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Berlin: Johannes Zawacki (Geb. 1919)

Im Krieg war er „nicht zu verwenden“, denn er studierte Philosophie.

Es ist der 20. April 1938, Adolf Hitlers 49. Geburtstag. Der neunzehnjährige Johannes schaut zwar aus dem Zugfenster und bemerkt, dass an jedem Bahnhof die Hakenkreuz-Flagge weht, doch seine feierliche Stimmung hat andere Ursachen: Aus einem, wie er rückblickend erzählen wird, „inneren, von oben erleuchteten Antrieb“ hat er beschlossen, Jesuit zu werden und befindet sich auf dem Weg nach Mittelsteine, in das Noviziat der ostdeutschen Provinz.

Eineinhalb Jahre später kann sich selbst ein Ordensbruder der Fahne nicht mehr entziehen. Johannes Zawacki, der jetzt in München Philosophie studiert, was Teil der Jesuiten-Ausbildung ist, wird zur Luftwaffe beordert. Doch bald schon zahlt es sich aus, dass er allein den Heiligen Ignatius als Führer anerkennt. „Schmeißt sie alle raus, wir brauchen sie nicht“, soll Hitler über Jesuiten in Uniform gesagt haben. „Sind Sie unabkömmlich oder haben Sie was mit der Gesundheit?“, wird Johannes Zawacki bei der Entlassung gefragt. In seinen Papieren steht: „nicht zu verwenden“. „Ich studiere Philosophie“, erklärt er in dem ihm eigenen vergnügten Tonfall. „Die dachten, das sei eine Wunderwaffe. Jedenfalls war ich dann hochgeachtet beim Entlassungspersonal“, erzählt er später seinen Mitbrüdern.

Er setzt seine Studien fort, so gut das in jenen Jahren geht, und lernt 1944 die Novizin Josefa Mack kennen. Die nutzt ihre Freundschaft mit Angestellten des Lagers Dachau, um Messwein und Hostien in das KZ zu schmuggeln. Als Johannes Zawacki seinen Oberen davon erzählt, wird bestimmt, dass auch er dem „Priesterblock“ des Lagers helfen soll. Der Kontakt zu den Häftlingen gelingt während ihrer Arbeitseinsätze auf den Feldern. Nahrung und Medikamente schmuggelt er ihnen zu. So leicht erscheint ihm diese Aufgabe, und so natürlich, dass er darin keine Heldentat erkennen mag und kaum jemandem davon erzählt, auch Jahrzehnte später nicht.

1949, nach dem Studium der Philosophie, der Theologie und dem Noviziat wird er zum Priester geweiht. Es sind die Gegensätze, die ihn beschäftigen, die Fragen nach der Vereinbarkeit von Glaube und Naturwissenschaft, von Kirche und Moderne, Fragen, deren Antworten nur im Leben selbst zu finden sein können. Er beschließt, zurück nach Berlin zu gehen, an die neu gegründete FU, dort Mathematik und Physik zu studieren. 1963 wird er Direktor des jesuitisch geführten Canisius-Kollegs.

Die Schüler- und Studentenunruhen machen auch vor den Mauern des Kollegs nicht halt: Sie werden mit Schriftzügen wie „Katholische Napola“ besprüht. Flugblätter machen die Runde, gegen Obrigkeitshörigkeit, gegen das autoritäre, patriarchalische Denken. „Zacki“, wie der kleine Pater mit der weiten Priesterkleidung von seinen Schülern genannt wird, wirft den Linken die Brutalität ihrer Sprache vor, wird zornesrot, als er Abiturienten ihre Lateinbücher verbrennen sieht. „Wisst ihr denn gar nicht, was Bücherverbrennung bedeutet?“

Den Rechten wirft er ihren Starrsinn vor. Er selbst steht mit ganzer Seele hinter der Religionsfreiheit, öffnet das Kolleg für Mädchen, stellt eine junge Lehrerin ein, deren Denken von Adorno und Habermas bestimmt ist. Filterlose Gauloises rauchend bemüht er sich, zwischen den Meinungen zu vermitteln. Und kommt doch kaum über die Rolle des Vermittlers hinaus. Er ist keiner, der alten Lehrern, die den Rohrstock nicht nur als Zeigestab verwenden, Verweise erteilt. Rückblickend bereut er es manchmal.

Und gleichzeitig ist es die milde Seite seines Wesens, die viele so an ihm lieben. Kann ein Schüler den Dieselmotor besser erklären als er selbst, lässt er diesem den Vortritt. Weich wird er auch, wenn er kleine Kinder auf dem Schoß hat. Dann kommt es vor, dass er von der manchmal aufflackernden Sehnsucht nach einer eigenen Familie spricht.

Noch als Achtzigjähriger fährt er, fast vollständig erblindet, mit der U-Bahn durch die Stadt, um seiner Arbeit als Krankenhaus-Seelsorger nachzugehen. Bis eine Krebserkrankung ihn 2004 selbst in das Krankenbett zwingt. Anne Jelena Schulte

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