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Berlin: Jetzt wird’s teuer: Kliniken brauchen mehr Ärzte

Weil der Europäische Gerichtshof die Arbeitszeit der Mediziner beschränkt, müssen Krankenhäuser Dienstpläne umbauen und Personal einstellen

Von Claudia Keller

und Stefan Jacobs

Patienten müssen künftig nicht mehr fürchten, von übermüdeten Medizinern operiert zu werden – das ist die eine Seite der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, wonach die Bereitschaftsdienste der Klinikärzte künftig als Arbeitszeit zu gelten haben. Die andere: Wenn die Ärzte nicht mehr so viel arbeiten dürfen wie bisher, müssen die Kliniken neue Mitarbeiter einstellen. Bis zu 2000 Mediziner würden zusätzlich gebraucht, schätzt die Berliner Ärztekammer. Die Klinikchefs fürchten, dass es so viele Ärzte auf dem Arbeitsmarkt gar nicht gibt. Außerdem wissen sie nicht, wie sie zusätzliches Personal bezahlen sollen. Die Ärztekammer rechnet allein für die Hauptstadt mit Mehrkosten von bis zu 100 Millionen Euro.

Das Urteil der Richter in Luxemburg soll verhindern, was zurzeit in allen Kliniken die Regel ist: dass Ärzte 24 Stunden und länger ohne Pause arbeiten. Denn bisher zählt die Bereitschaft teilweise als Ruhezeit – theoretisch jedenfalls. Praktisch müssen viele Ärzte jedoch nach ihrem regulären Arbeitstag noch viele Stunden „in Bereitschaft“ weiter- arbeiten.

Manfred Dietel, ärztlicher Direktor der Charité, schätzt, dass er bis zu 250 zusätzliche Ärzte einstellen und bis zu 12,5 Millionen Euro mehr ausgeben muss, wenn künftig die Bereitschaftsdienste als Arbeitszeit gelten und die Ärzte nicht mehr als 48 Stunden in der Woche arbeiten dürfen. Vor allem Chirurgen in den Unfallstationen seien gefragt. Das Urteil verlangt nach neuen Arbeitszeitmodellen. Dietel schwebt vor, dass die Ärzte künftig in gleich langen Schichten arbeiten.

In den neun Vivantes-Kliniken überlegt man, die 1200 Ärzte zeitlich versetzt arbeiten zu lassen. So könne eine Hälfte ihren Dienst morgens um acht antreten, die andere am Nachmittag, sagt eine Sprecherin.

Axel Ekkernkamp, ärztlicher Direktor des Unfallkrankenhauses Marzahn schlägt vor, Bereitschaftsdienste in so genannte Rufbereitschaft umzuwandeln: Ein Arzt in Rufbereitschaft muss nicht in der Klinik, sondern nur jederzeit erreichbar sein. Wird er nicht gebraucht, bekommt er auch kein Geld.

Der Klinikkonzern Vivantes fürchtet, dass er die Mehrkosten nicht aus eigener Kraft aufbringen kann. Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) hofft aber, dass in anderen Bereichen gespart werden kann – etwa durch das geplante Abrechnungssystem, das Klinikaufenthalte von Patienten verkürzen soll. Einen Ärztenotstand sieht die Senatorin nicht auf Berlin zukommen. Sie begrüßt die Entscheidung des Gerichts. Bei den Ärzten ist die Meinung gespalten: Werner Wyrwich, Unfallchirurg im Universitätsklinikum Benjamin Franklin, sagt, der Mehrheit der Ärzte sei das Geld für die Bereitschaftsdienste wichtiger als die verringerte Arbeitsbelastung. Stationsärztin Govinda Kühn-Freitag vom evangelischen Waldkrankenhaus Spandau sieht dagegen einen Gewinn an Lebensqualität, der gerade jüngeren Ärzten wichtiger sei als das Geld. Die – zumeist älteren – „Vollblut-Operateure“ würden wegen der Neuregelung allerdings bis zu 1000 Euro im Monat weniger verdienen.

Armin Belg, Assistenzarzt für Anästhesie am Unfallkrankenhaus Marzahn, ist „absolut erfreut“ über das Urteil. Die Arbeitsbelastung sei so hoch, „dass die meisten Kollegen froh sind, wenn sie mal rauskommen.“ In einem Punkt sind sich die Ärzte einig: Ohne neue Kollegen lässt sich das Urteil nicht umsetzen: „Mit der jetzigen Mannschaft könnte ich keinen ordentlichen Dienstplan mehr machen“, sagt Oberarzt Wyrwich.

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