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Berlin: Jochen Worsch (Geb. 1957)

Dieses vage Gefühl der Einsamkeit, ohne einsam zu sein.

Manche Menschen fühlen sich auf dieser Welt nicht wirklich heimisch. Jochen Worsch ging es so. Vielleicht weil er in Ansbach aufwuchs, in der Nähe des Parks, in dem Kaspar Hauser tot aufgefunden wurde. Kaspar Hauser, das Findelkind, Erbprinz von Baden oder doch nur ein Verlorener? Selbst Kaspars Tod gab Rätsel auf: „Selbstverwundung ohne Tötungsabsicht“ hieß es seinerzeit im Obduktionsbericht.

Unbehaust in der Welt – Jochen Worsch kannte das Gefühl gut. Die Eltern hatten wenig Zeit für ihn, es galt, Geld zu verdienen, das Geschäft in Gang zu halten.

Das Bedürfnis nach Erfolg und der Wunsch nach Revolte, beides trieb Jochen Worsch schon früh um. Er trug wilde Locken, schulterlang und begann das Studium der Volkswirtschaft, zunächst in München, dann, des radikaleren Milieus wegen, in Berlin. Er wurde stellvertretender Bundesvorsitzender der Jusos, kannte sie alle, die dann in der Politik Karriere gemacht haben. „Oh Lord, won’t you buy me a Mercedes Benz? My friends all drive Porsches, I must make amends.”

Als die Mauer fiel, arbeitete er in der SPD-Zentrale in der Müllerstraße, rund um die Uhr, Planungskommissionen, Redenschreiben, Stabsarbeit. Jochen Worsch war nie in vorderster Front, aber unverzichtbar für die anderen, Steigbügelhalter nennt sich das wohl. Irgendwann begriff er, dass es immer nur in die eine Richtung ging: Er gab, die anderen nahmen, zurück kam wenig.

Dieses vage Gefühl der Einsamkeit, ohne einsam zu sein. Er hatte zahllose Bekannte, etliche Freunde, er verliebte sich gelegentlich, meist unglücklich. Vielleicht hat er deshalb geraucht wie ein Schlot und Rotwein in Mengen getrunken.

Er trieb Raubbau mit sich, erst recht als er aus der Politik ausstieg und mit Freunden eine Firma gründete: Unternehmensberatung. In den Jahren der Wiedervereinigungs-Euphorie gab es viel zu tun, er hatte die Kontakte, er hatte das ökonomische Know-how.

1992 landete Jochen Worsch seinen größten Coup, der allerdings wenig mit seinen bisherigen Geschäften zu tun hatte. Auf einer Englandreise gelang es ihm, eine Erfolgs-Ausstellung mit computeranimierten Dinosauriern des Natural History Museum nach Berlin zu holen. Fortan wurden die Dinos zum Kerngeschäft seiner Firma. Die Ausstellung tourte zwei Jahre lang durch die großen Museen Deutschlands, und er sah all seine Träume erfüllt: Er war ein erfolgreicher Geschäftsmann – und ein kleiner glücklicher Junge mit dem größten Spielzeug, das es auf dem Markt gab.

Aber der Dino-Hype verging, und die nächste Ausstellung „First Europeans“ brachte die Pleite. Gerade war er noch ein gefragter Mann, nun nagte der Selbstzweifel an ihm.

Er kam wieder auf die Beine, arbeitete als Berater für ein großes Umzugsunternehmen, aber das war ein raues Geschäft und nach einigen Jahren gab es nichts mehr für ihn zu tun. Er versuchte im Auftrag des Jobcenters ältere Langzeitarbeitslose wieder ins Berufsleben zu bringen, und er fing an zu schreiben, kurze Wirtschaftskrimis, in denen es wild zuging, Dinos inklusive.

Eine Weile kam er sogar vom Alkohol los, aber zu sich selbst fand er nicht.

Er wollte nicht gebunden sein, Familie hat er sich nie zugetraut. Die Frau an seiner Seite, deren Nähe er suchte und auch wieder mied, war 16 Jahre älter, Schutz und Gefängnis zugleich. So ganz erwachsen wurde er nie.

Das schlichte Faktum etwa, dass man Steuern zahlen muss, war ihm, trotz seines ökonomischen Sachverstandes, einfach nicht begreiflich zu machen. „Wenn die mich drankriegen, ist es noch früh genug.“ Als es so weit war, brach er in Panik aus.

Er erkrankte an Krebs. Anfangs schien es so, als könnte doch noch alles gut werden. Er kämpfte gegen die Krankheit, verliebte sich aufs Neue. Klar, er hatte Geldsorgen, die konnte man aber in den Griff bekommen. Er hätte eigentlich nur ausharren müssen, Kräfte sammeln, was schwer fiel, als die neue Liebe sich wieder davonstahl. Er war ja nicht ohne Wünsche, aber ohne Hoffnung, dass sie sich erfüllen würden. Was ihm fehlte seit den frühen Tagen der Kindheit? Der Kuss der guten Fee. Gregor Eisenhauer

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