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Berlin: Josef Michael Grobecker (Geb. 1931)

"Ich bin die beste aller verpassten Möglichkeiten"

Von David Ensikat

Für die Kreuzberger war er der „Terweh“. Denn in seinem ersten Leben hat er sich José Michel ter Wée genannt. Als sein zweites Leben begann, erfuhren die Kreuzberger, dass sein richtiger Name Grobecker war. Und sie dachten: Passt auch irgendwie. Denn sein Umgang mit den Leuten war nicht immer von Feingefühl geprägt.

Wenn auch der Name die alten Freunde nicht so sehr verwunderte, stimmte sie der Rest nachdenklich. Grobecker, der fast 50 unstete und wilde Jahre hinter sich gebracht hatte, trug auf einmal Schlips und Anzug. Sie hatten eine ganze Weile nichts von ihm gehört, aber das war in den Künstlerkneipen nichts Ungewöhnliches. Immer tauchte irgendjemand ab und ein anderer wieder auf. Doch dass der hier aus der Mitte des West-Berliner Establishments auferstand, war schon komisch.

Wovon er früher gelebt hatte, wusste niemand so genau; dass er als Kneipier und als Verleger wenig taugte, war immerhin bekannt. Jetzt war er Projektleiter im nagelneuen ICC. Er organisierte große Kongresse, Shows für den Massengeschmack und „die längste Autogrammstunde Berlins“. Für die Kreuzberger, die noch in denselben Kneipen saßen, war er jetzt „der Kurier des Zaren“. Sie merkten aber bald, dass er trotz Position und Schlips noch ganz in Ordnung war. Wann immer er konnte, vermittelte er Aufträge an die Künstler unter ihnen.

Die Verhältnisse, aus denen er stammte, waren ungewöhnlich sorgenfrei und liberal. So entwickelte Michael Grobecker nicht jenen ehrgeizigen und ausdauernden Charakter, der für Männer seiner Generation typisch war. Der Vater gut verdienender Prokurist, die Mutter kunstsinnig, der Onkel ewiger Student – und Michael wollte Tänzer werden. Er ging nach Berlin an die Oper, aber weil er sich den Fuß verletzte, tanzte er nicht lange. Es folgten ein paar Monate Pantomimeschule in Paris, Schauspielschule in Wien und einige Tingeltangeljahre quer durch Deutschland, hier ein Zimmertheater, dort ein Kabarett, hin und wieder ein Zeitungsartikel über José Michel ter Wées neuestes Projekt.

Mit Peter Scholl-Latour war er in Vietnam, um vom Krieg zu berichten, er als Kameramann, und der Vietcong hat sie gefangen gehalten, so erzählte er es jedenfalls, dann war er auch mal Hörfunkredakteur beim WDR, um schließlich 1972 in Kreuzberg anzukommen. Da gab es einige von seiner Art, lauter Unvollendete, die oft vorm Tresen und manchmal auch dahinter standen. Ihre Kneipen hießen Nulpe, Oma Plüsch, Delirium.

Schließlich überredete ihn eine ehrgeizige Frau zu der ICC-Anstellung (Frauen gab es viele, Kinder einige, aber nichts auf Dauer). In nur 13 Jahren dieses Lebens voller Arbeit, Anerkennung und Alkohol hatte er zwar gewisse Rentenansprüche erworben, die üblichen Krankheiten aber ebenso: Herzinfarkt, Bandscheibenvorfälle, Diabetes. Schwierig war es, die Rentenansprüche in einem formgerechten Rentenantrag nachzuweisen. Denn wenn Michael Grobecker sich von einer Frau trennte, dann stets mit großem Schaueffekt. Da warf er schon mal all seine Sachen aus dem Fenster, auch die Dokumente, um sie unten anzuzünden. Vielleicht hat das aber auch die Frau getan, wer weiß.

Für seine große Wohnung genügte die Rente nicht, er zog in eine kleinere, und er war ziemlich allein. Bis er die Frau kennen lernte, Gabriele, die seinen letzten Jahren noch einen unverhofften, schönen Sinn verlieh. Mit ihr zog er wieder in eine große Wohnung. Mit ihr und ihren dementen, pflegebedürftigen Eltern. Er wusste ja nicht nur, wie man gut isst, sondern auch, wie man gut kocht. Und als Gabriele seine Kontakte zu den Kreuzbergern wiederherstellte, war er auch wieder der lebensfrohe Gastgeber, der er mal gewesen war.

Dass er in seinem Leben viel angefangen und nicht so viel zu Ende gebracht hat, tat ihm leid, aber nicht zu sehr. Er sagte das so: Ich bin die beste aller verpassten Möglichkeiten. David Ensikat

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