheidenheit, mit der er sein Wissen weitergab, machte ihn auch zu einem guten Lehrer: Zuletzt unterrichtete er in Oxford junge Diplomaten.

Im Juni starb Jeremy an Krebs. Seine Asche werden Barbara und die Kinder in den Cherwell, einen Zulauf der Themse, streuen. Ihm hatte der Gedanke gefallen, dass die Themse wichtige Stationen seines Lebens verbindet: seinen Geburtsort Windsor, die Collegestadt Eton, London, das hin und wieder sein Arbeitsort war. Und schließlich Oxford, wo das Haus steht, in das Barbara und er erst vor Kurzem eingezogen sind.

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