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Berlin: Jörg Hensel (Geb. 1938)

Er fiel auf in Lübars. Deshalb blieb er dort

Von David Ensikat

Es gab ein paar Jahre in seinem Leben, da hat er Chefs gehabt. Bei der Kirche war er angestellt, bei einer großen Werbeagentur am Ku’damm und bei der „Taz“. Dass das nie lange anhielt, lag bestimmt an den Chefs. Und vielleicht auch ein kleines bisschen an seinem Ego, das seine 165 Zentimeter Körperhöhe weit überragte. Jörg Hensel sprühte nur so vor Ideen; es ließ sich großartig mit ihm zusammenarbeiten – so lange man nur seiner Meinung war. Und man sollte etwas mehr Zeit mitbringen, denn er sprach nicht nur recht gern und lange, er kam auch hin und wieder zu spät. Er musste schließlich nicht nur hier, sondern auch dort die Dinge in Bewegung setzen.

Schon sein Vater war ein Mann der klaren Meinung. Er hatte sich allerdings zur falschen Zeit der falschen Sache verschrieben. Er war im Krieg und von der Richtigkeit dieses Krieges so überzeugt, dass er einen Fronturlaub vorzeitig abbrach, um wieder in den Kampf zu ziehen. Der Kampf fand gerade in Stalingrad statt. Der Vater kehrte nicht mehr zurück.

Jörgs Mutter zog mit ihren Kindern dorthin, wo sie aufgewachsen war, nach Lübars ins Dachgeschoss über dem Dorfkrug. Lübars, das ist ein Dorf, das zu Berlin gehört, damals zu West-Berlin, am nördlichen Stadtrand gelegen, wo man sich fragt, warum sie so etwas zu einem Stadtteil erklärt haben. Es gibt einen Anger, Felder, Bauern, und ein Mensch wie Jörg mit großem Ehrgeiz und diversen Talenten, von denen ihn keines zur Feldarbeit qualifizierte, fiel auf. Was ein Grund sein mochte, weshalb er Lübarser blieb bis an sein Lebensende.

Ins städtische Berlin fuhr er für die profanen Tätigkeiten, zum Studieren und zum Geld verdienen. Nach einer kurzen Episode als Kirchenverwaltungsangestellter, in deren Folge er erbost aus der Kirche austrat, studierte er Werbewirtschaft und dachte sich als staatlich geprüfter Werbewirt die Paech-Brot-Reime aus, die an den U-Bahn-Fenstern klebten. „Die Damen mit den knappen Leibchen lieben dünne Paech-Brot Scheibchen.“ Mit Kollegen gründete er eine eigene Agentur, doch da man in jenen Jahren dazu neigte, die Dinge in größeren Zusammenhängen zu betrachten, musste er sich immer öfter rechtfertigen, als Werbefuzzi dem Großkapital zu dienen.

Was ganz gut passte, da, wie angedeutet, die Teamarbeit nicht seine Stärke war. Er betrieb die Werberei fortan freiberuflich und nebenher und studierte noch mal, ganz zeitgemäß jetzt Germanistik und Politik auf Lehramt. Als Lehrer wollte er dann aber doch nicht arbeiten. Er schlug sich irgendwie durch, mal mit Werbeaufträgen, mal mit der Hilfe der Mutter. Außerdem hatte er seine Frau Alice an der Seite, die einer geregelten Tätigkeit nachging. In den Achtzigern fand er noch mal eine Anstellung als Werbemensch, diesmal aber vollkommen korrekt bei der linken „Tageszeitung“.

Weit wichtiger als die städtischen Abhängigkeitsverhältnisse waren die Emanzipationsunternehmungen, die sich sämtlich im ländlichen Norden zutrugen. Als Linker mit großem Maul war Jörg Hensel in der Stadt einer von vielen. Hier oben erregte er Anstoß und fand gleichwohl Mitstreiter, die seinen Ideen folgten. In den Siebzigern wurde protestiert, vor allem gegen das Vorrücken der Stadt. Die Gegend zwischen dem Märkischen Viertel und Lübars sollte grün bleiben – und sie blieb grün. In den Achtzigern wurde nach vorn diskutiert. Jörg Hensel, der ein bisschen zeichnen konnte, ein bisschen Geige spielte und der gerne schrieb, wurde zum Vorkämpfer der Lübarser Kulturarbeit.

Es traf sich, dass er der Familie entstammte, die den Dorfkrug betrieb. Zum Dorfkrug nämlich gehörte der Festsaal, welcher seit dem Mauerbau als Lagerraum für Düngemittel der „Senatsreserve“ gedient hatte und nun nicht mehr diente. Der Saal war leer und kaputt, da dachte Jörg Hensel sich das Wortspiel „LabSaal statt Trübsal“ aus, mobilisierte den Kulturverein sowie Geld vom Senat, und bald strahlte der Saal wieder, es gab eine Bühne, intakte Fenster, Türen und Toiletten. Und das Dorf, das bislang für seine Felder und Pferde bekannt war, besaß eine bestens funktionierende Kulturstätte.

Dass Jörg Hensel alles daran setzte, diesen überhaupt nicht jüdischen Ort mit jüdischer Kultur zu füllen, mag man als postume Teufelsaustreibung deuten. Der Vater ein Nazi, der Sohn Philosemit. Der Klezmer-Musiker heranholte und Jiddisch lernte und für die Lübarser Amateurbühne drei Musicals schrieb, die in der untergegangenen und verklärten Welt des Schtetls spielten. Kein Zufall, dass stets ein sympathischer Fiedelstreicher darin vorkam: Jörg Hensels Geigenkünste waren begrenzt, für den Zweck aber vollkommen ausreichend. Der kleine runde Mann mit dem Bart und der quietschenden Fiedel wurde gefeiert.

Dass er dem Vorstand des Kulturvereins nicht angehörte, trug nicht unwesentlich zur Entscheidungsfähigkeit des Vorstandes bei. Alle aber wussten immer, was sie ihm verdankten. Er war der Mann mit den Ideen und den Kontakten. Kein einfacher Mann, aber einer, der fehlt.

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