zum Hauptinhalt

Jubiläum: Als der Kanzler nach Berlin zog

Vor zehn Jahren begann der Umzug von Bundestag und Bundesregierung nach Berlin. Das Kabinett tagte im DDR-Staatsratsgebäude. Nicht nur deshalb mussten Skeptiker überzeugt werden.

Warteschlangen vorm Reichstag gehören zum Hauptstadtprogramm der Berlin-Besucher. Die bitterste Kälte kann nicht schrecken. Sie schlendern am Spreeufer, stoßen bei Spaziergängen auf Parlamentarier und Kabinettsmitglieder und spüren, dem politischen Zentrum des Landes nahe zu sein. „Bonn, war das wirklich einmal Hauptstadt?“, fragen sich schon junge Leute in Internet-Foren. Es ist zehn Jahre her, dass sich das größte Umzugskarussell der deutschen Nachkriegsgeschichte in Bewegung setzte – der „Hauptstadtumzug“.

Nach einer Dekade ist der Umzug in letzter Konsequenz zwar noch immer nicht vollzogen, weil es eine Arbeitsteilung nach dem Berlin-Bonn-Gesetz gibt, und in Bonn noch immer mehr Ministeriale als in der Hauptstadt arbeiten. Aber regiert wird nun einmal von Berlin aus – vor zehn Jahren war diese Vorstellung für viele Behördenmitarbeiter und Parlamentarier noch befremdlich. Im Januar 1999 „wurde viel gejammert“, erinnert sich Franziska Eichstädt-Bohlig, damals Bundestagsabgeordnete. Die heutige Fraktionschefin der Grünen im Abgeordnetenhaus spricht vom letzten stillen Aufbegehren der Umzugsgegner gegen das große Kofferpacken – und an das große Aufatmen im folgenden September.

Da waren die meisten Kisten ausgepackt, Bundestag und Regierung konnten mit ihrer Arbeit beginnen, und das bei sonnigem Spätsommerwetter, „das auch eifrigste Berlin-Skeptiker überzeugt hat“. Vor der Sommerpause, die für den Umzug genutzt wurde, hatte es am 19. April im Reichstag die Eröffnungssitzung des Parlaments gegeben. Aber noch im Januar schien fraglich, ob der Reichstagsumbau rechtzeitig fertig werde, wann Ministeriumsbauten bezugsfertig sein könnten, welche Häuser auch länger als Provisorien genutzt werden könnten. Ließen sich die Kosten für Neubauten, Umzug und Ausgleichszahlungen für Bonn von insgesamt rund zehn Milliarden Euro halten? Das Bundesinnenministerium schien mit seinem gemieteten Bau am Moabiter Spreeufer eine der besten Karten gezogen zu haben, Kanzler Gerhard Schröder musste sich vom Sommer 1999 an mit dem DDR-Staatsratsgebäude begnügen, das Kanzleramt sollte – verspätet – erst zwei Jahre darauf fertig werden.

Es hatte kritische Phasen für Berlin nach dem Hauptstadt-Beschluss von 1991 gegeben, die Mehrheit der Berlin- Befürworter war knapp. Nach dem Abgang der damaligen Bundesbauministerin Irmgard Schwaetzer (FDP), die keine leidenschaftliche Anhängerin des Hauptstadtumzuges war, brachte Bundesbauminister Klaus Töpfer (CDU) Schwung in den Umzug und in die Bauplanung. „Jetzt wird getöpfert statt geschwätzert“, ulkten Abgeordnete. Aber es wurde auch über den Umzugszeitpunkt gestritten, weil sich das Parlament mit einem festen Termin schwertat und die Regierung erst in Berlin angekommen sein wollte, wenn auch der Bundestag umgezogen war. Zeitweise sah es so aus, als werde der Umzug erst 2002 stattfinden.

Aber im Januar vor zehn Jahren stand unwiderruflich fest: 1999 wird der Umzug gemeistert, und Bauminister Franz Münterfering (SPD) wurde nun Umzugsmanager. Zwei Monate zuvor hatte schon Bundespräsident Roman Herzog (CDU) in Berlin seinen Hauptdienstsitz aufgeschlagen. Die Regierung regierte drei Tage lang „zur Probe“ aus der Dienstvilla von Außenminister Joschka Fischer (Grüne) an der Dahlemer Pacelliallee.

Debattiert wurde auch über den geplanten „Beamten-Shuttle“, der per Flugzeug und Bahn bis zu 2500 Bundesbedienstete an den Wochenenden zwischen Bonn und Berlin befördern sollte. Von 11 400 Parlaments- und Regierungsbeschäftigten sollte die Hälfte in Bonn bleiben. Viel wurde vom „Rutschbahneffekt“ gesprochen, vom Rutsch aller Dienststellen nach Berlin. Mit dem habe es leider bis heute nicht geklappt, sagt Franziska Eichstädt-Bohlig. Es wäre wirklich an der Zeit, dass die Ministerien auch mit ihrem Bonner Personal peu à peu nach Berlin kämen. Die „Hardthöhe“ des Verteidigungsministeriums hätte beispielsweise Platz im Flughafengebäude Tempelhof.

Christian van Lessen

Zur Startseite