zum Hauptinhalt

Berlin: Jetzt stehen in der Berliner Kultur alle Signale auf Anfang. Der neue Senator zeigt, dass er Erbhöfe nicht respektiert.

Nein, es ist nicht einfach nur Moritz de Hadeln, der jetzt geht. Es ist das System de Hadeln, das nun entsorgt wird.

Nein, es ist nicht einfach nur Moritz de Hadeln, der jetzt geht. Es ist das System de Hadeln, das nun entsorgt wird. Christoph Stölzl hat mit dem ersten, großen Paukenschlag nach seinem Antritt als Kultursenator den Anfang vom Ende der Ära Diepgen eingeleitet. Die vorzeitige Kündigung des langjährigen Berlinale-Chefs ist auch ein symbolischer Akt: Es soll endlich Schluss sein mit dem Berliner Kulturklüngel und seinen jahrzehntelang nicht mehr hinterfragten Gewohnheiten und Gebräuchen.

Mit 21 Jahren Amtszeit war der Berlinale-Chef zwar nur halb so lange im Amt wie Fidel Castro in Kuba, aber viel, viel länger, als es für das Festival gut war. Man erinnere sich nur an den alljährlichen Eröffnungs-Empfang im Interconti, eine hundertprozentig charmefreie Veranstaltung, in der man mehr Politiker traf als Filmemacher oder Schauspieler. Jedes Betriebsfest ist glamouröser. Nicht einmal der insgesamt gelungene Neuanfang am Potsdamer Platz wurde zum Anlass genommen, einen geeigneteren Partyort zu finden. Oder man erinnere sich an de Hadelns mangelnde Gastfreundschaft, mit der er Stars wie Catherine Deneuve zur Pressekonferenz nicht einmal begrüßte.

"Niemand versteht, was ich getan haben soll. Habe ich silberne Löffel gestohlen?", reagiert der Berlinale-Chef nun gekränkt auf die Kündigung. Zu gerne wäre er noch zwei Jahre geblieben: ein Sturkopf in eigener Sache. Nein, er hat nichts Böses getan, er hat nur vieles eben nicht getan: In Sachen Film war de Hadeln selten stur genug, schenkte etwa Robert de Niro zur Berlinale 2000 eine eigene Hommage, konnte die Mächtigen in Hollywood jedoch nicht dazu bringen, den Schauspieler auch nach Berlin zu schicken. Und, was wichtiger ist: Er kämpfte nie um einzelne Filme und war in der internationalen Filmszene nie heimisch. Er bemühte sich nicht um die wenigen interessanten deutschen Produktionen, um die wilden Europäer wie Kaurismäki oder Kusturica oder die amerikanischen Meister. Die Filme von Robert Altman, Scorsese oder den Coen-Brüdern liefen nur in Berlin, weil sie im Paket mit US-Durchschnittsware angeboten wurden. Die Filmindustrie sprang mit de Hadeln um wie mit keinem anderen Chef eines großen, internationalen Festivals, und er wusste sich nicht dagegen zu wehren. Er nutzte lieber die Sektion "Panorama" als Überlaufbecken, um die Begehrlichkeiten der Studiobosse befriedigen zu können.

Aber dass de Hadeln geht, ist nicht genug. Seine Kündigung lässt sich immerhin als Bemühenszusage für überfällige Reformen interpretieren. Für eine Reform der kruden Wettbewerbs-Mischung aus amerikanischen Star-Vehikeln, akademischem Autorenkino, politischen Manifestationen und gelegentlichen Zufallstreffern in Sachen Filmkunst. Für eine drastische Reduktion der Nebenreihen und der unübersichtlichen Menge von Programmen, die jeden Cineasten im Februar zur Verzweiflung treiben konnte. Die Berlinale, das war das Festival, auf dem man Filme nicht sah, sondern verpasste. Ein Bilderdschungel, in dessen Üppigkeit immer auch seltene, nie gesehene Pflanzen gediehen. Allein, ihre Platzierung irgendwo in Wettbewerb, Panorama oder Internationalem Forum darf nicht länger willkürlich erscheinen. Dabei stellt sich die Frage, ob eine Qualitäts-Reform des ebenfalls in Gewohnheiten erstarrten Forums mit seinen Stammgästen aus der Welt des Autorenkinos unter Regie des langjährigen Forums-Leiter Ulrich Gregor überhaupt durchzuführen ist. Bei allen unschätzbaren Verdiensten des Filmliebhabers und -förderers Gregor ist auch hier ein baldiger Neuanfang wünschenswert.

Bis zum Sommer will die Kulturverwaltung einen Nachfolger für Moritz de Hadeln gefunden haben. Als Favorit gilt, wie der Tagesspiegel bereits meldete, Dieter Kosslick, Geschäftsführer der NRW-Filmstiftung. Aber auch eine Aufteilung in künstlerische und organisatorische Leitung ist im Gespräch. Es kursieren die Namen Volker Schlöndorff, Josef Wutz vom Hamburger Filmfest und Michel Kötz, der das Festival in Mannheim leitet. Letztere haben sich auf dem regionalen Parkett bewährt, gelten für die Hauptstadtbühne aber eher als blasse Figuren. Volker Schlöndorff kennt die Filmemacher seiner Generation; sein Name steht aber nicht für einen Aufbruch. Wenn Berlin mehr Glamour will, einen charmanten Gastgeber und dazu einen, der Geld für die Belange des Kinos zu beschaffen weiß, dann ist Kosslick der Richtige. Seine Ernennung hätte ebenfalls symbolische Bedeutung: Sie würde den Drift von Nordrhein-Westfalen nach Berlin verstärken, der in der jungen, kreativen Filmszene ohnehin zu beobachten ist.

Aber ist Kosslick auch der Richtige, um jedes Jahr das neue, aufregende Kino nach Berlin zu holen? Welche Kontakte hat er zur asiatischen Filmszene, die derzeit weltweit als die wichtigste gilt? Kosslick kann gut mit den Stars, aber kann er auch Regisseure entdecken und sie protegieren? Warum werfen die Headhunter des zuständigen Kuratoriums nicht auch begehrliche Blicke ins Ausland, etwa in die Schweiz, wo Marco Müller auf der Piazza von Locarno alljährlich unbekannte Filmschätze ins Licht der Öffentlichkeit hebt? Die Verantwortlichen sollten es sich mit der Suche nicht leicht machen. Vor allem aber gilt: mehr Klasse als Masse. Nur ein kleineres Festival wird die große Berlinale der Zukunft sein.

Zur Startseite