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Berlin: Jetzt ist Halbzeit

Zwei Wochen Fußball-WM sind rum: Berlin zieht eine erste Bilanz, Jubel und Ernüchterung liegen nah beieinander

Auf den Tag genau vor zwei Wochen war Anstoß zur Fußball-WM. Berlin fiebert mit – und freut sich über die Gäste aus aller Welt. Auf der Fanmeile feiern täglich Hunderttausende, die ganze Stadt scheint auf den Beinen – mancherorts rund um die Uhr. Doch wie bei jedem Spiel gibt es nicht nur Gewinner. Wir ziehen eine Halbzeit-Bilanz.

Tourismus: Vor der WM boomte der Tourismus, und nach der WM wird er weiter boomen. Doch derzeit sind viele Betten frei. „Fußballfans schlafen entweder gar nicht, im Wohnmobil, bei Freunden oder im Park“, hieß es bei der Berlin Tourismus Marketing GmbH. BTM-Chef Hanns Peter Nerger erwartet für 2007 ein weiteres Rekordjahr in Folge. Sensationell sei bereits das Plus für diesen April: plus 14,7 Prozent – Touristen, die „schnell noch vor der WM Berlin ansehen wollten“, wie es hieß.

Straßenverkehr: „Nicht so schlimm wie befürchtet“, heißt es beim Verkehrswarndienst der Polizei. Voll sei es nur im Berufsverkehr rund um die Fanmeile in Mitte und Tiergarten und an den Spieltagen zwischen Stadion und Innenstadt. Ein Teil der Autofahrer sei – anders als bei früheren Großereignissen – tatsächlich den Ratschlägen gefolgt und sei auf U- und S-Bahnen umgestiegen.

Nahverkehr: In den zwei WM-Wochen fuhren 3,5 Millionen Menschen mehr als üblich mit der S-Bahn, das sind 250 000 zusätzliche Fahrgäste mehr pro Tag. Sonst fahren täglich eine Million Menschen. Zu den drei Spielen in Berlin wurden 500 Sonderzüge eingesetzt, allein heute werden 170 Sonderzüge für das Spiel Ukraine-Tunesien zum Stadion fahren. Auch der durchgehende Nachtverkehr sei erfolgreich, hieß es. Die BVG zählte deutlich mehr Fahrgäste in den Touristenlinien 100 und 200 sowie in der U2 zum Stadion. Genaue Zahlen konnte Sprecherin Reetz noch nicht nennen. Dafür das: „Wir hatten noch nie so nette Fahrgäste.“

Leinwände: Die Formel ist einfach: Der Erfolg der Fanmeile ist das Leid der anderen. Knapp 3,5 Millionen Fans waren bisher auf der Meile, bei Spitzenspielen bis zu 700 000. „Die WM-Meile hat uns einige Zuschauer gekostet“, sagt eine Sprecherin der Waldbühne. Ihr Halbzeit-Fazit: „Ganz okay“. In der Waldbühne werden ausgewählte Spiele auf der Leinwand gezeigt, davor läuft ein eher kleines Musikprogramm; Eintritt: 15 Euro. „Viel Geld“, gibt die Sprecherin zu. Karten fürs Finale am 9. Juli kosten hier sogar 25 Euro. Dennoch seien bis zu 13 000 Fans da gewesen, „die Ordner am Stadion schicken die Fans zu uns rüber“, sagt sie. Bei Popkick06, dem Musik- und Fußballfest im Treptower Park, heißt es: „Im Schnitt 7000 Fans“ seien auf dem Gelände. Die Kapazität liegt bei 25 000 Plätzen. „Anfangs hatten wir Angst vor dem Regen – dann kam die Hitze.“ Die Fans kämen daher nicht schon nachmittags in der prallen Sonne, sondern erst am Abend. Andere WM-Großveranstalter äußern sich ähnlich. Es fehlt eine halbe Million Menschen, die zur Meile geht – und sich eben nicht in den Clubs der Stadt verteilt.

Justiz: An den Berliner Spieltagen sind die Zellen in der Kruppstraße zuweilen gut besucht: 319 Festgenommene haben hier seit dem WM-Auftakt die Nacht verbracht. Sie waren rund ums Olympiastadion, auf der Fanmeile oder andernorts ins Visier der Polizei geraten. Die meisten wegen Trickdiebstahls oder kleineren Betrügereien, andere wegen Körperverletzung (102) oder Drogenmissbrauch (23). Angesichts der Massen nicht weiter der Rede wert, sagt Oberstaatsanwalt Jörg Raupach. „So etwas kommt bei jedem Oktoberfest vor.“ Den meisten Festgenommenen wird in den nächsten Monaten der Prozess gemacht, insgesamt 54 von ihnen wurden am nächsten Tag dem Haftrichter vorgestellt. 15 kamen vor ein „Schnellgericht“ wie beispielsweise der Flitzer vom Olympiastadion. Der 20-jährige Kroate bekam für seinen Lauf über den WM-Rasen eine Geldstrafe von 140 Euro.

Kein einziger polizeibekannter Hooligan taucht bislang auf der Liste der Staatsanwälte auf. „Die Polizei hat die Szene gut unter Kontrolle“, sagt Raupach. Einige der gewaltbereiten Fans hat man während der WM mit drakonischen Auflagen belegt: Manche müssen sich mehrmals täglich bei der Polizei melden. Die Spannung steigt in der K.o.-Runde – auch für die Ermittler. Denn damit wächst laut Raupach das Risiko, dass es zu „Aggressionstaten“ frustrierter Fans komme. Der gravierendste Fall bislang: In der Nacht zu Donnerstag griff ein polizeibekannter 19 Jahre alter Intensivtäter einen schwedischen Fan nach einem Streit an. Patrick W. sprang im Bahnhof Potsdamer Platz dem 17-Jährigen mit Anlauf in den Rücken, er wurde festgenommen und sitzt jetzt in U-Haft. Der Schwede verletzte sich beim Sturz.

Kultur: Auf die Kultur hat sich die Fußball-WM nicht gerade positiv ausgewirkt. Bei den Staatlichen Museen ist die Stimmung durchwachsen. Der Besucherdienst meldet „sprunghaft gesunkene“ Zahlen, das mag auch am schönen Wetter liegen. In den Wochen vor der Fußball-WM hatte man sich noch über hohe Besucherzahlen gefreut, nun ist man eher enttäuscht. Der Tourismus sei eben „fußballorientiert“, heißt es. So ist die Sonderausstellung „Der Ball ist rund“ im Pergamonmuseum mit bislang rund 10 000 Besuchern sehr erfolgreich.

Kinos: Die Kinos haben sich mehr Besucher von der WM erhofft, der Sommer tut ein Übriges „Es ist nicht nur so, dass wir unter der WM leiden“, heißt es dagegen im Cinemaxx am Potsdamer Platz. Dort werden auch WM-Spi ele gezeigt, da gebe es gute Besucherzahlen. „Wir liegen weit hinter den Erwartungen zurück“, teilen Theater und Komödie am Kurfürstendamm mit. Es fehlten einfach die normalen Touristen, die den Ku’damm entlangschlenderten. Auch im Friedrichstadtpalast, wo die tägliche Glanzlicher-Revue aufgeführt wird, ist man enttäuscht. Die sonst für Juni und Juli normale Auslastung werde nicht erreicht.

Handel: Auch Berlins Einzelhändler profitieren nur teilweise von der WM. „Sehr zufrieden“ mit den Umsätzen zeigte sich Thomas Burmann vom C & A-Modehaus im Neuen Ku’damm-Eck; auch die längeren Öffnungszeiten bis 22 Uhr beziehungsweise von 14 bis 20 Uhr am Sonntag hätten sich bewährt. Am gefragtesten seien T-Shirts und Jacken mit dem Fifa-Logo. Dagegen macht das Kulturkaufhaus Dussmann in der Friedrichstraße weniger Umsatz als üblich. „Während wichtiger Spiele ist das Haus leer“, sagte eine Sprecherin. „An den Spieltagen in Berlin brummt es richtig“, heißt es dagegen im KaDeWe. Der Centermanager der Potsdamer-Platz-Arkaden, Thomas Sänger, hat den stärksten Andrang am Freitag- und Samstagabend und am Sonntag beobachtet. „Von unseren Besuchern stammt die Hälfte aus dem Ausland.“ AG/CD/C.v.L./Ha/kf

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